Rundköpfe

Ost-West-Joint-Venture Der erste Band der neuen Hanns-Eisler-Gesamtausgabe ist erschienen

Im November lieferte der Verlag Breitkopf den ersten Band der neuen Hanns-Eisler-Gesamtausgabe (HEGA) aus. Er enthält die Bühnenmusik zu Bertolt Brechts Bühnenstück Die Rundköpfe und die Spitzköpfe nach Shakespeares Maß für Maß. Mit dieser Edition eröffnete der Verlag sein drittes umfangreiches Gesamtausgaben-Projekt nach der Mendelssohn Bartholdy- und der Sibelius-Ausgabe. Die Eisler-Gesamtausgabe ist auf rund 60 Bände berechnet und wird herausgegeben von der Internationalen Hanns-Eisler-Gesellschaft im Zusammenwirken mit Stephanie Eisler, der Witwe des Komponisten, und der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin unter der Editionsleitung von Gert Mattenklott (Schriften) und Christian Martin Schmidt (Noten) und mit der Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Damit tritt ein Projekt ans Licht, das seit Beginn der neunziger Jahre, damals wesentlich initiiert von Hans Mayer, Daniel Barenboim, Ulrich Eckhardt und weiteren prominenten Persönlichkeiten, mit erheblichem wissenschaftlichen und verlegerischen Aufwand ins Werk gesetzt wurde. Zu den nächsten angekündigten Bänden, die in kürzeren Abständen erscheinen werden, gehören ein Band Lieder 1917 - 1920, die Bühnenmusik zu Johann Nestroys Höllenangst, die Deutsche Symphonie und der erste Band der Gesammelten Schriften.

Die HEGA, die den Faden der in der DDR begonnenen, aber abgebrochenen Eisler-Ausgaben (Eisler - Lieder und Kantaten und Eisler Gesammelte Werke) wieder aufnimmt, ist ein gemeinschaftliches Unternehmen von Musik- und Literaturwissenschaftlern aus Ost und West.

Eislers Musik zu den Rundköpfen und den Spitzköpfen wird zum erstenmal vollständig publiziert. Das Stück selbst gehört mit Furcht und Elend des Dritten Reiches und dem Aufhaltsamen Aufstieg des Arturo Ui zu Brechts großen Faschismus-Satiren der Vorkriegsjahre. Sein und Eislers Bestreben war es damals, ein Pendant zur Dreigroschen-Oper zu schaffen, was jedoch unter den mehr als mangelhaften Aufführungsbedingungen des dänischen Exils nicht annähernd verwirklicht werden konnte. So wurde Eislers Musik erst viel später und außerhalb ihres dramatischen Kontextes bekannt.

In der Partitur, die fast den Umfang einer Oper hat, befinden sich einige der bekanntesten Eisler-Lieder wie die grandiose Ballade vom Wasserrad, das Lied von der belebenden Wirkung des Geldes, das frivole Lied der Nanna (Lied eines Freudenmädchens) und das lasziv-ironische Kuppellied, in dem die Weill´schen Intonationen deutlich durchscheinen. Die beiden Bandbearbeiter Thomas Ahrend und Albrecht Dümling sorgten für eine gründliche Noten-Edition und instruktive Begleittexte und Kommentare, die den komplizierten Entstehungsprozess des Werkes erhellen.

Eisler arbeitete bis in seine letzten Lebenstage an der Partitur und schickte am 1. September 1962 ein Paket mit dem redigierten Stimmenmaterial an das Landestheater Hannover, das die deutsche Erstaufführung des Stückes vorbereitete. Das war seinerzeit, ein Jahr nach dem Mauerbau, eine ungewöhnlich kühne Unternehmung. Als die Premiere am 21. Oktober 1962 stattfand, war es für Eisler zu spät; er war am 7. September 1962 in Berlin gestorben. In der Hannoveraner Schauspiel-Aufführung wurden allerdings mehrere Musiknummern gestrichen, und auch in den wenigen späteren Aufführungen kam Eislers Musik meines Wissens noch nie in ihrer Vollständigkeit zur Geltung, so dass man nicht ganz zu Unrecht sagen könnte, die eigentliche Premiere steht immer noch bevor.

Eisler erweist sich hier wie auch später in den Musiken zum Schweijk im zweiten Weltkrieg oder den Tagen der Commune als ein begnadeter Chanson-Komponist. Das kann man in dieser schön gedruckten Partitur studieren. Besser allerdings wäre es, sie erklänge bald auf einem Theater, gesungen von einer neuen Edith Piaf oder Gisela May. Der erste Band der neuen Gesamtausgabe könnte der Beginn einer interessanten Entdeckungsreise werden, aber das wagt man ja kaum noch zu hoffen in dieser von Rock, Pop und Small Arts umstellten Unkultur-Landschaft.

Internationale Hanns Eisler-Gesellschaft (Hrsg.): Gesamtausgabe Hanns Eisler 1898-1962. (HEGA) Band 3: Die Rundköpfe und die Spitzköpfe (Ahrend, Th. ; Dümling, A.) Breitkopf, Wiesbaden 2002, 102 EUR

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