MEDIENTAGEBUCH Die Gründungslegende für den entscheidenden Einfluss des Fernsehens auf Wahlausgänge ist bekanntlich der Sieg Kennedys gegen Nixon bei der ...
Die Gründungslegende für den entscheidenden Einfluss des Fernsehens auf Wahlausgänge ist bekanntlich der Sieg Kennedys gegen Nixon bei der Präsidentschaftswahl 1960: Die Farbe von Nixons Anzug beim Fernsehauftritt war unvorteilhaft (für ihn). Diktaturen hingegen (und kommunistischen Parteien in der Alleinherrschaft) ist es egal, wie ihre Repräsentanten aussehen. Doch gilt: Wer die Macht über die Medien hat, der hat auch den besseren Zugriff auf die politische Macht, was wiederum als eher undemokratisch empfunden wird. So ist man sich in der Einschätzung dessen, wie demokratisch die Parlamentswahlen in Russland abgelaufen sind, letztlich unsicher. Fest steht lediglich, dass das Fernsehen am Wahlausgang einen ganz entscheidenden Anteil hatte.
Es sind vi
Es sind vier Kanäle, die politisch eine Rolle spielen im russischen Fernsehen, wobei die übliche Einteilung in öffentlich-rechtlich und privat hier wenig greift. Auf die beiden staatlichen Kanäle wird von privaten Financiers kräftig Einfluss genommen, das Moskauer Regionalfernsehen ist fest in der Hand des Moskauer Bürgermeisters, und das sogenannte "unabhängige" Fernsehen bemüht sich tatsächlich um Unabhängigkeit - mit wechselndem Erfolg. Nur das staatliche Fernsehen ist über alle zehn Zeitzonen der russischen Föderation hinweg zu empfangen, was ausschlaggebend war für diese Wahl. Beide staatlichen Kanäle waren vollkommen auf die zu Putins Unterstützung vor wenigen Monaten gegründete Wahlvereinigung "Einheit" eingeschworen, und der Beweis, wie effektiv hier gearbeitet wurde, waren die hohen Prozentzahlen dieser Partei gerade in den abgelegenen Landesteilen. Aber wie sah sie eigentlich aus, diese effektive Arbeit zur Beeinflussung des Wählers?Im Unterschied zu den USA ist Russland immer noch kein Land, in dem sich ein Politiker mit attraktivem Äußeren und eloquentem Auftreten Geltung verschaffen kann. Ansehen genießen hier vor allem diejenigen, die Macht verkörpern, und dafür ist ein gewisser Grad an Hässlichkeit eher von Vorteil. Putin viel Macht anzudichten, war von daher eine der dringlichsten Aufgaben der staatlichen Medien, und hierbei diente der Krieg in Tschetschenien sozusagen als idealer Hintergrund. Dazu sprach Putin ein in der Folge oft wiederholtes Machtwort: Man werde die "Banditen" (die offizielle Sprachregelung für tschetschenische Krieger) noch auf dem Scheißhaus erwischen. Eine Äußerung, die von der Diktion her eher zu einem Berufskiller passt, aber anscheinend war genau das die Aura, von der Putin einen Hauch benötigte.Des weiteren wurden Putins härteste Konkurrenten, der ehemalige Premier Primakow und der Moskauer Bürgermeister Luschkow, unter Dauerbeschuss genommen. Die Reichweite des Moskauer Kanals ist nicht groß genug, als dass die Angegriffenen dem wirklich etwas hätten entgegen setzen können. Vom schmutzigsten Wahlkampf aller Zeiten war die Rede. Und davon, dass sich in der Folge fast alle politischen Moderatoren und Kommentatoren, egal welchen Kanals, kompromittiert hätten durch ihre eilfertige Bereitschaft, für ihre jeweiligen Auftraggeber unter dem Deckmantel der Information Wahlwerbung zu betreiben.Dazu muss man wissen, dass das russische Fernsehen ganz von der Präsenz seiner Moderatoren bestimmt wird. Im Grunde ist die Bezeichnung Moderator bereits irreführend - sie sind Autoren ihrer Programme und bilden darin stets selbst den Mittelpunkt. So sind die Kanäle zu fast jeder Tageszeit mit talking heads gefüllt, die sich ungeheuer ernst nehmen. Viele dieser Gestalten galten vor ein paar Jahren als die wahren Verteidiger demokratischer Ideale. Diesen Ruf haben sich die meisten in diesem Wahlkampf gründlich verdorben. Als 24 Stunden vor der Wahl alle relevanten Programme ausgesetzt wurden, war Erleichterung zu spüren; allgemein hatte man den Eindruck von viel zerschlagenem Geschirr und einem gewissen Ekel angesichts der Kampagnen.Und dann sah am Abend nach der Wahl auf einmal doch alles wieder ganz anders aus. Der König des politischen Moderierens, Jewgenij Kiseljow, dessen Reich der unabhängige Kanal ist und dessen ansonsten tadelloses Image ebenfalls durch seine Parteinahme Schaden erlitten hatte, hielt in einer 7-Stunden-Sendung Hof. Und fast alle Spitzenkandidaten kamen im plötzlich friedlichen Neben- oder Nacheinander und erörterten überraschend unpolemisch den Wahlausgang. Selbst jene Politiker, die sich vorher den Diskussionrunden stets verweigert hatten, traten auf einmal in die Runde. Mit dem Ergebnis, dass dem Zuschauer vor Augen geführt wurde, warum sie das erst nach der Wahl taten: Sowohl Kommunistenführer Sjuganow als auch Ex-Premier Primakow zum Beispiel gehören zu einer Sorte Politiker, wie sie im Westen fast ausgestorben scheint. Sie können Journalisten nicht ausstehen, mögen es überhaupt nicht, befragt zu werden, und geben dementsprechend ein schlechtes Bild ab.In einer weiteren Nachbereitungssendung von Kiseljow zwei Tage später wurde denn auch prompt gefordert, man solle künftig kandidierende Politiker verbindlich dazu verpflichten, an Fernsehdiskussionsrunden teilzunehmen. Nur so könne sich der Wähler wirklich ein Bild machen. Da lebte es auf einmal wieder auf, das Vertrauen in die objektivierende Entblößungsmacht des Fernsehen. Gleichzeitig aber war man noch voller Staunen über die Tatsache, dass sich allein durch Medienmacht eine Nichtpartei wie die der "Einheit", binnen drei Monate so hoch in die Wählergunst hat katapultieren können. Ein Teilnehmer der Runde verwies auf den amerikanischen Spielfilm Wag the dog und übte sich in zynischer Selbstanklage: Das Amerika im zitierten Film zeige höchstes technisches Niveau, der Krieg sei lediglich ein virtueller. Russland hinke da wie immer hinterher, hier benötige man noch einen realen Krieg, um die Massen zu manipulieren.So herrschte nach der Wahl eine kuriose Mischung aus Zufriedenheit mit den Ergebnissen und Misstrauen über ihr Zustandekommen. Besonders gut ließ sich das an den nicht repräsentativen Telefonumfragen ablesen, wie sie täglich in den sogenannten "volkstümlichen Nachrichten" durchgeführt werden. Dieses spezielle Nachrichtenformat, am späten Abend den "seriösen" nachgeordnet, besteht aus mehreren Moderatoren vor futuristischer Kulisse, die mit Headphones ausgestattet sind und Anrufe entgegennehmen, in denen Leute von den kleinen und manchmal auch großen Ereignissen in ihrer Umgebung berichten. Auf die Frage, ob bei diesen Parlamentswahlen in Russland alles mit rechten Dingen zugegangen sei, gingen innerhalb einer halben Stunde 5.000 Anrufe ein. Nur knapp 500 davon waren der Meinung, dass ja.
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