Was bezweckt Wladimir Putin mit der Anerkennung der Volksrepubliken Donezk und Lugansk? Plant er als nächsten Schritt, mit 150.000 Mann in die Ukraine zu marschieren? Dann hätte er seinen politischen Verstand verloren: Die Ukraine ist fast doppelt so groß wie Deutschland, hat 200.000 aktive Soldaten und 900.000 in Reserve. Derzeit möchten die meisten Ukrainer friedliche Beziehungen zu Russland wie zum Westen, eine Invasion würde sie in die Arme der NATO treiben. Und einen Guerillakrieg kann Putin nicht gewinnen. Auch wären die wirtschaftlichen Folgen verheerend: Nordstream 2 wäre dann endgültig verloren, mit dem Ausschluss vom Zahlungssystem SWIFT würden die Austauschbeziehungen mit der Weltwirtschaft auf Eis gelegt (wie wirksam diese Sanktion ist, zeigt das Beispiel Iran).
Welches Machtkalkül könnte hinter Putins Eskalationsstrategie stecken? Nach der Bitte der beiden Volksrepubliken um russische Militärhilfe und ihre Anerkennung als souveräne Staaten kann von militärischer Aggression keine Rede sein, so Putins Argument. Gleichzeitig möchte er maximale Angst vor einer Invasion in der gesamten Ukraine schüren. Dem diente auch seine Behauptung, die Ukraine sei nie ein funktionierender Staat gewesen. Und dem dient die Verlängerung der „Umzingelungsmanöver“. Solange eine Chance auf Kriegsvermeidung besteht, werden die Sanktionen des Westens eher symbolischen Charakter haben, zumal die USA, die EU und ihre Mitgliedsländer dabei uneinig sind.
In dieser Situation könnte Putin eine Volksabstimmung in der Ukraine ins Spiel bringen über einen künftigen Status als neutrales Land oder andere Regeln vorschlagen, die eine Vereinnahmung der Ukraine durch den Westen hintanhalten, zumal neue Dokumente belegen, dass die NATO in den frühen 1990er Jahren der russischen Politik wiederholt signalisiert hatte, dass sie sich nicht nach Osten ausweiten würde. Am Ende würde sich Putin als Politiker darstellen, der mit militärischen Drohgebärden dem Frieden diente.
Neben dem politischen steckt auch ein ökonomisches Kalkül hinter Putins Pokerpolitik. Soll Russland wieder zu einer echten Weltmacht werden, muss es zuallererst seinen ökonomischen Rückstand verringern. Das wird Jahrzehnte dauern und erfordert steigende Erlöse aus dem Export von Erdöl und Erdgas. Doch davon gibt es ein Überangebot: Würde auch nur die Hälfte der Weltreserven verbrannt, wäre das Klima nicht mehr zu retten. Dazu kommt die sinkende Nachfrage des Westens als Folge seiner Klimapolitik. Längerfristige Lieferverträge zu hohen Öl- und Gaspreisen kann Russland nur durch eine Doppelstrategie erreichen: Zuerst muss in Westeuropa große Angst um seine Energieversorgung geschürt und „am Köcheln“ gehalten werden, dann soll russische Kompromissbereitschaft Hoffnung auf Frieden und verlässliche Energielieferungen schaffen, wenn auch zu höheren Preisen. Auf den deutschen Stopp der Nordstream-2-Zertifizierung hat der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates mit den Worten „Na ja. Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2.000 Euro pro Kubikmeter Gas zahlen werden!“ reagiert.
Das Ziel der kalkulierten Eskalation
Den ersten Schritt hat Putin mit der Umzingelung der Ukraine getan; mit Manövern für das Köcheln ist die Lage im Donbass ideal (die Volksrepubliken werden „nur“ anerkannt, nicht aber annektiert – so bleibt ein jederzeit aktivierbarer Krisenherd erhalten). Den zweiten Schritt setzt Putin, indem er die USA mit ihren Invasionsprognosen Lügen straft und Kompromissbereitschaft zeigt: Obwohl seine Forderung nach Rückzug der NATO zum Status der 1990er unerfüllt bleibt (deshalb hat er sie unerfüllbar formuliert), wäre er geneigt, langfristig wieder mehr Gas und Öl zu liefern – aber zu merklich höheren Preisen als bisher. Nach dem monatelangen Krisenstress wirkt die Nicht-Invasion wie ein freundlicher Akt, der mit Nordstream 2 belohnt wird.
Auch die US-Politik ist kalkuliert: Das permanente Schüren der Kriegsangst könnte Nordstream 2 zu Fall bringen und das außenpolitisch unzuverlässige Deutschland an die Kandare nehmen. Auch eröffneten sich neue Geschäfte: Die USA sind mit Abstand der größte Produzent von Öl und Gas (die Förderung ist um 50 Prozent höher als jene von Russland). Statt nur für den Eigenbedarf zu produzieren, könnten die USA verflüssigtes Gas (LNG) nach Europa liefern und die EU aus ihrer Abhängigkeit von Russland befreien – aber zu viel höheren Kosten.
Kurzfristig hat Putin bessere Karten: Erstens verliert die US-Politik mit jeder Invasionsfehlprognose an Glaubwürdigkeit, zweitens kann Flüssiggas aus Logistikgründen russisches Gas auf Jahre nicht ersetzen (LNG-Terminals und -Pipelines bilden kein Versorgungssystem in der EU), drittens kann Putin Gas zu merklich niedrigeren Preisen anbieten als die LNG-Konkurrenten und viertens wird man sich erinnern, dass Russland seine Lieferverpflichtungen immer eingehalten hat.
Allerdings: Dass sein Wunsch nach einem imperialen Russland Putin um den politischen Verstand gebracht hat, ist nicht mehr auszuschließen. Wie immer, wenn mit höchstem Einsatz gepokert wird: Krieg.
Kommentare 33
"Frieden stiften kann nur, wer in sich selbst Frieden geschaffen hat!" (Anselm Grün) Das trifft -offensichtlich- auf keinen der "Big Player" zu. Sie sind immer noch gefangen in der Alten Denke vom Sieger & Verlierer. Dabei ist duch den von allen verursachten tödlichen Klimawandel die Menschheit insgesamt bedroht. Höchste Zeit für alle "Macher" den switch zum Paradigmenwechsle auch zu tun, Fossil zu beenden. Das 1,5 °C Ziel muss das Regulativ sein. Auch Russland kann sein Öl & Gas nicht "fressen!" Das Militärische insgesamt ist u.a. auch ein Turbo für Fossil. Selfdistroy hoch zwei! Quo vadis homo sapiens
Guten Morgen, den aktuellen Meldungen nach zu urteilen, hat sich Putin "um den politischen Verstand gebracht".
Meine Erwartung bzw. Hoffnung, die russische Armee würde die Ukraine nicht angreifen, war leider falsch. Spätestens nach Putins Rede hatte ich diese auch revidiert.
Ich würde mir wünschen, die russischen Soldaten und Offiziere verweigerten den Einsatzbefehl und verlangten die Absetzung von Putin und seiner Regierung und hoffe im Interesse der Menschen in der Ukraine und der Soldaten auf beiden Seiten, der Krieg findet ein schnelles (sofortiges) Ende und die Soldaten gehen wieder nachhause bzw. in ihre Kasernen und wählen Regierungen, die in ihrem Interesse handeln.
Einmarsch und Sanktionen – die Verlierer sind wir alle
So ist es.
Ich glaube übrigens überhaupt nicht an große Sanktionen des Westens. Die Hauptverlierer sind die Menschen in der Ukraine, die mir sehr leid tun. Dann kommt lange nichts. Und dann kommt der Rest Europas.
Putin und einige andere aus dem Kreml werden in Den Haag Anklagen zu erwarten haben und dürften Russland künftig nicht mehr verlassen, weil sie sonst verhaftet würden.
Es wird eine neue Weltordnung geben. Im besten Falle jedenfalls. Die alte ist tot. Das meine ich genau so, und es ist sehr gefährlich.
"und es ist sehr gefährlich."
Weltkriegsgefahr droht, wenn jetzt andere Staaten in den Krieg eingreifen würden. Putin drohte ihnen mit A-Waffen:
"Und mit Konsequenzen, "wie sie sie noch nie zuvor in ihrer Geschichte erlebt haben.""
"und es ist sehr gefährlich."
Weltkriegsgefahr droht, wenn jetzt andere Staaten in den Krieg eingreifen würden. Putin drohte ihnen mit A-Waffen:
"Und mit Konsequenzen, "wie sie sie noch nie zuvor in ihrer Geschichte erlebt haben.""
Das ist das Mindeste, was denen im versinkenden System der Kleptokratie und Kriegstreiberei geschehen müsste. Können ihren Gedankenmist inzuchtmäsig dan n in RU fortentwickeln .Die Grundlagen haben sie ja jetzt geschaffen.
Das bedeutet, daß die Chinesen bald billigen Strom aus russischen Gaskraftwerken erhalten werden.
Das bedeutet weiters, daß wir uns schwer tun werden, die chinesischen Vorgaben über den CO²-Ausstoß zu erreichen.
Das russische System versinkt nicht so schnell wie das westliche. Egal, wie man das moralisch bewertet.
>>Das bedeutet, daß die Chinesen bald billigen Strom aus russischen Gaskraftwerken erhalten werden.<<
Nicht Strom aus russischen Kraftwerken, sondern Gas aus Russland. Eine Röhre nach China existiert schon seit ein paar Jahren, die zweite ist im Bau oder schon fertig, das weiss ich nicht genau. Den Strom machen die Chinesen selber.
Südosteuropa, oder vielleicht plus Italien, kann über die türkische Linie beliefert werden. Da fliesst zwar auch Gasprom-Gas durch, aber na ja, wenn es aus der Türkei kommt ... ;-)
Den ökonomischen Block EAWU/China kann die NATO nicht knacken, weder ökonomisch noch militärisch. Das wird den USA vermutlich auch klar sein, aber wenn wenigstens das NATO-Europa von Russland endgültig abgeschnitten ist haben sie ja das Gewinnbare gewonnen.
Dann sollen doch die Griechen gefälligst ihr Territorium mit uns tauschen im Winter. Wir füttern die doch schon lange genug durch!
Bin gespannt, was für idiotische Argumente wir noch alle hören werden in den nächsten Wochen...
So ist es. Daher müssen wir uns in Europa endlich emanzipieren!
total überrachend ?
jetzt wär bei Ihnen selbst-mitleid eher angebracht: ob des peinlichen käses,
den Sie abgesondert haben, putins gefährlichkeit zu verharmlosen, die NATO zu dämonisieren...
ach, krokodils-tränen an der leiche? damit ist der mörder putin aber nicht vergessen...
1990 konnte ich mir noch eine NATO-freie Neutralzone Schweden-BRD-Österreich-Schweiz-Jugoslawien vorstellen. (spätere Erweiterungen nicht ausgeschlossen). Ein paar Leute mit denen ich darüber sprach meinten, der Gedanke hätte durchaus einen gewissen Charme. Aber natürlich keine Chance auf Realisierung.
ja, xi wird putin solange über wasser halten,
als er öl und gas von ihm zu günstigsten preisen bekommt.
Ihr arsenal an idiotien geht Ihnen offensichtlich nicht aus.
>>Putin und einige andere aus dem Kreml werden in Den Haag Anklagen zu erwarten haben und dürften Russland künftig nicht mehr verlassen, weil sie sonst verhaftet würden.<<
In China würden sie sicher nicht verhaftet, wahrscheinlich in Indien auch nicht.
Die banale Erkenntnis, dass der Westen samt NATO in hohem Maße am Konflikt beteiligt ist, wird in der nächsten Zeit wohl nicht von den Zuständigen geschöpft werden. Aber ohne diese Erkenntnis wird es nicht zum Frieden kommen.
Man müsste der USA und der NATO mal die erste Wahrheit mitteilen, und die müssten das auch kapieren:So sieht eben die russische Variante von regime change aus. Unangenehme Wahrheit. Für viele!
Was schlagen Sie nun vor zum weiteren Vorgehen? Einen nuklearen Erstschlag?
Falls nicht, rate ich dazu, auf Ihre Atmung zu achten.
Ich habe hier vielfach geschrieben - seit gestern Abend - dass ich den russischen Angriff verurteile. Und ich noch vor Kurzem nicht damit gerechnet habe, wie wohl sehr viele.
Es hilft nach wie vor nichts, Putin als das personifizierte Böse und den Hort aller Probleme zu sehen, ohne Gedanken links und rechts davon. Man wird sich nach wie vor mit ihm einigen müssen - und Sie können sicher sein, dass CN, USA, F, UK, usw. dies wissen.
das lag wohl nicht in Ihrer macht, putin von schrecklichen dummheiten abzuhalten....
aber gedanklich vorbereitet haben Sie sein tun schon. und entpersönlichen den täter noch jetzt.
daß putin auf ein herrschafts-system zurückgreifen kann, auf des-informierte und ent-machtete,
ist aber auch sein werk. und das seiner verharmloser...
Sie rattern ja wie ein MG durch die Foren. Weiter so!
"daß putin auf ein herrschafts-system zurückgreifen kann, auf des-informierte und ent-machtete,..."
Könnte man genau so auch von Scholz behaupten.
sag ich doch: Sie bleiben auf linie !
ich will niemand umlegen/aus-löschen, nur hirn rütteln...
Anders habe ich Sie auch nie verstanden.
Russland geht es nicht um Gas. Alle Putin-Versteher hier verstehen bisher vielleicht nicht, wie krank der Mann ist. So "krank", dass er glatt seine eigenen Leute mit ins Grab nehmen will. Wir stehen hier vor einem Atomkrieg, weswegen niemand von außerhalb sich traut, ebenfalls pure Gewalt anzuwenden. Deshalb das ganze Hin-und-her-telefonieren. Ich hoffe, dass in solchen Foren die Propaganda endlich mal ein Ende hat.
Russischer Strom für Chinesen, darin besteht ja der Clou: der CO²-Ausstoß in China ist null!
Die Chinesen werden als Klima-Vorreiter auf Import-CO² eine Einfuhrsteuer einheben. Sie selbst importieren ja sauberen Strom und den Russen kann die Umweltbilanz egal sein, denn von denen dürfen wir ja ohnehin nichts kaufen.
>>Südosteuropa, oder vielleicht plus Italien, kann über die türkische Linie beliefert werden. Da fliesst zwar auch Gasprom-Gas durch, aber na ja, wenn es aus der Türkei kommt ... ;-)<<
Mal sehn wie lange noch. Der serbische Präsi durfte gestern das Vergnügen haben, von EU sowie den Botschaftern der üblichen Verdächtigen unter Druck gesetzt zu werden. Es geht um Gas & Sanktionen gegen die RF, an denen sich Serbien bislang nicht beteiligte. Bzgl. Gas, wird es ähnliche ´Meetings´ in der Türkei, Bulgarien etc. gegeben haben.