Sag mal, spürst du das nicht?

Sensibilität Smartphones machen impotent, und WLAN löst Allergien aus: von Illusionen und Gefahren
Ausgabe 39/2015
Tipps für den Profi: Strahlenschutz leicht gemacht
Tipps für den Profi: Strahlenschutz leicht gemacht

Foto: Three Lions/AFP/Getty Images

Eltern klagten gegen eine Schule in Massachusetts. Ihr schulpflichtiges Kind sei vom neu installierten WLAN krank geworden und bliebe nun zu Hause. Die Schule ließ testen: Alle Grenzwerte für die Funkstrahlen wurden deutlich unterschritten. Die Eltern verloren den Prozess. Die Liedermacherin Joni Mitchell leidet am Morgellons- Syndrom. Kaum definierbare winzige Fasern ließen sie schwer erkranken. Gibt es gar keine Strahlenbelastung, existieren die Fasern nicht? Waren sie beide vom Nocebo-Effekt befallen?

Nocebo bedeutet: Schon die Vorstellung, Fasern oder eine überall vorkommende Strahlung könnte schädlich sein, macht krank. Vor Jahren stritt man hierzulande noch heftig um Mobilfunkmasten neben Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern. Eltern, Lehrer und Umweltmediziner fordern beharrlich: „Smartphones aus!“, in Klassenräumen und Hosentaschen. Macht die Strahlung blöd und impotent, so nahe den Hirnen und Keimzellen? Die Zahl der strahlen- und stoffsensiblen Menschen wächst – die Industrie reduziert träge die Energieabstrahlungswerte (SAR) ihrer Geräte, die an Ohren, Hirnen, Herzen und Unterleibern wirken. Ein dauerhaftes Feld ultrahochfrequenter Strahlen umgibt uns, unsichtbar, nie völlig ohne Wirkung. Es lassen sich fast immer biologische Effekte nachweisen, aber ob die schaden, bleibt oft ungesichert.

Für Dauertelefonierer und Dauersurfer, die ihr Endgerät immer nahe bei sich und eingeschaltet haben, deuten sich, nach neuen Studien, Risiken an. Von der Entstehung eines Hirntumors bis zu Verhaltensauffälligkeiten und chronischer Erschöpfung häufen sich die Indizien. Es wäre also töricht, Krankheitsfälle, Tierexperimente und Zellkulturversuche zu ignorieren. Man sollte jede zusätzliche technische Strahlung begrenzen, nach dem quadratischen Abstandsgesetz Distanz schaffen und die Einwirkzeiten gering halten.

Die Eltern aus Massachusetts scheiterten juristisch. Ideell erhalten sie wissenschaftliche Unterstützung von der Kinderneurologin der Harvard Medical School, Martha Herbert. Die warnt, nach gründlichen Recherchen. Die nationale Gesundheitsbehörde der USA schlägt in einem vorläufigen Bericht strengere Richtlinien für die WLAN- und Mobiltelefonpraxis in Schulen vor. Ins gleiche Horn bläst die WHO und das russische Nationalkomitee für die Sicherheit nichtionisierender Strahlung.

Durch Strahlen, Chemikalien, Viren und Bakterien krank zu werden, ohne realen Anlass, kann ganze Gemeinschaften befallen. Berühmtheit erlangte ein Fall aus dem British Medical Journal, 1982. Dutzende Mädchen einer Comprehensive School erlitten, über Monate hinweg, unerklärliche Ohnmachtsanfälle. Eine materielle Ursache fand sich nicht. Einige erhielten gar, aus Verlegenheit, Antiepileptika. Nach 18 Monaten endete der Spuk so abrupt, wie er begonnen hatte.

Im Sommer 2014 litten kolumbianische Schülerinnen unter Hysteriesymptomen. Die Bevölkerung dachte jedoch, es sei die Folge einer Impfkampagne. Seltsam, wenn Symptome nur bei einem einzigen Kind auftreten, wie in der Schule in Massachusetts. Wegen Schulstress oder einer psychosomatischen Störung, die unter Umständen das Kind als Symptomträger einer elterlichen Anpassungsstörung sichtbar macht. Da sollte man eher Psychologen bemühen, statt das WLAN abzuschalten.

Christoph Leusch ist Mediziner und bloggt auf freitag.de

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