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PARABEL VOM MÜNDEL Weshalb mit den "neuen Bundesländern" endlich Schluss gemacht werden muss

Warum wird eigentlich hierzulande immer noch über die "neuen Länder" geredet? Fast zwölf Jahre ist es her, seit die ostdeutschen Regionen an die "alte" Bundesrepublik verfassungsmäßig angeschlossen worden sind. Aus Sicht einer amerikanischen Politologin, die sich seit 20 Jahren mit beiden Teilen Deutschlands beschäftigt, halte ich die Bezeichnung "neue Bundesländer" sowohl historisch als auch politisch für längst überholt. Dementsprechend sollte sie nun endlich als Versatzstück aus dem Medienwortschatz sowie dem politischen Verkehr gezogen werden, je früher desto besser. Der Begriff dient in erster Linie dazu, den Ostbürgern einen Zustand der permanenten Unmündigkeit zuzuschreiben. Er unterstellt so etwas wie eine genetisch angelegte Unbelehrbarkeit, die nicht nur kognitiv, sondern auch psychisch belastend auf die Ostbürger wirken muss; er ist außerdem optimal dazu geeignet, ihnen soweit wie möglich die Teilnahme an bundesweiten Entscheidungsprozessen vorzuenthalten, als wären sie tatsächlich nicht erwachsen genug, um Entscheidungen - zum Beispiel über "Krieg und Frieden" - mitzubestimmen. Dies sei nur angemerkt, weil eine östliche Mehrheit gegen die Ausweitung militärischer Einsätze der Bundeswehr zu sein scheint. Es geht allerdings nicht um eine spezifisch ostdeutsche Meinung zu diesem oder jenem Thema, sondern um ein primäres Beteiligungsrecht an dieser Demokratie. "Neu" sind die fünf ostdeutschen Länder sowieso nur für Westbürger, dabei kann man grob drei Gruppen unterscheiden: Einmal solche, die an der "Wiedervereinigung" sowieso nie Interesse hatten; dann solche, die stinksauer sind, dass "ihre" mühsam verdienten Steuergelder als Transferleistungen an die fünf Länder abgeführt werden. Und drittens solche, denen die Ostländer regelmäßig aus wahlstrategischen Überlegungen eine Entdeckung wert sind, wie dem Herrn aus Bayern, der jahrelang gegen eine weitere Ostförderung auf Westkosten gewettert hat. Derartige kleinkarierte Manipulationsversuche, die hinter jedem Stoiber- beziehungsweise Schröder-Besuch im Osten stecken, sind so offensichtlich, dass sie ausgesprochen peinlich auf mich als teilnehmende Beobachterin wirken. Natürlich werden solche Besuche immer häufiger, je näher der Wahltermin rückt. Warum fällt es den Westdeutschen so verdammt schwer, die Ostdeutschen politisch und wirtschaftlich ernst zu nehmen? So aktuell wie vor zwölf Jahren sind die Lücken zwischen Ost und West in punkto politischer Vertretung und Verantwortlichkeit. Den fünf Ostländern stehen im Bundesrat elf Westländer gegenüber, wobei den vier bevölkerungsreichsten Westländern eine Sperrminorität zukommt, die den ostdeutschen 1990 bewusst vorenthalten wurde. Mit 523 zu 139 Sitzen im Bundestag stößt die ostdeutsche Minderheit unter den Abgeordneten außerdem immer wieder gegen die Wand der "Parteidisziplin", auch wenn sie unter sich durchaus einig sind. Zugespitzt könnte man sagen, in keiner der relevanten Interessenvermittlungsorganisationen des Landes haben die Ost-Interessen intern auch nur die mindeste Durchsetzungschance. Die Vertretungslücke könnte kaum größer sein. Es fällt manchmal schwer, den Studierenden in den USA klar zu machen, dass die Vereinigung nicht in erster Linie durch Ronald Reagan, sondern durch einen atemberaubenden Akt ostdeutscher Selbstbehauptung zustande gekommen ist. Für meine 18- bis 22-jährigen Studenten bedeuten zwölf Jahre mehr als die Hälfte ihres Lebens. Mein zehnjähriger Sohn rastet total aus, wenn ich ihn als mein "Baby" bezeichne: zu Recht. Das Bevormundende, ewig Gestrige hat mit Demokratie und Mitbestimmung nichts zu tun. Geographisch korrekt und politisch empfehlenswert ist die Bezeichnung "Ostdeutschland", die gleichberechtigt neben Süddeutschland und Norddeutschland stehen kann. Aber hört mir bloß endlich auf mit den "neuen Bundesländern"!

Prof. Joyce Marie Mushaben lehrt an der University of Missouri/St. Louis und an der Humboldt-Universität

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