Als Ende vergangener Woche bekannt wurde, dass die Koalition über ein moderates "Abschmelzen" des Ehegattensplittings verhandelt, brach große Entrüstung los im deutschen Blätterwald. "Neidfaktor" titelte die FAZ, der Tagesspiegel sah einen "autoritären Ansatz" und "Volkserziehung" am Werk; verfassungswidrig, weil unsozial, befand Die Welt. Selbst die Süddeutsche, die das rosa-grüne Reformprojekt gemeinhin wohlwollend begleitet, sah sich diesmal zu der Feststellung veranlasst, um den längst überfälligen Ausbau der Kinderbetreuung zu finanzieren, sei das Ehegattensplitting doch, bitte schön, die falsche Finanzquelle. Warum eigentlich?
Womöglich sagt die ventilierte Aufregung mehr über Lebensmodelle und die Gehälter von Reda
modelle und die Gehälter von RedakteurInnen bei großen Zeitungen aus als über den tatsächlichen Sachverhalt. Denn vom deutschen Sonderweg der steuerlichen Begünstigung für Ehepaare profitieren vor allem jene, bei denen einer viel und die andere wenig oder überhaupt nichts verdient. Ist das Gesamteinkommen gering oder verdienen beide gleich viel, ist der Splittingvorteil nämlich gleich Null. Die 23 Milliarden Euro, die das Ehegattensplitting die Gesellschaft Jahr für Jahr kostet, kommen also vor allem einer Personengruppe überproportional zugute: den Einverdiener-Ehen mit mittlerem und hohem Einkommen.Auch dass mit dem Ehegattensplitting in erster Linie Familien gefördert werden, wie häufig behauptet wird, ist schlichtweg falsch. Zum einen wächst heute bereits ein Drittel der ostdeutschen und ein Fünftel der westdeutschen Kinder bei Eltern(teilen) ohne Trauschein auf. Umgekehrt leben mittlerweile drei von fünf Ehepaaren in einem Haushalt ohne minderjährige Kinder. Das betrifft kinderlose Ehepaare, aber auch solche, deren Kinder längst auf eigenen Füßen stehen. Und auch deren Anteil steigt. Steuerlich begünstigt wird durch das Ehegattensplitting also vor allem das westdeutsche Auslaufmodell der Mittelstandsfamilie, in der Frauen fünf, zehn oder auch vierzig Jahren zu Hause bleiben - zuerst weil keine Kinderbetreuung zur Verfügung steht, dann weil der Verdienst des Ehemannes so hoch ist, dass der erwirtschaftete Mehrverdienst ihr - nicht ihm - zum größten Teil gleich wieder von der Steuer abgezogen würde. Und schließlich sind sie so lange aus dem Beruf raus, dass ihre Chancen, einen qualifizierten Job zu finden, ohnehin gegen Null gehen. Mit Wahlfreiheit hat all das wenig zu tun.Dass diese Entwicklung kein Zufallsprodukt ist, zeigt schon die Geschichte des Ehegattensplittings. Nach dem Krieg galt in der Bundesrepublik zunächst die von den Nazis 1934 eingeführte zwangsweise Zusammenveranlagung: Wollte eine Frau auch in der Ehe partout nicht von der Erwerbstätigkeit lassen, wurde ihr Gehalt einfach dem des Mannes hinzuaddiert und die Gesamtsumme besteuert. Aufgrund der steuerlichen Progression sei das eine klare Schlechterstellung gegenüber Unverheirateten, urteilte 1957 das Bundesverfassungsgericht und entschied: nicht verfassungskonform. Anstatt nun aber lediglich die beanstandete Ungleichbehandlung durch eine Individualbesteuerung zu korrigieren, votierten die Parlamentarier für ein System, das ihrem eigenen konservativen Familienideal und dem der fünfziger Jahre entsprach: Das Gesamteinkommen eines Ehepaares wird seitdem durch zwei dividiert und jeder Teil einzeln versteuert - der Splittingvorteil für die gut situierte Einverdiener-Ehe war geschaffen.Eine verfassungskonforme Lösung? Die Juristin Franziska Vollmer, die über das Ehegattensplitting promoviert hat, sieht das anders. Einen Schutz von Ehe und Familie schreibe das Grundgesetz zwar vor, nicht aber eine gezielte Förderung. Zumal unklar ist, worin die finanzielle Mehrbelastung durch die Ehe eigentlich bestehen soll - verheirateten SozialhilfeempfängerInnen jedenfalls gesteht der Staat nicht mehr, sondern weniger als das Doppelte des Regelsatzes zu.Vollmer plädiert deshalb für eine konsequent durchgeführte Individualbesteuerung. Anders die Frauen- und Familienverbände - sie bevorzugen ein so genanntes Realsplitting mit Freibeträgen für alle Familienangehörige. Zwar klingt die Forderung nach zusätzlicher steuerlicher Entlastung für Familien einleuchtend. Doch begünstigt auch ein Familiensplitting diejenigen überproportional, die viel verdienen. Sozial gerechter ist es allemal, die steuerlichen Mehreinnahmen in (kostenlose) Kinderbetreuungseinrichtungen und gut ausgestattete Ganztagsschulen zu stecken. Denn davon profitieren alle.Was das Ehegattensplitting angeht, ist die Koalition also zumindest auf dem richtigen Weg. Vorwerfen muss man der SPD vor allem eins: dass sie beim "Abschmelzen" der antiquierten Zuhausebleib-Prämie für Besserverdienende so dermaßen zögerlich vorgeht.