Eine privilegierte Gegend im Berliner Grunewald lebt unter Hitler im Schatten der Welt
1941 Die NS-Diktatur kann dem bürgerlichen Leben der Berliner Grunewald-Villen nur wenig anhaben. Das gilt auch im „Haus Sombart“, bis sein Mäzen an „Lebensverdruss“ stirbt
Bescheidener als die Nachbarn: Werner Sombart an seinem Schreibtisch
Foto: Ullstein Bild/Getty Images
An der feinen Humboldtstraße 35a im Berliner Grunewald steht heute ein schmuckloses Mietshaus, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, umgeben von prachtvollen Villen. Die Bombardierungen im Krieg machten auch vor dieser Gegend nicht halt, in der Nicolaus Sombart, der Sohn des berühmten Soziologen Werner Sombart, seine Jugend verbrachte. Er schrieb darüber in seinem Buch Jugend in Berlin, das mit dem Satz beginnt: „Das Grunewaldviertel ist immer etwas Besonderes gewesen, das kann man auch heute noch spüren.“
Sicher wohnen weiterhin begüterte Zeitgenossen an diesem Ort, doch das üppige gesellschaftliche Leben, an dem Sombart damals teilhatte, ist verschwunden. Im Gegensatz zu den Nachbarn wohnten die Sombarts relativ bescheiden. Zum Personal geh
um Personal gehörten lediglich, wie Nicolaus Sombart notiert, ein Dienstbote, eine Mamsell, ein Zimmermädchen, ein Hausmeister-Ehepaar und eine französische Gouvernante. Dazu kam noch, bei speziellen Gelegenheiten, ein Butler, der ein paar Häuser weiter wohnte. Das sei wenig gewesen im Vergleich zur Nachbarschaft, so Sombart. Schon aus dieser Personalsituation erkennt man den Unterschied zu heutigen Gepflogenheiten im Grunewald.Sombarts Vater, schon älter und ein Gelehrter aus großbürgerlichen Verhältnissen, verbrachte viel Zeit in der hauseigenen Bibliothek im Dachgeschoss. Die Mutter war eine temperamentvolle Rumänin aus einer alten Bojarenfamilie, dreißig Jahre jünger als ihr Mann und Gastgeberin eines berühmten Salons, in dem Künstler, Gelehrte, Diplomaten und „allerhand wunderliche Berühmtheiten“ verkehrten. Der junge Nicolaus erlebte viele Empfänge und Diners im „Haus Sombart“. Wie man sich denken kann, war diese bürgerliche Lebenskultur nicht zuletzt jüdisch geprägt. 1945, nach Kriegsende, ließen sich davon bestenfalls noch Spuren erkennen.Während sich Berlin in den Hitler-Jahren kolossal veränderte, ging dieser Wandel im Grunewald langsamer vonstatten. „Wir lebten auf einer Insel“, fasst es Nicolaus Sombart zusammen, Nazi-Fahnen wurden widerwillig gehisst, und statt zur Hitler-Jugend ging der junge Sombart noch 1933 zur Bündischen Jugend, die in der Tradition des Wandervogels stand. Sombarts Vater starb 1941 an „Lebensverdruss“, die Nazi-Herrschaft ließ den gebildeten Mann, seines Zeichens Geheimrat, verzweifeln. Sein letztes Werk war eine Hymne auf die Größe Preußens, den preußischen Geist, gleichzeitig eine Kritik am Deutschland dieser Jahre unter der NS-Diktatur.Die Salons im „Hause Sombart“ unterschieden sich von Salons in Städten wie Paris oder Wien, weil Berlin über weniger Aristokratie verfügte. So spielten die Botschaften der verschiedenen Länder eine größere Rolle. Der Salon fand in „Mamans Boudoir“ statt, ausgestattet mit Ohrensesseln aus grünem Saffianleder, einem Diwan, rumänischen Teppichen, Teewagen und Kristallschalen für Gebäck. Wer geladen war, erhielt durch Boten handgeschriebene Einladungskarten, die natürlich postwendend beantwortet werden mussten; eine telefonische Antwort war aber ausreichend. Man erschien als Herr im Smoking und als Dame im Abendkleid. Oft waren die Salons mit mehrgängigen Essen verbunden, deren Reste das Hausmädchen dem kleinen Nicolaus ins Kinderzimmer brachte. Für die Geselligkeit dieser Essen war die Tischordnung, das „placement“, von großer Wichtigkeit, unter anderem musste die diplomatische Rangfolge beachtet werden. Allein das Decken der Tafel für solcherlei Festessen beanspruchte einen halben Tag.Neben den Salons gab es die „Kleinen Abendessen“ und Einladungen zum Mittagsmahl, welches man „Frühstück“ nannte. Zu großen Tee-Empfängen mit Petits Fours und Canapés kamen gern 50 bis 60 Personen ins Haus, die dann – mit der Teetasse in der Hand – Konversation betrieben. Wobei nicht wenige Gäste ihre Marotten hatten. So verlangte beispielsweise ein Graf Hermann Keyserling, wenn er eingeladen wurde, das Vorhandensein von „Champagner und schönen Frauen“. Eine wichtige Rolle spielten auch die Exilrussen, die im Kiez um die Nachodstraße zu Hause und vor Stalin aus der Sowjetunion geflohen waren. Zum Eklat kam es, als einer von ihnen – Grigol Robakidse – ein Buch über Adolf Hitler veröffentlichte. Eine Lobeshymne! Von Joseph Goebbels persönlich wurde es auf die Liste der lesenswerten Bücher gesetzt. Grigol durfte trotzdem weiter im Salon erscheinen, man wollte den „Fehltritt“ nicht ernst nehmen.Natürlich spielte auch die Sexualität, besonders die Sexualität, wie sie in Deutschland gelebt wurde, eine Rolle bei den Konversationen im Salon. „Nicht nur die Befreiung der Frau von ihrer rechtlichen und gesellschaftlichen Unterdrückung, sondern auch die Erlösung des Mannes von den Zwängen des Männerstaates, die Freisetzung seiner weiblichen Komponente“, schreibt Sombart, um dann auf das unvermeidliche Thema Homosexualität zu kommen. Er trat dafür ein, dass jeder die Chance haben sollte, seine Bisexualität, also die männliche und die weibliche Komponente seines Selbst, voll auszuleben. Dem voran ging das sexuelle Erwachen Sombarts, das er ausführlich beschreibt. Er erinnert sich, als „Knabe Sombart“ von Männern umworben gewesen zu sein, aber über „Abwehrmechanismen“ verfügt zu haben. Er habe sie der Aura seiner Mutter verdankt, die ihn als Kind mit ihrem matriarchalischen Eros prägte.In den 1960er und 1970er Jahren lebte Sombart in Paris, er lehrte an Universitäten in Ulm, Freiburg und Wuppertal. 1982 zog er nach Berlin, lehrte an der Freien Universität und arbeitete als Schriftsteller. Zu seinen Werken zählen: Die deutschen Männer und ihre Feinde, Pariser Lehrjahre, Rendezvous mit dem Weltgeist und Rumänische Reise. Ins Land meiner Mutter.Die Jugend im Grunewald hatte ihn geprägt, umso mehr fühlte sich Sombart 1945, nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft, seiner Heimat beraubt. „Hitler hat nicht nur Deutschland zerstört, sondern auch meine rumänische Heimat, nicht nur unser Haus im Grunewald, sondern auch das schöne, weiße Haus am See bei Bukarest“, heißt es am Ende des Buches Jugend in Berlin.Von 1985 bis 2007 veranstaltete er jeden Sonntag einen sogenannten „jour fixe“. Dort versammelte sich die Berliner Boheme, wer regelmäßig kam, nannte sich „Habitué“. Dazu zählten Günter Faltin, der Gründer der Teekampagne, der Journalist, Diplomat und Verleger Lord Weidenfeld, die Malerin, Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin Erika von Hornstein, der Politiker Heinrich Graf von Einsiedel, der Kunstsammler und Galerist Heinz Berggruen und die Kulturhistorikerin und Schriftstellerin Marie-Louise von Plessen. „Ich war ungefähr von 1997 bis 2007 dabei“, erinnert sich Günter Faltin (78). „Es ging immer so gegen 4, 5 Uhr los und dann bis 8,9 am Abend. Normalerweise kamen 15 – 20 Leute, die Hälfte davon Frauen, in die große Wohnung mit den zwei Säulen in der Mitte des Raums.“ Sombart, so Faltin, saß immer in seinem Lehnstuhl und hatte einen kleinen Kreis um sich versammelt. Die anderen machten auf „Stehparty“ und genossen Tee und Kuchen. Ein vorgegebenes Thema, wie in anderen Salons, gab es nicht, jeder konnte über Gott und die Welt sprechen. „Wobei es bei Sombart meist um seine Bücher ging“, so Faltin. Und über Sombarts Vater, „der war ja in gewisser Weise ein Kontrapunkt zu Karl Marx“, Stichwort: „Innovation durch Adel“.2008 starb Nicolaus Sombart, damit war der Salon zu Ende. Das Buch Jugend in Berlin wird vom Hanser Verlag nicht mehr verlegt, es ist nur noch im Antiquariat erhältlich. Warum das so ist, wollte der Verlag auf Anfrage nicht mitteilen. Den „Salon Sombart“ an der Wilmersdorfer Ludwigkirchstrasse 10a gibt es immer noch, allerdings finden keine regelmäßigen Begegnungen mehr statt.Placeholder infobox-1
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