Salut, Alain Lance

ALAIN LANCE m 60. Geburtstag des französischen Dichters und Übersetzers

Das Leben ging in langen Fluchten hin
Der rote Vorhang draußen Blätterwind
Unglück Untat mechanisch aufgezählt
Die Bilder toter Herrscher blicken blind
Es hat an Hoffnung nicht an Kampf gefehlt
Es steht vor Augen es ist aus dem Sinn

Die Durchsage aus dem Museum, in das unser Jahrhundert gerückt wird, ist hier in roher deutscher Übersetzung zu vernehmen, eine Dienstleistung (auch ins Persische und Makedonische wird sie übertragen); im Moment der Verwandlung unserer gefeierten Einrichtung in den historischen Sperrmüll oder das tote Wissen der Datenspeicher (auf CD-rom gezählt: heißt es im Original, CD-romerzählt) hält das Gedicht den Raum offen, in dem sich das Leben verlief, in dem es mit der Zeit verlorenging. Eine Zimmerflucht; die Natur draußen weht und webt (ihr lebendiges Band), der Mensch flieht/vermisst den Zusammenhang, man erinnert zugleich sich und vergißt, es steht vor Augen und hat seinen Sinn verloren, schmerzlicher gesagt. Aber die Bilder, nummeriert oder nicht, sind ausgestellt, der ungeheure Fundus gegen den Angriff des Designes, das die Erfahrung löscht.

Es sind Bilder - die Durchsage deutet es an - vom Möbellager der stolzen Gewißheiten und von den Schauern des Laubs, Bilder voll Lust und scharfem Witz, aus Unbehagen (Ein Musketier gestrichen voll Senf/ Ein An drang von Säuen auf die Dämmerung / Eine Spitzelkehle aufgesperrt im Wind) und Behagen (Freilich warum nicht Frühling/ Wir fiebern doch, daß seine flauen Flöten / Uns töten mit Mosik und Musak / ... / Vorwärts an Gewürze und Gewehre / Denn das Leben etc. - geht hin!). So wie sie, mit Zweifeln, gemacht sind, zeigen sie unzweifelhaft das glückliche, entschiedene Naturell des Verfassers.

Sie stehen hier aber in meiner Sprache, und meine Sätze gibt es in der seinen: was lässt sich Verbindenderes denken? Seit Alain Lance im Winter 1964 in mein Leipziger Studentenzimmer trat, die Pelzmütze auf dem Kopf, der Hemdkragen offen, und sich nach dem Dichter, der ich kaum war, erkundigte, war eine meiner Türen französisch. Was mich anzog, war der sinnliche Geist des Quartier Latin, die Tradition einer undidaktischen Lyrik und ein libertärer Sozialismus. Der Wärmestrom kam (man erinnere sich) eine Zeitlang aus dem Westen, es gab ein Wort dafür (der Eurokapitalismus macht es vergessen). Frankreich nahm an dem "anderen Deutschland" Interesse; der Übersetzer Franz Fühmanns, Christa Wolfs aufs intimste, kritischste: Während sich unsere Grüße kreuzen / in den deutsch-französischen Postsäcken / (die Kutscher des Bonaparte / eilten nicht minder mit Weile ) / Während wir in der Distanz das Glas erheben / (Unter der Stolzen Sonne Rot: die euch eher / ernüchtert, wohingegen ihr wartet / bis morgen auf die nagenden Regen) / Während wir, während friedlicher Treffen / (Zivile Flugzeuge! Poröse Grenzen!) / Texte tauschen und Flüssigkeiten / Während während während / Kaderwelsch oder Warenknechte.

Es hat uns an Hoffnung nicht an Kampf gefehlt (man mag, nach eigenem Urteil, ein Komma setzen); in Prag, Paris, Berlin ist sie begraben. Das Verschwinden dieser berühmten Landschaft kommentierte der Regisseur Bernard Sobel am Telefon: "Es ist bitter, aber es ist schön. Die Katastrophe war vorher." Das Jahrhunder hat andere Katastrophen gesehen. Es hat Ideen verwirklicht und verwurstet und Leiber ohne Zahl zermahlen. Das Jahrhundert hatte viel Blut zu verlieren / Es heißt, das Maß sei noch nicht voll. Die Sprachen, in die der Vers übertragen wird, Persisch, Makedonisch, haben dafür eigene bestürzende Bilder. Sie konkretisieren den Sinn und Widersinn der Erfahrung aus jenem Epochenraum, der sich jetzt rabiat schließt: ouvert pour inventaire. Sein alter Bewohner, der Dichter, den es nie darin hielt, hört das Türenschlagen gelassen. Er ist noch von dort zu hören, Die Lippe leicht an dem Riß der Zeit, und auch von andersher. Jeder rudert allein seinem Ende entgegen, aber / Die Wasser mögen noch anderen Fahrgästen singen / Die in den Wipfeln die entschlossenen Schwärme sehen / Im steten Verblühen der Jahreszeiten / / Falls das Echo der versunkenen Gemetzel nicht dreckig überquillt / An der Mündung unsres Jahrhunderts. - Salut, mein Freund.

Alain Lance, der Dichter, Übersetzer, lange Leiter des Institut francais in Frankfurt (Main) und Saarbrücken, jetzt Direktor des Maison des ecrivains, wird am 18. Dezember 60 Jahre alt.

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