"Warm and cordial regards from the City of Yangon", heißt die Militärregierung die Besucher willkommen. Das Schild mit der Grußbotschaft steht vor einem prächtigen, goldverzierten Tor, das den Weg vom Flughafen zum Stadtzentrum von Yangon weist - über die Parademeile, am Universitätsgelände, an Botschaftsvillen und am Volkspark vorbei, durch dessen Grün die Shwedagon Paya glitzert.
"Dort wohnt sie", flüstert der Taxifahrer, und nickt mit dem Kopf nach irgendwo um die Ecke. "Ich würde Sie hinbringen, aber die ganze Straße wird von der Armee bewacht. Wenn ich nur in die Nähe komme, notieren sie meine Autonummer. Auch für Sie ist das gefährlich." Ich sitze ganz still, es ist genau so, wie es mir meine burmesischen Freunde in
Freunde in Thailand prophezeit haben: Meine erste Begegnung in ihrem Lande würde die mit Aung San Suu Kyi sein. Die Friedensnobelpreisträgerin steht weiter unter Hausarrest, ungeachtet des Versprechens der Junta, nun mehr denn je eine Demokratisierung unter dem feierlichen Code Road Map for Democracy zu beginnen. Im thailändischen Mae Sod haben mir Mitglieder der Exil-Opposition erklärt, ihr Land brauche keine Schönheitsoperation, sondern den grundlegenden Wandel, eine neue Verfassung, die nationale Aussöhnung mit der Opposition und einer freien Aung San Suu Kyi. Sie segneten mich nach buddhistischer Art und mit einem warnenden Lächeln. Danach bin ich aufgebrochen in ihr Land.Das Gewerbe der alten DameIch bewohne ein Zimmer im obersten Stockwerk eines freundlichen Mittelklassehotels in der Innenstadt gleich neben der Sule Pagoda und dem Maha Bandoola Park. Vom Balkon sehe ich hinab auf schwarze Dächer, schwarze Fassaden, schwarz von ewiger tropischer Feuchte. Was nicht schwarz ist, sieht so aus, als würde es bis dahin nicht mehr weit sein. Ich suche nach einer Metapher für das, was all die Bauten um mich herum ausstrahlen, für das Gefühl, das sie in mir auslösen. Trauer, Depression, Lethargie? Können Häuser lethargisch sein?Hinter den Türmen der City Hall ragt die Spitze des schlanken Monuments im Maha Bandoola Park hervor, und die goldene Stupa der Sule Pagode leuchtet in der Abendsonne - ich nenne Myanmar zum ersten Mal "Traurige Schönheit".Am nächsten Morgen weckt mich der Gesang der Mönche aus dem nahen Tempel, es klingt wie: "Huha huha huha hu ..." Yangons Leben beginnt langsam und leise. Die Menschen sind auf dem Weg zur Arbeit, alle haben die kleinen Thermosbehälter bei sich, in denen sie ihr Mittagessen transportieren. Die Männer tragen Longuis, dieses Stück Stoff ohne Anfang und Ende, das sie kunstvoll um die Taille falten und vor dem Bauch mit einem Knoten festzurren. Die langen Röcke der Frauen nennen sich auch Longui, einen Knoten haben sie nicht.An der Haltestelle vor dem Maha Bandoola Park stehen die Leute mit ihren blitzblanken Thermoskannen und warten still auf den Bus. Drinnen hört man immer noch die Mönche mit ihrem eintönigen "Huha huha".Erst jetzt merke ich, warum es hier so ruhig zugeht: Es gibt keine Motorbikes wie in Hanoi oder Phnom Penh, die unablässig hupen und wie Heuschreckenschwärme über die Stadt herfallen. Die Straßen teilen sich Busse und Taxis, jede Menge Pickups und andere seltsame Vehikel."Hello, how are you?" fragt mich ein junger Mann und hält mir sein Baby zum Fotografieren hin. Ich darf auch die würdevolle ältere Dame ablichten, die den berühmten und vor allem unentbehrlichen Betel herstellt. Sie sitzt mitten auf dem Bürgersteig zwischen Obstständen und kleinen Werkstätten und hat auf ihren Tischen alles arrangiert, was sie zur Fabrikation der "Droge" braucht: die Blätter, die Gefäße mit verschiedenen kalkigen Pasten, die Nüsse, die von einer Palme namens Areca stammen und andere Zutaten. Auf das Betelblatt wird mit einem Pinsel die Mixtur der Pasten gestrichen. Hinein kommt die Nuss. Fertig ist der kleine Klumpen, auf dem dann gekaut wird, bis er seinen Dienst getan hat, bis er berauscht und die Zähne bräunt, bis er hingespuckt werden kann und hässliche Flecken hinterlässt. Es heißt, die Junta habe das Betelkauen vor Jahren untersagen wollen, um die Straßen sauber zu kriegen, aber eine Jahrhunderte alte Volkskultur, die in ganz Asien verbreitet ist, lässt sich nicht einfach verbieten. Also wird die schöne alte Dame auch weiterhin ihr Gewerbe betreiben.Ein Paar EinheitssandalenIch bin mit Yasmin verabredet, etwas abseits von der Sula Paya Lan, in einem französisch anmutenden Restaurant, das in einem modernen Einkaufsviertel liegt. Hier parken mondäne Wagen und mondäne Damen, die kein Longui, sondern Hosen tragen. Auch Yasmin. Ich war mit der hübschen Burmesin auf dem Bangkoker Flughafen ins Gespräch gekommen, als mir der Ball ihres Sohnes vor die Füße rollte. Sie hat seit der Studentenrevolte von 1988 in London gelebt, dort ihr Studium abgeschlossen, geheiratet, ein Kind bekommen und einen englischen Pass erhalten. Nun ist sie geschieden und nach Myanmar zurück gekehrt, als Managerin einer französischen Firma. Yasmin konnte seinerzeit unbehelligt ins Ausland gehen - ihr Name stand auf keiner Fahndungsliste der Generäle."Es ist nicht einfach für mich in Yangon. Ich bin eine allein erziehende Mutter mit modernen Ansichten, ich kleide mich nach westlicher Art. Meine Freunde, die heute noch im Exil leben, können nicht verstehen, dass ich wieder in Myanmar bin. Ich würde damit die Regierung unterstützen. Aber wie soll sich etwas ändern, wenn alle Oppositionellen im Ausland bleiben? Ich weiß, viele können nicht zurück, sie würden sofort im Gefängnis landen, aber ich habe keine Probleme, also kann ich doch versuchen, etwas zu tun. Die Menschen sind im Augenblick mutloser denn je."Kann es denn ewig so weitergehen, frage ich sie."Ich glaube nicht an den schnellen Wandel", erwidert Yasmin. "Die Menschen sind viel zu sehr mit dem täglichen Überleben beschäftigt, und sie haben noch immer Angst. Die Gefängnisse sind voll, überall gibt es Spitzel. Das System ist so korrupt, dass du dir sogar deine Bildungsabschlüsse kaufen kannst."Ich durchstreife die Stadt, längs und quer durch Straßen und Gassen, denen noch ein bisschen vom morbiden Charme des frühen 20. Jahrhunderts geblieben ist. Ich entdecke inmitten der vergehenden Pracht renovierte Fassaden, frisch angestrichen in hellblau, gelb und weiß. Satellitenschüsseln auf den Dächern, nicht überall, aber zahlreich. Dezent gefärbte Markisen über Geschäftseingängen, die Produkte von Samsung, Nikon, Philipps und Toshiba anbieten. Jede Menge Kopier- und Computerläden, gut besucht von jungen Leuten. Daneben kleine "Teestuben" mit ihren Hockerchen auf den Fußweg und den üppigen Pflanzen, die von den Balkonen darüber bis auf die Straße wachsen. Und dazwischen die Mönche mit ihren Sammeltöpfen, die wie Urnen aussehen."How are you?", fragen mich die Händler vom Straßenrand. Auch sie sind still und unaufdringlich. Wie überall gibt es auf den Märkten alles, aber doch viel weniger importierte Waren als in Thailand oder Vietnam. Ich kaufe ein Paar von den Einheitssandalen, die alle tragen, ein paar handgewebte Shan-Taschen für meine Freundinnen und einen Longui für meinen Enkel.Es wird langsam dunkel, die Laternen streuen ihr mattes Gelb. Irgendwann werden die Lichter ganz ausgehen; Stromausfälle sind alltäglich in Myanmar. Ich lege einen Schritt zu, um im Dunkeln nicht in irgendeinem Loch zu verschwinden, von denen es auf den Trottoirs viele gibt. Später stehe ich auf meinem Balkon und sehe die schwarze Stadt unter mir. Nur die Sule Pagode ist erleuchtet.Ein Foto mit San Suu KyiAm nächsten Tag mache ich einen Abstecher nach Mandalay, der alten Hauptstadt mit ihrem Königspalast und den buddhistischen Klöstern, die zu den bedeutendsten des Landes zählen.Aber ich bin nicht wegen Myanmars trauriger Schönheit in Mandalay, sondern wegen der Moustache Brothers, der populären Komödianten und Intimfeinde der Obristen. Jeder kennt sie, jeder weiß, wo sie wohnen. Und jeder scheint zu wissen, dass ich sie besuchen will. Heimliche Blicke weisen mir den Weg.Über einem offenen Eingang prangt ein Schild, rot-gelb auf weißem Untergrund. Einer Provokation gleich, steht dort: MOUSTACHE BROTHERS. Ein kleiner Schnurrbärtiger, schmächtig und angegraut, winkt mich mit lachenden Augen ins Haus. Im Foyer hängen Armeen von Marionetten in goldgewirkten und verstaubten Kleidern, ich sehe überall Fotos, Plakate, Theaterutensilien. Lu Maw ist der jüngere der Komödiantenbrüder und auch der einzige, der so viel Englisch kann, um ihre Geschichte zu erzählen."Es war der 4. Januar 1996, unser Unabhängigkeitstag. San Suu Kyi hatte viele Leute zu einer Feier in den Garten ihres Hauses in Yangon geladen. Auch die Moustache Brothers. Mein Bruder Par Par Lay hatte kein gutes Gefühl. Er sagte, er wolle nur mit Lu Zaw, dem dritten Brother, und einer kleinen Besetzung aus Tänzern und Musikern nach Yangon fahren. Ich sollte zuhause bleiben und mich um die Familie kümmern, falls irgendetwas passiert. Natürlich waren unter den Besuchern in San Suu Kyis Haus auch Leute vom Sicherheitsdienst, die sich anhörten, wie die Moustache Brothers die Generäle durch den Kakao zogen."Man ließ die Truppe erst einmal unbehelligt nach Mandalay zurückkehren, um sie dort festzunehmen, am 7. Januar, kurz nach Mitternacht. Es folgten Wochen in Untersuchungshaft, Folter und Misshandlungen. Dann durften die Musiker und Tänzer gehen, während Par Par Lay und Lu Zaw nach Yangon gebracht und vor Gericht gestellt wurden. Der Prozess erregte damals viel Aufsehen, ausländische Journalisten berichteten aus dem Gerichtssaal, auch San Suu Kyi war da. Doch den Moustache Brothers nutzte die ganze Öffentlichkeit wenig. Sie wurden zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt für ein paar Minuten Kabarett. Par Par Lays böse Vorahnung hatte sich erfüllt.Im Juli 2001 vorzeitig entlassen, bleibt den Moustache Brothers bis heute jeder öffentliche Auftritt untersagt, aber wer kann ihnen verbieten, im eigenen Hause Theater zu spielen? "Es ist nicht viel, was wir tun können, aber es ist etwas", sagt Lu Maw. "Wir stehen in allen Reiseführern, auf dem Cover des Lonely Planet ist sogar meine Frau abgebildet, die Touristen sind neugierig. Wir haben nur wenig Platz, für mehr als zehn Besucher reicht es nicht. Wir nehmen keinen Eintritt, die Leute geben, was sie wollen, es reicht zum Überleben. Eines Tages werden wir auch wieder vor unserem Publikum spielen."Ich betrachte die Fotos an den Wänden. Am Eingang sitzt ein schöner Marionettenbauer mit einer Zeitung, und dann kommen auch Par Par Lay und Lu Zaw. Keine Helden, nur Komödianten, die ihr Volk zum Lachen bringen wollen. Par Par Lay schenkt mir ein historisches Foto: Er mit Aung San Suu Kyi, blutjung. "We are friends", sagt er, viel mehr Englisch kann er nicht.Zurück in Yangon besuche ich das legendäre Strand Hotel, das von ausländischen Investoren aufwendig renoviert wurde. Das Personal steht wie in einer Kulisse herum. Ich höre, dass es derzeit einen einzigen Gast gibt. Trotzdem bleibe ich in einem der gemütlichen Korbsessel sitzen und lese in The new light of Myanmar, einem englischsprachigen Blatt für den Besucher aus dem Ausland, die burmesische Regierung fühle sich brüskiert, weil so wenig geschätzt werde, wie sie sich um das Wohl ihres Volkes sorgt. Und ich sehe von meinem Platz am Fenster die Menschen auf die Fähre strömen und sich in die übervollen Busse drängen. "How are you?", flötet mir ein hohes Stimmchen hinterher, als ich das Hotel verlasse und von irgendwoher wieder der Gesang von Mönchen durch die Luft schwebt.MyanmarStaatsform Militärdiktatur (Staatschef seit 1992 General Than Shwe) Bevölkerung Myanmar ist ein Vielvölkerstaat mit 135 verschiedenen Ethnien. Die größte ist die der Birmanen (Bamar) mit 70 Prozent Bevölkerungsanteil. Dazu kommen die Shan (8,5ÊProzent), die hauptsächlich im Shan-Staat des Landes leben. 6,2ÊProzent stellen die Karen, die überwiegend Christen sind. 2,4 Prozent gehören zu den Mon sowie Mon-Khmer, die im südlichen Kachin- und im Shanstaat zu Hause sind. Ferner stellen die Chinesen zwei und die Inder ein Prozent der Bevölkerung.Fläche 676.600 QuadratkilometerBIP / Einwohner 261 Dollar (2006)Einwohner 54, 1 Millionen (2006)
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