Die Bosnien-Kontaktgruppe und die Unterhändler auf Schloß Rambouillet werden dieser Tage auf ein verdrängtes Problem gestoßen: Geld. Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen konnte man in Belgrad vergessen geglaubte Töne hören. Predrag Simic´ vom Institut für internationale Politik, einer der wenigen »Eggheads« der Szene, rechnete vor, was die Südtirol-Autonomie, die er im übrigen auch im Kosovo für ein nahezu ideales Modell gehalten wird, den römischen Staatshaushalt jährlich kostet. Viel mehr jedenfalls, als Belgrad zahlen kann. Und Politiker ließen dezent den Hinweis fallen, daß eine optimale Autonomie nur in einem Umfeld der Stabilität gedeihen könne, und die habe nun einmal einen nicht zu unterschätzenden ökonomischen Aspekt.
Man kann es, wenn man will, auch ganz vulgär sagen: Die Serben wollen sich das Kosovo abkaufen lassen. Schon ganz zu Beginn der Krise im vergangenen Jahr war man in Belgrad spürbar enttäuscht, als der britische Außenminister Cook bei seiner ersten Intervention kein Geld dabei hatte. Den Sommer über, als die serbische Position sich dann trotzartig verhärtete, war vom »finanziellen Aspekt« nicht mehr die Rede. Jetzt - bezeichnenderweise zusammen mit einem kosovopolitischen Tauwetter - kommt das Thema wieder auf. Konkret will man nicht nur die Aufhebung verbliebener Sanktionen, sondern möglichst auch eine Kreditvereinbarung. Die durch Krieg und Sanktionen ruinierte jugoslawische Ökonomie braucht im Jahr etwa zwei Milliarden Dollar an Krediten oder Zuwendungen, und selbst in diesem glücklichen Falle, schätzt das Belgrader unabhängige Wirtschaftsinstitut, wird es mindestens zehn Jahre brauchen, bis das Land im Rating der Nationen seinen alten Platz wieder einnehmen kann. Der erste Schritt wäre der Zugang zu den internationalen Finanzorganisationen, aus denen die Bundesrepublik Jugoslawien - offiziell wegen der ungeklärten Nachfolgefragen, tatsächlich aber aus politischen Gründen - ausgesperrt bleibt. Als nach Dayton das Handelsembargo gegen Jugoslawien aufgehoben wurde, sorgten die USA dafür, daß eine »Außenmauer der Sanktionen« stehen blieb. Sie sollte erst fallen, hieß es damals, wenn Belgrad bei der Umsetzung der Daytoner Abkommens kooperativ bleibe und die Kosovo-Frage gelöst würde. Das erste Problem hat sich erledigt, seit die internationale Gemeinschaft die Dayton-Umsetzung selber in die Hand genommen hat, und das Kosovo-Problem, das zweite, soll ja gerade gelöst werden. Die Zeit für den Wiederaufbau Jugoslawiens scheint also gekommen.
Inzwischen hat sich allerdings, vor allem in Washington, die Überzeugung breitgemacht, daß Slobodan Milosevic´ auf Dauer keinen Frieden halten kann und weitere Krisen heraufbeschwören wird. Er muß also weg. Nichts wäre nach dieser Auffassung verkehrter, als sein Regime nun auch noch mit Krediten zu mästen - ganz abgesehen davon, daß man die Kriege im früheren Jugoslawien zunehmend mit dem strafrechtlichem Blick sieht, und es danach ein unverzeihlicher Fehler wäre, Milosevic´ für seine Taten auch noch zu belohnen.
Aus diesen Grundsätzen ist allerdings so leicht keine gescheite Politik zu entwickeln. Ließe man die Außenmauer der Sanktionen trotz serbischer Konzessionen in der Kosovo-Frage stehen, so brächte man wohl kein Abkommen zustande und müßte militärisch intervenieren. So könnte man das Kosovo vielleicht aus serbischer Herrschaft lösen, aber die nächsten Probleme stünden schon vor der Tür. Andauernde Belgrader Kompromißunwilligkeit hat in Montenegro die Sezessionswünsche inzwischen stark steigen lassen; der General, der schon vor über einem Jahr bereit war, mit einem Korps aus Serbien nach Montenegro hineinzustoßen und offenbar nur mühsam gestoppt werden konnte, ist von Milosevic´ inzwischen zum Generalstabschef befördert worden. Das nächste Szenario steht also schon. Krisenzeichen mehren sich auch in der Vojvodina. Die Koalition für die Vojvodina, die eine echte Autonomie für die nordserbische Provinz fordert, hat seit der letzten Wahl, bei der sie bereits die drittstärkste Kraft war, an Popularität gewonnen. Ihr Vorsitzender Dragan Veselinov will kein »Separatist und Sezessionist« sein, schließt aber nicht aus, daß Milosevic´ einen aus ihm machen könnte. Fatalerweise ist der Unmut in der Vojvodina vor allem wirtschaftlicher Natur - fortdauernde Sanktionen würden also den nächsten Konflikt nicht verhindern und den übernächsten sogar schon mit verursachen.
Bisher hat man das Jugoslawien-Problem vorwiegend als nationales gesehen. Das war nicht ganz falsch und insofern beruhigend, als man sich selber besser fühlen konnte und der heiligste Wert des Westens, das Portemonnaie, nicht weiter angetastet wurde. Darauf, daß das Thema sich rasch so verteuern würde, ist man schlecht vorbereitet. Theoretisch möglich ist die Variante, daß man Milosevic´ zum Rücktritt zwingt, indem man gewissermaßen einen Kreditsegen auf seinen Kopf aussetzt. Doch ist es unwahrscheinlich, daß dieses Modell so funktioniert, wie man hofft. Man würde damit weniger - die nach wie vor schwachen - serbischen Demokraten stärken, die sich zu einer »Allianz für Veränderungen« zusammengefunden haben, sondern eher eine Erosion in der Szene der Macht bewirken. Plötzlich wären alle möglichen Präsidenten, Minister und Manager unwahrscheinlich pro-amerikanisch.
Wenn dabei das System zu Fall käme, wäre das nicht weiter schlimm. Man muß aber fürchten, daß personelle Umsetzungen und selbst faire, international überwachte Wahlen die Vorherrschaft des Krisenproduktionsmechanismus in Jugoslawien kaum brechen würden. Der Trickreichtum der Belgrader Führungsschicht ist nicht zu unterschätzen. Am Ende hätte man wohl einen demokratischen Ministerpräsidenten gehabt, aber es profitierte - politisch wie einfach pekuniär - doch immer wieder die Familie Milosevic´.
Lesen Sie zum Thema KOSOVO auch:
Im Gespräch
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.