Obwohl Papst Johannes XXIII. 1963 noch im Sterben lag, meldete eine Schweizer Boulevardzeitung – notorisch sensations- und profitgierig – seinen Tod einen Tag zu früh. Der Chefredakteur schob die Verantwortung einem Setzer zu, der eigenmächtig gehandelt habe. Glaubhaft war das damals so wenig wie die Rechtfertigung der Rating-Agentur Standard Poor’s für ihre Falschmeldung, wonach Frankreich seine Triple-A-Note verloren habe, mit dem Hinweis auf Computerfehler. Viel schaden kann die Panne dieser Rating-Agentur nicht mehr. Deren Ruf tendiert gegen Null, seit sie sich im August um schlappe zwei Billionen Dollar verrechnete bei der Herabstufung des Spitzenschuldners USA. Kapitalismus findet momentan nicht nur mit Zockern im Casino statt, sondern auch mit Freig&
igängern aus dem Irrenhaus.Gerüchte über eine Zurückstufung von Frankreichs Bonität als Schuldner kursieren seit dem Sommer. Und Präsident Sarkozy fürchtet nichts mehr als eine solche Blamage, die ihm den Wahlkampf verhageln könnte. Als sich die Gerüchte im Umkreis des G-20-Gipfels verdichteten, griff er zum sprichwörtlich letzten Mittel: er erklärte Angela Merkel und die deutsche Wirtschafts- und Finanzpolitik unumwunden zum Vorbild und Maßstab Frankreichs. Eben noch spielte sich Sarkozy im Libyen-Krieg als Kriegsherr und Protektor auf und nun macht er sich zum Lehrling der Bundeskanzlerin. „Meine Arbeit“, sagte er jüngst, „besteht darin, Frankreich einem System anzunähern, das funktioniert“. Er erwähnte dabei die deutsche Staatsquote von 43,7 Prozent als Ziel gegenüber der aktuellen französischen von 52,7 Prozent. Eine Herabstufung Frankreichs würde nicht nur dessen Ruf als Schuldner beschädigen, sondern brächte auch die Bemühungen um die Größe des EFSF-Rettungsfonds schnell wieder ins Stolpern. Fällt Frankreich als Bürge des Fonds aus, wäre die beabsichtigte „Hebelung“ der 440 Milliarden auf eine Billion Euro illusorisch.Rente mit 62Gleich mit zwei Sparprogrammen will sich Frankreich als gelehriger Schüler Deutschlands und ordentlicher Schuldner profilieren. Die Rolle des Sparkommissars überlässt Sarkozy freilich seinem blassen Premier François Fillon. Der verkündete das zweite Sparprogramm am 7. November ohne den Staatspräsidenten, der sich lieber im warmen Licht seiner historischen Mission präsentiert: Am 4. November posiert er als Weltpolitiker mit Obama auf allen Kanälen, am 6. November zieht er in Straßburg – der Europa-Stadt – Bilanz über den G-20-Gipfel, am 9. November zelebriert er den 41. Todestag von Charles de Gaulles an dessen letztem lothringischem Wohnort Colombey-les-Deux-Églises und am 11.November – dem französischen Gedenk- und Feiertag an den „Sieg“ im Ersten Weltkrieg – eröffnet er in Meaux an der Marne ein Museum, das an die dortige Schlacht im September 1914 erinnert, bevor er mit Merkel in einer pompös-frivolen militärischen Inszenierung durch den Pariser Arc de Triomphe schreitet – der Mutter aller Siegesdenkmäler.Fillons Sparpläne geben und nehmen jedem ein wenig und suggerieren so Ausgewogenheit. Mit der moderaten Erhöhung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von 5,7 auf 7,0 Prozent – sie trifft vor allem Lebensmittel – holt er den kleinen Leuten 1,8 Milliarden Euro aus der Tasche, dafür müssen die großen Unternehmen eine Milliarde zusätzliche Steuern zahlen. Im Gesundheitsbudget werden 1,2 Milliarden Euro eingespart, dafür wird die Steuer auf Kapitaleinkommen auf 24 Prozent erhöht, was ganze 600 Millionen in die Staatskasse bringt. Das heißeste Eisen, das Fillon anfasst, ist die Rentenreform. Mit der vorgezogenen Umsetzung des Renteneintritts mit 62 Jahren, die die Jahrgänge 1952- 1956 betrifft, gerät er auf Kollisionskurs mit den Gewerkschaften, der Opposition und der Stimmung im Volk. Diese „Reform“ bringt zwar 2012 nur 100 Millionen Euro an Einsparungen, birgt aber erheblichen Sprengstoff – die Einführung der 35-Stundenwoche und der Rente ab 60 gehören zu dem, was die Sozialisten als ihre Errungenschaften betrachten. Genau deshalb stellt Sarkozy den Kampf gegen die beiden Eckdaten in den Vordergrund seines Wahlkampfs. „Die 35-Stundenwoche hat die Wettbewerbsfähigkeit des Landes ruiniert. Die Rente mit 60 war eine Dummheit“, lautet sein Slogan.Schöne GeschenkeWährend Sarkozy mit der zu hohen Staatsquote und zu umfangreichen Sozialbeiträgen argumentiert, verweist sein sozialistischer Antipode François Hollande auf die 75 Milliarden Euro Steuergeschenke, die die Konservativen im vergangenen Jahrzehnt an ihre Klientel verteilt haben. Insofern ist die konservative Klage darüber, „das Defizit und die Staatsschulden“ seien „in gewisser Hinsicht die Droge der Staaten, die Angst haben, sich zu modernisieren“ (François Fillon) scheinheilig, denn Steuergeschenke und wachsende Verschuldung sind nur die beiden Seiten einer Medaille.Die Achillesferse von Hollande bleibt sein beharrliches Schweigen darüber, wie er den Staatshaushalt ausgleichen und zugleich die Schuldenlast reduzieren will, denn beides ist unumgänglich, wenn Frankreich den AAA-Status als Schuldner behalten will.