Wollen Sie wissen, wie die Autorin dieses Textes aussieht? Um die Kolumne besser einordnen zu können? So wie diese Frau aussieht, könnten Sie denken, sind ihre Sätze sicher von Geheiminteressen geleitet. Und wie die schon guckt, könnten Sie denken, und weitere Schlüsse ziehen. Wobei, das mit dem Gucken ist problematisch. Neulich las ich einen erschütternden Artikel über Afrika. Daneben lachte fröhlich der Autor. Den ganzen Tag verfolgte mich sein Foto. Ich überlegte, ob es aufgenommen wurde, bevor der Autor Afrikakorrespondent wurde und wie er jetzt wohl guckt. Oder ob er eine afrikanische Untergrundorganisation unterstützt und aus deren Erfolgen seine gute Laune schöpft. Aber was würde das wiederum über die Stoßrichtung seines Textes sagen? Könnte er dann nicht befangen sein? Man müsste mehr über ihn wissen, um das beurteilen zu können.
Genau diesen Vorschlag machte kürzlich Sascha Lobo für alle Journalisten: Offensive Transparenz. Leser sollen erfahren: Welche Interessen hat der Überbringer der Botschaft? In welche Organisationen, Ideologien und absonderlichen Hobbys ist er verstrickt? Knallhart die Fakten aufzählen. Das war genau das, was viele Leser des Lobo’schen Vorschlags von den Artikeln selbst forderten: Fakten! Sie wollen Fakten! Einfach wissen, was passiert ist. Um Himmels willen nicht noch mehr Einordnung, subjektive Sichtweisen und Meinungen. Oder gar Angaben über Autoren. Warum die schreiben, was sie schreiben. Ich will das auch nicht wissen. Und Sie? Interessiert Sie, warum ich diesen Text schreibe? Ob ich damit dem Lobo eins auswischen will? Ich kenne ihn gar nicht, aber er wohnt bei mir um die Ecke. Das weiß ich, weil er neben seinen Texten immer abgebildet ist. Ich habe ihn rote Handtücher ausschütteln sehen. Ich war Zeugin, als er laut hupend sein Carsharingmobil abbremste, nur um einer älteren Frau zuzurufen, sie habe soeben ihren Handschuh verloren. Er scheint nett. Ha, unendliche Verwicklungen, die auf diesen Artikel ein recht trübes Licht werfen. Kann darin überhaupt noch etwas Allgemeingültigeres als mein Privatinteresse enthalten sein? Und das waren jetzt nur einige wenige Fakten über mich. Auch noch von mir selbst ausgewählt. Wer weiß, was ich alles unterschlagen habe.
Und überhaupt: Sind nicht alle Fakten an irgendeinem Punkt nur Halbwahrheiten, die die ganze Wahrheit komplett ins Gegenteil verkehren können? In den Arbeitsblättern der Medienverlage, mit denen Kindern in der Schule das Zeitunglesen beigebracht wird, ist alles noch ganz einfach: Journalisten trennen Fakten von Meinungen. Die Fakten kommen in die nachrichtlichen Artikel, die Meinungen in die Kommentare und Kolumnen. Um „sinnerschließend zu lesen“, reicht es, das zu beachten. Holla, die Waldfee.
Ein Blogbeitrag zum „kritischen Lesen“ von psychologischen Fachartikeln scheint da schon weiter zu helfen: a) niemals nur einen Artikel zu einem Thema lesen b) niemals eine absolute Wahrheit erwarten c) alle aufgeführten Studien und Zahlen auf Seriosität hin überprüfen d) Zahlen von Auftraggebern mit Intentionen immer anzweifeln e) ebenso alle behaupteten kausalen Zusammenhänge. Wer das beherzigt, kann vielfältige Fakten aus unterschiedlichen und widerstreitenden Blickwinkeln ins Visier nehmen und schließlich zu einer ausgewogeneren Betrachtung gelangen. Dieses „kritische Lesen“ lernt man ganz gut auf handelsüblichen Journalistenschulen. Dort wird es meist Recherche genannt.
Kommentare 3
Ich denke nicht, dass Transparenz in dem Sinne überhaupt möglich ist, dass sie die Interessen hinter der Berichterstattung im Detail offenlegt. Das wenigste sind offene Auftragsarbeiten oder Vorgänge, wo eine Angehörige eines Vereins gegen Rechtsextremismus für einen öffentlich-rechtlichen Sender eine andere Angehörige des gleichen Vereins interviewt, ohne das offenzulegen.
Der generelle Mechanismus, durch den der Augenschein einer verzerrten und gelenkten Berichterstattung entsteht, ist der folgende. Journalisten brauchen Informationen und in den Leitmedien sind das neue Informationen, die zuvor der Oeffentlichkeit unbekannt waren. Wo es um politische Fragen geht, können diese Informationen in ihrer Masse nur von Insidern der Politik oder aus Pressekonferenzen kommen. Unabhängige Recherche, bei der politisch nicht lenkende Personen solche Information preisgeben, ist teuer und selten geworden. Pressekonferenzen können wir vernachlässigen, denn was dort offenbart wird, hebt ein Medium nicht vom anderen ab. Um im Konkurrenzkampf der Medien Vorteile zu haben, wird exklusive Insiderinformation benötigt.
Solche Information kann in aller Regel nicht gegenrecherchiert werden. Zudem und wichtiger besteht hier ein informelles Bündnis zwischen dem Journalisten und dem Informanten, das oft auch noch auf Regelmässigkeit oder zumindest häufiger Wiederholung des Vorgangs beruht. Wichtige Charakteristika des ungeschriebenen Vertrags sind: 1) Die vom Informanten vertretene Sichtweise findet Eingang in die Berichterstattung. 2) Die Identität des Informanten bleibt geheim ("aus gut informierten Kreisen verlautet", "im Umfeld von xyz gibt es Stimmen"). Hier liegt nicht nur der Eindruck von Kollusion vor, es ist Kollusion.
Insofern die vom Informanten favorisierte Sicht eine Verzerrung des objektiven Bildes ist und insofern der Vorgang so häufig ist, dass die Verzerrung zugunsten der Machthabenden systematisch ist (sie haben ja den grössten Teil der interessanten Insiderinformation anzubieten und erwarten als Gegenleistung die Propagation ihrer Ansichten), entsteht der Eindruck einer Lügenpresse.
Dabei habe ich die öffentlich-rechtlichen Medien noch ausgespart, bei denen ein Kartell der an der Macht befindlichen Parteien über die Finanzierung und Besetzung der Spitzenposten entscheidet.
Wer den oben skizzierten Mechanismus für die vorgeblich unabhängigen Medien für eine Verschwörungstheorie hält, sollte "Primary Colors" (Anonymous, eigentlich Joe Klein, deutsch: Mit aller Macht) und "Head of State" von Andrew Marr (deutsch: Der Premierminister) lesen. In beiden Romanen beschreiben bekannte Politjournalisten aus den USA (Joe Klein, der damals für Newsweek Bill Clintons Vorwahlkampf begleitet hatte) und Grossbritannien (Andrew Marr, unter Anderem Daily Express, The Observer, BBC) diesen Mechanismus.
"Die Ratgeberin Unsere Kolumnisten hadert mit den Fakten"
Da bleibt ja nur eine Frage offen: Hadert unsere Kolumnistin mit den Fakten, oder hadern allgemein die Kolumnisten mit ihnen?
Nehme ich nur ungerne "gute Ratschläge" an , was ich mit vielen Journalisten*innen wohl gemeinsam habe. Zur Transparenz habe ich mir wie Sascha Lobo auch schon Gedanken gemacht und bin zu keinem Ergebnis gekommen, was mich von vielen Lesern*innen wenig unterscheidet. Weiß ich wohl, dass die/der wohl geübte Leserin, Leser dies nun tun. Über Jahre allerdings erarbeitet und verfeinert. Der treuen Gemeinde entgeht nichts. Will man meinen. Was soll die Transparenz, wenn sie nur manche trifft, oft fälschlich oder sogar fahrlässig ist. Wichtig bei aller Transparenz, bleibt die Handlungsfreiheit zum Schluß. Wenn diese auf der Strecke bleibt, wird man "gefressen" und gerät in die Fänge der falschen Schule. Gibt es Beispiele , die früh gestartet heute abgestempelt sind. Diese wollten Transparenz und haben nur weiter auf der anderen Seite für Undurchsichtigkeit und Blockade gesorgt. Ja, mehr Transparenz. In Sinne der Solidarisierung, dann aber auch mit Verbindlichkeit. Redaktion ? Ist eine Redaktion in sich selber, unter Kollegen*innen transparent? Das Redaktionsgeheimnis wahren, ist das Gold des Geistes. Sogar schon früh in Schulen wird Transparenz ausgenutzt, dort hat diese zum Schiefstand unserer Gesellschaft mitgehofen beizutragen. Die, welche erhört werden, sind immer die Nutzbringenden. Transparenz, ja. Aber vielleicht besser im Gegenzug. Und wer wäre da nicht besser geeignet, als die Gilde der Journalistinnen und Journalisten, um den Weg von sich selber, in diese Richtung zu gehen. Nicht Verdiensthöhe oder Frau/ Mann, Kinderwunsch. Was interessiert mit Belangloses. Bitte, aber was an Transparenz ist wichtig? Hieße Transparenz, den Anruf , die Mail auf einen Beitrag, auf einen Artikel öffentlich machen, welche darauf eingegangen ist und die Reaktion wieder gibt. Aus welcher Seite auch immer diese Nachricht gekommen ist. Was heißt Transparenz in diesem Fall wirklich? Und wie wirkt sie sich aus?