Saubermachen

Alltag Ewig dauert auch der längste Winter nicht: Drei Anmerkungen zur Hausarbeit als Einstimmung auf den Frühjahrsputz

Matthias Dell

Rotationsselbstreinigung

Die Automatisierung des Haushalts hat Geräte hervorgebracht, über deren Sinn und Nutzen man streiten kann. Der elektrische Eierkocher etwa. Eine große Erleichterung bildet unbestritten die Waschmaschine. Generationen sind mit ihr groß geworden, die schwarzweißen Fotos, auf denen mit Zuber und Waschbrett agiert wird, geben selbst dem Technikfeind, der an den immer neuen Gebrauchsmöglichkeiten seines Mobiltelefons verzweifelt, eine recht plastische Vorstellung davon, was Fortschritt ist.

Die Attraktivität der Waschmaschine lässt sich nicht nur daran ermessen, dass sie wäscht. Ihr Reiz liegt auch darin, dass sie die Zeit, die der Mensch dank ihrer nicht an Zuber und Waschbrett verbringen muss, offensichtlich schenkt. Anschaulich wird dies im Waschsalon, einer öffentlichen Einrichtung, die es für den elektrischen Eierkocher nie geben wird. Im Waschsalon kann der Mensch die gute Stunde, die die Maschine für seine Dreckwäsche braucht, genießen. Entweder liest er ein Buch, blättert in der Zeitung oder gibt sich selig der surrenden Rotation der Maschine hin. Das Bullauge des Frontladers verschafft angesichts des beschleunigten modernen Lebens Momente ungeahnter Kontemplation. Die Steigerungsform des Waschsalons ist die Waschbar. Dabei handelt es sich um ein Etablissement, wie das Stammlokal der Leipziger Tatort-Kommissare eines ist. Während des Waschgangs kann man Speisen essend Bücher lesen, Kaffee trinkend in der Zeitung blättern oder, wie im Falle der Leipziger Tatort-Kommissare, einen Plausch mit der Wirtin seines Stammlokals halten.

Darüber hinaus liegt im Waschen der Waschmaschine eine lebenskluge Botschaft: Es hört nie auf. Das mag zugegeben letztlich auf alle Hausarbeit zutreffen, die ja immer wieder von neuem verrichtet werden muss. Aber nur die Waschmaschine vermag den Abgrund an Sinnlosigkeit, den das Immer-Wieder jeder Hausarbeit darstellt, zeitweise zu überdecken: durch Verführung. Zum Aufräumen muss man sich Aufraffen, zum Waschen wird man animiert - gerade weil die Waschmaschine den Löwenanteil des Reinigungsvorgangs übernimmt und den sie bedienenden Menschen nur mit den vergleichsweise einfachen Aufgaben des Be- und Entladens betraut. Derart nährt sie das Verlangen nach raschen Erfolgen und schneller Befriedigung. Jedes Mal aufs Neue lässt die Waschmaschine die Illusion lebendig werden, einmal könnte alles getan sein, das letzte Hemd gereinigt und der Kleiderschrank bis auf den hintersten Winkel gefüllt. So liegt im Begehren, dass die Waschmaschine im weisen Wechselspiel entfacht und enttäuscht, die Sehnsucht nach einem Ende, nach dem von Ewigkeit erfüllten Augenblick, an dem der stete Kreislauf des Lebens, dieser alten Tretmühle, unterbrochen ist. Dann wird Ruhe herrschen, die Kohlmeise im Hof verstummen und der Verkehr auf der Straße zum Stillstand kommen. Bis die geliebte Maschine mit leisem Klick ins nächste Programm schaltet und ihr friedliches Surren wieder aufnimmt.


Christian Krüger

Fensterblickverfinsterung

Früher noch stand ich gerne am Fenster. Wenn der Herbstwind loses Blattwerk an die Fenster presste. All diese rot geäderten Gesichter, schlammig und verfroren - da wurde mir warm ums Herz. Heimelig rieb ich mir die Hände, während draußen Regen und Schnee vorüber strichen. Ich wusste, dass die Kälte niemals über diese Schwelle kriecht. An guten Tagen gar schleckte ich wie ein Wels von innen über die kühlen Scheiben. Und wie berückend erst sich das Sonnenlicht im Glase bricht. Ich hier drinnen und draußen die Naturgewalten. Doch die Freuden hielten nicht lange und auch Wettererscheinungen lehne ich jetzt ab.

Denn mit ihnen hatte alles ganz harmlos begonnen: Die Tanne vom Hof hauchte zuerst einen zarten Schleier ihrer Blütenpollen auf mein Fensterglas. Anfangs bemerkte ich diese Trübung nicht. Doch mit dem Sommer kamen die Fliegen und mit den Fliegen die Schwalben. Und nachdem zwei von ihnen am Fenster zerschellt waren, brachte ich draußen eines dieser Raubvogelpiktogramme an. Bussarde und Falken aber versuchten nun, sich mit diesem zu paaren. Immer wieder, wenn sie sich näherten, warf ich von innen feuchtes Toilettenpapier an die Scheiben: klatsch, und weg waren sie. Später trieben Winde klebrige Lindenblätter an meinem Fenster vorüber, erst vereinzelt, dann in größeren Klumpen, und blieben in den Fensternischen hängen. Heiligabend verrauchte mir der Kerzenbogen auf dem Fensterbrett. Und in rußigen Fäden, wie verkohlte Marshmellows, schmierten die Kunstschneewölkchen über das Glas. An Silvester schossen meine Freunde schließlich mit Raketen zuerst von unten nach droben auf den feindlichen Adler und zuletzt von drinnen auf sich selbst. Ich hatte den Durchblick verloren. Wie ein fettiger Flokatiteppich hingen die Vorhänge in Fetzen und konnten auch das restliche Elend nicht verbergen. Schmutzige Tauben nisteten zwischen den Lindenblättern, pockenarbig überzog der getrocknete Zellstoff das Fenster, Winterstürme, Schneegestöber, Abgase, Schonsteinruß und Schwalbenblut hatten ihr übriges getan.

Mit dem Besenstiel schlug ich Risse in die Dreckschicht. An den Bruchfugen hebelte ich mit einem Lineal erste größere Brocken heraus. Als dann endlich die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen, kam ich so richtig in Fahrt. Ich fuhr alles auf, was man zum Fenster putzen so brauchte: Steammaster, Rasierklingen, Spachtel, Scheuermilch, Glasreiniger, Schwämme, Lederlappen, Zeitungspapier. Zu guter letzt übergoss ich die Scheiben mit Feuerzeugbenzin und fackelte auch die letzten Fettschlieren ab.

Wenn ich jetzt am Fenster stehe, kann ich das Rausschauen nicht mehr genießen, nicht so wie früher noch. Wenn unten auf dem Hof Staub aufgewirbelt wird und am Horizont Gewitterwolken nahen, wende ich mich ab. Wenn die Vögel zurückkehren, lasse ich die Rollläden herunter. Ich ziehe die Vorhänge zu, beschwere den Saum mit großen Steinen, verlasse den Raum und kauere mich in den dunklen Flur. Dort steht mein Computer: mit jedem Klick ein neues Fenster.


Tina Veihelmann

Großmuttergroßreinemachen

Meine Großmutter pflegte zu pfeifen, wenn sie putzte. Es klang wie ein Vogel, der sich gleich in die Luft schwingen würde, um auf und davon zu fliegen. Noch lieber aber mochte ich, wenn sie sang. Sie sang einen so reinen und warmen Alt, dass der Chorleiter ihres Kirchenchors ihr mehrmals nahe gelegt hatte, ihre Stimme ausbilden zu lassen. Aber meine Großmutter war Gardinennäherin gewesen und hatte ihre Zukunft zwischen ihrer Nähmaschine, ihrer Wohnstube und einem kleinen Gärtchen gesehen. "Die Frau Strek ist eine einfache Frau", sagten ihre Nachbarn. Vielleicht hatten sie Recht. Aber manchmal hatte sie etwas von einem Erleuchteten, von einem Buddha, einem Hohepriester, der eine seltsame Art von Litanei vollführte, wenn sie umherging und rückte und wischte und dabei sang und schwieg, wieder sang und schwieg um dann zu tirilieren und der niedrigen Küchendecke zuzujubeln; bis sie ganz plötzlich aufzuwachen schien und irgendetwas sagte. "Willst du Klöße zu Mittag?" etwa. Oder: "Ich muss noch zu Horten. Kommst du mit?"

Wir waren oft zu Horten gegangen. Als "der alte Herr" noch gelebt hatte, hatte meine Oma für ihn gekocht, wenn wir wieder kamen. Sie stellte ihm dann einen Teller mit seinem Essen hin und er brummte: "Was ist schon wieder? Wo steckt das Kind? Bestimmt zündet es gerade den Hühnerstall an." Er war ein Krüppel. Böse und unzufrieden thronte er auf einem eigens für ihn angefertigten Stuhl und gab von Zeit zu Zeit Kommandos oder stieß Verwünschungen aus. Je älter er wurde, desto mehr verlegte er sich aufs Schweigen, um meine Großmutter dafür zu strafen, dass sie zwei gesunde Beine besaß. "Schmeckt´s dir?" Der Opa schwieg. "Wir gehen in den Garten, die Brombeeren ernten." Der Opa guckte an uns vorbei zum Fenster hinaus. Als meine Großmutter schon sehr alt war, erzählte sie mir, wie er ihr beim Essen einmal eine Backpfeife verpasst hatte - aus Ärger über zu viel Speck an grünen Bohnen. Er hatte derart zugeschlagen, dass meine Oma vom Stuhl fiel, und der Teller auf die Dielen rollte. Vor Angst war meine Oma unter dem Tisch sitzen geblieben und hatte versucht, die Bohnen wieder in den Teller zu sammeln.

Eines Tages, als meine Großmutter aus der Stadt zurückkam, war der alte Herr gestorben. Er saß in seinem Stuhl und war tot. Er hatte einen Schlaganfall gehabt. Meine Oma erschrak. Dann verständigte sie den Arzt und der Opa wurde abgeholt.

Ein paar Tage lang wirkte sie verstört. Dann ließ sie die Maler kommen, die alle Zimmer weiß strichen. Dann ließ sie die Weinlaube vor dem Eingang, den Holzschuppen und den Hühnerstall wegreißen. Dann putzte sie die Fenster. Dann putzte sie das ganze Haus. Sie wischte in kreisenden Bewegungen, wrang den Putzlappen über dem Eimer aus und warf ihn wieder auf den Boden. Die Frühlingssonne schien auf das spiegelblanke Linoleum und meine Oma begann zu singen. Erst sang sie leise, und dann immer voller, lauter und fröhlicher. Ich hatte sie noch niemals so singen hören. Eimer für Eimer schwarzes Wasser kippte sie in den Ausguss und ließ frisches einlaufen. Am frühen Abend räumte sie das Haus wieder auf und öffnete die Gartentür.


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