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Kommentar IM-Vorwurf an Angela Marquardt

Die Staatssicherheit hat Zeitbomben hinterlassen. Bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit geht eine in die Luft und reißt einen Teil der scheinbar gerade erreichten "Normalität" mit. Angela Marquardt, radikal, antikapitalistisch, auf eine Art links, die nur mit der Gegenwart zu tun hat, ist erst einmal matt gesetzt. Und zwar unabhängig davon, wie sie selbst oder ihre Umgebung die Fakten bewerten. Sie ist zurück geworfen auf eine Auseinandersetzung mit sich selbst, auf die Familie, die sie nicht als Person, sondern als Sicherheitsrisiko wahrnahm. Sie selbst war so rigoros, von jeder und jedem totale Offenheit zu fordern und niemandem ein Recht auf den eigenen Vorteil einzuräumen. Dass das nicht nur materiell, sondern auch ideell gelten muss, stellt gerade Angela Marquardt nicht in Frage. In einem Interview gibt sie zu, komplizierte Sachverhalte gelegentlich schematisch beurteilt zu haben. Die allgemeine Feststellung, viele, die zeitweise oder ständig für die Stasi gearbeitet haben, hätten die DDR als ihren legitimen Staat empfunden und ihm deshalb selbstverständlich Verteidigungsrechte bis hin zur Überwachung "feindlicher" Kräfte eingeräumt, akzeptiere sie nicht. Bis jetzt. Nun sehe sie, sagt sie, dass wohl doch Einzelfallprüfung angesagt sei.
Natürlich ist einem vierzehnjährigen Mädchen, das einem Wunsch der Mutter nachkommt, nicht wirklich ein Vorwurf zu machen, nicht einmal dann, wenn es auch darüber hinaus ungelenk Papiere beschrieben haben sollte. Wer diese Papiere zur Basis von Entscheidungen macht, verdient allerdings Ächtung. Das ist für die DDR und ihre Institutionen in der Nachwende-Bundesrepublik offiziell nicht strittig, wenn es aber um die Bewertung von derlei Hinterlassenschaften heute geht, dann klaffen die Meinungen weit auseinander. Die einen finden die Veröffentlichung von solchen Fakten grundsätzlich falsch, da lediglich DDR-Archive geöffnet sind und selbst bei gutwilliger Betrachtung nur Vorurteile unterstützt werden könnten. Tatsächlich ist man erstaunt, wie selbstverständlich Menschen, die nie in Entscheidungssituationen gezwungen wurden oder, schlimmer, das Bewusstsein davon verdrängt haben, über andere den Stab brechen und Urteile fällen. Die, die damit Auflagen fördern und Wahlen beeinflussen wollen, argumentieren, Aufarbeitung sei die Voraussetzung für Änderungen. Im Falle DDR ist Änderung durch die Wende längst erfolgt. Bleibt die Frage, was dann? Abschreckung? Wovor? Doch wohl kaum vor Mitarbeit im eifrig schnüffelnden BND, dem gerade die Rasterfahndung erlaubt wurde? Bleibt nur eines: Jede einzelne Veröffentlichung streichelt das Ego der Altbundesdeutschen, hebt sie auf ein moralisches Podest, von dem aus Korruption, Parteiengemauschel, allgemeine oder besondere Vorteilnahme wie Kavaliersdelikte wirken und der allgemeine Werteverfall eindeutig zugeordnet werden kann: Der Osten ist´s gewesen ...

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