Schade um den schönen Durst

Stammplatz Kolumne

Schade um den schönen Durst, sagte man bei uns, wenn einer "eine Cola" bestellte oder, was noch Übler war, gelbes Sprudelwasser. In einer Pilsstube hatte man Pils zu trinken, aus Nullzweier-Gläsern, mit abnehmender Trinkgeschwindigkeit. Allein die ersten drei waren im Nu zu leeren, andernfalls ergaben sich Nachfragen, etwa, ob man "vorgetrunken" habe. Das folgte einem Reglement, von dem mein Vater behauptete, es sei von dem Onkel, dessen Gaststätte am Leipziger Platz ein wichtiger Schauplatz seiner Kindheit war. Meine Familie hat einige Wirte hervorgebracht, die meisten versorgten ihre Gäste in volkstümlicher Umgebung. Es soll aber Aufschwünge gegeben haben, bis zum Genre der Edelverköstigung, in Naumburg und Waldkappel, wenn ich das richtig erinnere, wo meine in Nordhessen an jeder Ecke und in allen Winkeln ansässige Verwandtschaft vornehmlich aus Bauern und Metzgern bestand. Von deren Wohlstand waren wir abgeschnitten, schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ging für die Sippschaft meines Vaters das Elend los, dem er mit seiner kleinen Wirtschaft zu entkommen suchte. Er war der erste Pächter einer Pinte mit Kiosk, die man in ein Einkaufszentrum gestellt hatte, das eine Siedlung versorgte. Sie war von der Neuen Heimat auf ein paar Äckern östlich vor Kassel hochgezogen worden. Die Männer dort arbeiteten entweder im VW-Werk Baunatal oder waren sonstwo auf Montage, ihre Frauen waren dankbar für Putzstellen. Wer auf dem Büro arbeitete, hatte es schon weit gebracht. Allgemein wurde auf den Pfennig geachtet. In diesem Klima war es heikel, Geld in einer Kneipe zu lassen.

Die Schluckspechte, von denen mein Vater lebte, waren in der Siedlung namentlich bekannt. In meiner Erinnerung zeichnen sie sich durch eine gewisse Unabhängigkeit aus; sie kamen mir lässiger vor als die anderen. In jedem Fall standen sie mit deutlichem Eigensinn zu proletarischen Traditionen. Sie erschienen nach der Arbeit und sonntags zum Frühschoppen bei meinem Vater. Er würfelte mit ihnen an der Theke, jeder besaß einen eigenen Becher. Mir brachte man Tricks mit Bierdeckeln und Streichhölzern bei. Untereinander waren die Männer laut und umgänglich und dazu aufgelegt, sich gegenseitig auf die Schippe zu nehmen. Ihre Verbundenheit, die eine ernsthafte Loyalität gegenüber meinem Vater einschloss, verbarg ein rauer Ton. Trotzdem kam es vor, dass Freundschaften entgleisten, und es nie wieder gut wurde zwischen zwei Männern. Fremde fanden sich unwillkommen in diesem öffentlichen Wohnzimmer, das mein Vater für seine Gäste aufhielt. Was ihnen gesagt wurde, konnte leicht für einen Stoß ins Kreuz genommen werden.

Im Verlauf der Jahre trug mein Vater ein paar unbeholfene Freundschaftszeichen zusammen, so wie den Wimpel der Thekenmannschaft, die nur einen Sommer bestand, und mitgebrachten Schnitzkram aus dem Erzgebirge, das über den Flaschen verstaubte. Mit einer dem Wirt mit einer Inschrift verehrten Glocke wurden Thekenrunden eingeläutet. Das passierte nicht oft. Es gab Termine der Freigebigkeit für meinen Vater, er hielt sie sorgsam ein. Ansonsten versuchte er, halb vergeblich, einen Abstand zu wahren, der ihm krumm genommen worden wäre, hätte davon jemand was mitgekriegt. Weiß Gott, es ging nicht bloß ums Bier in seiner Kneipe, auch wenn mein Vater das gern so gehabt hätte.


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