Scharpings Mallorca-Urlaub

Kommentar Warum denn peinlich?

Vom edlen Ritter Erec wird berichtet, dass er mit seiner Angetrauten Enîte gar manchen Tag im Bett verbrachte und sich daher nicht recht zu neuen Taten aufraffen wollte. Aus dem Jahre 1180 stammt das Epos, Hartmann von Aue ist sein Dichter und »verligen« nannte man damals die Gefahr, die dem Manne droht, wenn er vor lauter Liebeslust nicht mehr so recht in die Vertikale findet. Draußen warten Feinde, Ungeheuer, eine Welt von Prüfungen, in denen der Mensch zum Manne reift, »Ehre« soll er gewinnen und sich mutig zeigen - das ging auch schon im 12. Jahrhundert nur unter erheblichem Triebverzicht.

Die Stürme der Entrüstung, die heute der Verteidigungsminister auslöst, klingen nach einem nicht minder archaischen Muster. Was, um Himmels willen, hat der Mann getan? Er ist verliebt. Öffentlich und offensichtlich.

Scharping wird sein Posing am Pool schon gründlich bereut haben. Sich als Politiker den Gazetten so zu zeigen, wie es sonst nur Filmstars oder verruchte Adelige tun während unsere Soldaten nach Mazedonien ziehen, das war ein grober Inszenierungsfehler. Sich mit der Luftwaffe für eine Nacht nach Mallorca jetten zu lassen ein zweiter. Und dann die Pennälerart, in der ein wirklich nicht schöner Mann stolz seine hübsche Braut vorführt, ohne Sinn und Verstand öffentlich und privat verwechselt - das ist einfach peinlich.

Warum aber eigentlich? Warum dieses Ausmaß an Empörung? Scharping sagt es - beleidigt - selbst: Es ist der pure Neid. Die Welt malocht, doch der Scharping ist himmelglücklich und so dreist, das auch zu zeigen. »Heute in der Spaßgesellschaft«, wettert die Welt. Doch eben gerade das ist es nicht. Im Gegenteil. Der Mann zeigt ein Gefühl, das - jenseits von Soft-Fun - gefährlich nah am Wahnsinn schwebt und eine Welt aus den Fugen heben kann. Das weckt Neid und dunkle Ahnungen von zuviel Höhe vor dem Fall. Und Angst vor den Verführungen der Fahnenflucht. Dafür wird Scharping abgemahnt. »Nur bedingt abwehrbereit«, heißt es über ihn.

In der Dialektik der Aufklärung erzählen Max Horkheimer und Theodor W. Adorno die Geschichte von den Lotophagen, jenem Volk, das sich von Lotos-Blüten ernährt, die willenlos und glücklich manchen. Der Held Odysseus - das erste moderne Subjekt der Geschichte - verbietet sich und seinen Gefährten, davon zu kosten. Subjekt wird nur, wer die Natur in sich besiegt, und je gründlicher das gelingt, desto größer ist die Wut auf das Bezwungene. Frauen und »weiche Männer« haben das immer schon als Hass aufs Weibliche zu spüren bekommen.

Adorno, der weise Dialektiker, hätte in dem Scharping-Rummel die groteske Entblößung gesehen, zu der in der inszenierten Welt jedes noch so kleine Glück sich entstellen muss. In dem Vorwurf der Peinlichkeit aber sähe er den Reflex des gezähmten Individuums, eine pervertierte Erinnerung an den selbstvergessenen Genuss, den sich verbieten muss, wer in der Leistungsgesellschaft die Nase vorn haben will.

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