Das große Haus der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz ist zugehängt und eingewickelt. Ein Fassadenteil ist aus seiner alten Verankerung gestürzt, die durchgerostet war, und nun gehen die Besucher durch seltsame, sehr an Bert Neumann erinnernde Sperrholztunnel zu den altweißen Türen, durch die in den letzten fünfzehn Jahren seit 1992 ein bestimmtes Stammpublikum strömte.
Ein anderes Publikum als das der bildungsbürgerlichen Konvention, die sich das edel restaurierte DT und das umgerüstete Berliner Ensemble zurückerobert hat. "Spannend", sagt der Bühnenbildner Bert Neumann, für ihn muss es immer spannend sein. Die Spannungen, die außerhalb des Theaters die Gesellschaft hat, die müssen in der Volksbühne transformie
ransformiert und aufgeladen auch nach außen sichtbar werden. Das wurde oft erreicht, gerade durch die Arbeit Bert Neumanns. Jetzt heißt es, die Theatermacher der Volksbühne wären in einer Krise. Vor der neuen Spielzeit 2007/08 wälzt sich was um, mancher geht, mancher kommt, sicher, wenn nichts sich umwälzt, erschöpft sich der schöpferische Ort.Am Ort. Berlin, das Liebknechthaus, Parteihaus der Linken, ist nebenan, der Platz heißt nach Rosa Luxemburg. Aber das ist es nicht, was die Volksbühne zu einem Zentrum ständiger ästhetischer und politischer Umwälzungen und Provokationen gemacht hat, hauptsächlich ist es der Intendant Castorf.Castorf bietet seit 1992 einem besonderen Publikum eine besondere Form von Theater, die rote Revue, das große Kasperlespiel, das Melodram, Welttheater, zu dem er Werke der Literatur umformt: Dostojewski, Bulgakow, Döblin. Castorf selber nennt das Haus seit einigen Jahren nicht mehr Schlachtschiff, sondern seinen Sender, besonders seit es auf Gastspielen eine Art globalisierende Wirkung zeitigt, in Paris, in Sao Paulo, in Wien, Kopenhagen, in Charkow und anderswo.Aber zu Hause sucht man nach neuen Wegen. Bert Neumann sagt dazu einfach: Das macht sonst keinen Spaß. Die Premiere Norden nach dem Roman von Louis-Ferdinand Céline in Wien war bei aller Überanstrengung eben doch spannend und hat wieder Spaß gemacht. "Was wir da machen, ist sicher sehr angreifbar", gibt der Bühnenbildner dennoch zu.Und warum jetzt Céline spielen? Einen "konservativen Revolutionär"; der Autor und Armenarzt Céline war Antikommunist und Antisemit. Bert Neumann meint, mit dieser Flucht des französischen Kollaborateurs von 1944, der jede Zuordnung seiner Existenz zu irgendeiner Seite völlig verloren hat, der nur Angst, Misstrauen und eine grauenhafte Voraussicht noch zu erwartender größeren Katastrophen beschreibt, damit könnte die sinnfreie Situation, in der heute Kriege stattfinden, begriffen werden. Célines Verhalten sei dem unseren nicht unähnlich, unserem Rückzug in eine egoistische, lächerlich traurige Zuschauerrolle und unserer ahnenden Angst vor dem Kommenden.Von den Kritikern wird betont, dass das Bühnenbild von Bert Neumann ganz entscheidend sei. Für Norden schuf er einen Waggon, der das Zeichen für Flucht, für Deportationen, für Plünderung und Lagerung von Überlebensmitteln, für Heimatlosigkeit, für industrialisierte Vernichtung ist. Die Volksbühne habe in Wien eine begeisterte "Gemeinde", schreibt die Frankfurter Rundschau. Was für eine Gemeinde? Versteht sie ihren Priester noch? Folgt sie vielleicht nur einer Art Liturgie, die akustisch schon übersteuert ist? Worte sind Schall und Rauch, wörtlich ist nichts zu nehmen, alles kann das Gegenteil von dem bedeuten, was gesagt wird. Wichtiger sei die Tonlage, der Rhythmus, die Bildkultur. Die Gemeinde Castorfs akzeptiert das inszenierte Chaos, den Verlust von verständlicher Sprache, das Schreien.Als Chaos wird vom Castorf-Publikum die heutige Welt empfunden. Den Formen, die sich aus dem Chaos bilden, könne man mehr Wahrhaftigkeit zutrauen als irgendeiner Scheinordnung. Diese Haltung betont Bert Neumann hartnäckig, wenn man nach klarer Sprache verlangt. Aber wie oft versteht man den Text nicht! Die Motivation, den Sound, das Grundgefühl zwar, aber nicht das Wort. Der Bühnenbildner Bert Neumann hält aber, was also Worte und Sprache betrifft, nur von der Art Theater etwas, in dem nicht eine schon lange vorhandene Einsicht gepredigt oder demonstriert wird, sondern wo der Konflikt auf der Bühne im Augenblick des Spielens körperlich erfahren wird. Wenn die "durch körperlicher Arbeit verdienten Sätze" aus der Figuren heraus kommen.Schrift aber, die Neumann im Stück selbst einsetzt, "Die another Day" oder die vier großen Welt-Währungskürzel, das sind doch auch ordnende und deutende Zeichen. Die auf die Fassade gesetzten Sprüche, für die nächste Spielzeit "Don´t look back", beweisen immer Mut zur Idee, zur Provokation, zur Ideologie. Neumann ist es, der das Bild der Arbeit der Volksbühne formt. Vor der Regie Castorfs oder Polleschs gibt es meist schon die Bild - Vorschläge Neumanns, mit denen das Spiel beginnt. Auch von ihm erwartet das Haus für die neue Spielzeit eine Erneuerung. In seinem Atelier entwickelt er die Plakatserie der nächsten Spielzeit, wenn Norden seine Berlin-Premiere haben wird. Erfreulich menschliche Blicke, junge unschuldige Wesen sehen uns an unter der Überschrift: " I´ll be back." Es sind Fotos, das Baby Hitler, der jugendliche Stalin, Johnny Cash mit abstehenden Ohren, das kluge Mädchen Rosa Luxemburg, Mohammed Ali. Neumann wird die Namen dazu schreiben, aber ganz klein.Während an anderen Orten für das Halt suchende Bewusstsein des Bürgers unsere Klassiker wieder als verlässliche Säulen angeboten werden, ist die Inszenierung von Céline an der Volksbühne, der "nackte Wahnsinn", das gequälte Schreien, das anarchische Nein, die provokatorischen Lust und der Ausdruck von Hass, Hass auf jenen erlogenen Konsens, der wie eine Einheitssoße über die unheilbaren Wunden, die empörenden Geschichtsfälschungen und scheinheiligen Bündnisse im Europa der Gegenwart gegossen wird. "Konsensmilch", pflegt René Pollesch zu sagen, der jetzt aus dem Prater für die Zeit der Restaurierung ans große Haus kommen wird.
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