Schauprozess in Südkorea mit Skandalurteil

Manisch-repressiv Nach 37-jährigem Exil sieben Jahre Gefängnishaft! Dieses Urteil fällte am 30. März der Vorsitzende Richter Lee Dae-Gyeong der 24. Strafkammer am ...

Nach 37-jährigem Exil sieben Jahre Gefängnishaft! Dieses Urteil fällte am 30. März der Vorsitzende Richter Lee Dae-Gyeong der 24. Strafkammer am Seouler Distriktgericht. Damit hat die südkoreanische Justiz einmal mehr demonstriert, wie sehr sie noch dem Kalten Krieg verhaftet ist und im Gleichschritt mit den lernresistenten, doch strategisch positionierten Dunkelmännern des Nationalen Geheimdienstes (NIS) marschiert.

Ende September 2003 war der an der Universität Münster lehrende deutsch-koreanische Sozialphilosoph Song Du-Yul mitsamt Familie in seine Heimat Südkorea zurückgekehrt. Nach einem großen Empfang für den bekannten Gegner der Militärdiktatur nahm sich der NIS des Akademikers an. Wochenlang wurde er unter entwürdigenden Bedingungen verhört. Dann hakte die Staatsanwaltschaft nach und beschuldigte Song, massiv gegen das aus dem Jahre 1948 (!) stammende Nationale Sicherheitsgesetz (NSG) verstoßen zu haben. Mit Song sei ihr ein dicker Fisch ins Netz gegangen, der im Politbüro der nordkoreanischen Staatspartei Rang 23 bekleide und die dort herrschende Dschutsche-Ideologie bewundere. Behauptungen, die von der Staatsanwaltschaft während eines viermonatigen Prozesses nicht bewiesen werden konnten. Selbst nachdem ihr Kronzeuge - ein aus dem Norden geflohener Überläufer - vollends eingeknickt war, forderte der Ankläger 15 Jahre Haft, ein aus seiner Sicht "mildes" Strafmaß. Laut Sicherheitsgesetz existiert Nordkorea nur als "staatsfeindliche Organisation".

Ginge es nach der Logik des Staatsanwalts, so der Angeklagte in seinem Schlusswort, hieße dies, "dass alle Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Pjöngjang das Nationale Sicherheitsgesetz verletzt haben. Auch der Leiter des Goethe-Instituts in Seoul, der zugleich die Bibliothek in Pjöngjang betreut und deswegen häufig nach Nordkorea reist, (...) müsste folgerichtig den Tatbestand der ›Infiltration und Flucht‹ erfüllen."

Doch die Staatsanwaltschaft verteidigt das NSG als "positives Recht". Ein absurdes Gebaren - einerseits verhindert dieses Gesetz eine Vereinigung des geteilten Landes, andererseits treffen sich die Spitzen von Politik und Wirtschaft aus Nord und Süd inzwischen regelmäßig. Lange bevor das möglich wurde, hatte sich Song beharrlich für Dialog und Aussöhnung auf der koreanischen Halbinsel eingesetzt.

Spätestens jetzt darf vom deutschen Außenminister ein starkes Engagement für den seit 1993 deutschen Staatsbürger Song erwartet werden. Und die Leitung der Frankfurter Buchmesse sollte überlegen, ob sie an Südkorea als Gastland der Buchmesse 2005 festhält und wie sie dieses Skandalurteil angemessen kritisiert. Einem Land, in dem Gedanken und Worte nicht frei sind und dessen Justiz erklärtermaßen die Feder mehr ächtet als das Schwert, sollte nicht auch noch eine internationale Plattform zur Selbstzelebrierung gegeben werden.




Rainer Werning


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