Zieht die neue Bundesregierung Lehren aus teils desaströsen Erfahrungen bei der Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen? Schaut man in den Koalitionsvertrag, ist eher ein Fortschreiben des bisherigen Kurses zu befürchten. Auslandseinsätze und Bündnisverteidigung seien die beiden Aufgaben, die durch die Bundeswehr „gleichermaßen zu erfüllen“ sind, heißt es. Man präsentiert sich als „verlässlicher Partner“, der an seinem „außen- und sicherheitspolitischen Engagement“ festhalte. Doch gibt es Passagen, die hoffen lassen. So soll jedem Auslandseinsatz „eine Überprüfung der Voraussetzungen“ vorangehen.
Gemessen an den vergangenen drei Jahrzehnten verdienen drei Fälle besondere Beachtung: Afghanistan, Mali, die Ukraine. Am Hindukusch handelte es sich um eine NATO-Mission, die zum Kampfeinsatz mutierte, in Mali um eine EU-Ausbildungs- und UN-Stabilisierungsmission, in der Ukraine um ein umfassendes, vorwiegend nicht militärisches Engagement – drei qualitativ unterschiedliche Ansätze auf drei Kontinenten.
Nimmt man Afghanistan, so erscheint es im Nachhinein erstaunlich, dass die dafür zuständigen Bundesregierungen 20 Jahre benötigten, um zu erkennen, dass ein militärisch gestützter Staatsaufbau erfolglos blieb. Womöglich erlag man eigener Schönfärberei und/oder setzte bis zuletzt auf Bündnissolidarität. Dass die Bundeswehr in Mali präsent ist, sah die Regierung Merkel als historischen Schritt und Beleg dafür, dass Deutschland seine neue Rolle als „Gestaltungsmacht“ angenommen habe. Aber auch Mali wurde zum Reinfall in einem nach wie vor fragilen Staat. Die dortige Armee hat innerhalb von neun Monaten zwei Mal geputscht. Eine korrupte Regierung ist zwar nicht mehr im Amt, aber von kaum besseren Militärs ersetzt worden. Es erstaunte, dass angesichts dieses Scheiterns CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne im Wahlkampf dafür plädierten, in Mali zu bleiben, was frappierend an die Realitätsflucht beim Thema Afghanistan erinnerte.
Das Engagement in der Ukraine hat in mehrfacher Hinsicht eine andere Qualität. Es findet in direkter Nachbarschaft zur EU statt, tangiert somit deutsche Sicherheitsinteressen unmittelbar. Die Ukraine ist zudem für die USA, besonders für Russland, von großer geopolitischer Bedeutung. Mit Russland ist eine nukleare Großmacht involviert, die sich nicht scheut, als „vital“ empfundene Interessen durch ihr militärisches Potenzial zu wahren. Das strategische Ziel deutscher Regierungspolitik bestand bzw. besteht darin, den Fall Ukraine so zu lösen, dass eine Einbindung in den Westen gesichert ist.
Kommission zu Afghanistan
Nur wie realistisch ist das, solange die Protagonisten dieses Konflikts völlig unterschiedliche politisch-strategische Vorstellungen haben? Moskau geht es um Einfluss und Gleichgewicht. Das heißt, die Ukraine sollte idealerweise zum eigenen Einflussbereich gehören und keinesfalls NATO-Mitglied werden. Angesichts sich ausschließender strategischer Ziele der Kontrahenten besteht so die Gefahr einer permanenten Eskalation.
Natürlich bleiben eine fragile Staatlichkeit und damit verbundene soziale Ungleichheit eine Herausforderung für Frieden und Stabilität in den südöstlichen Nachbarregionen der EU. Doch sollte die anstehende Bundesregierung den Einfluss externer Akteure zur Befriedung innerstaatlicher Konflikte nicht überschätzen. Nation Building, das ist ein langwieriger historischer Prozess, der komplexen innergesellschaftlichen Dynamiken unterliegt. Sind dann noch, wie im Ukraine-Konflikt, rivalisierende Atommächte involviert, verengt sich der Handlungsspielraum für Mittelmächte wie Deutschland noch mehr. Deshalb muss Friedenserhaltung primäres Ziel sein. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Enquetekommission zur Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes bietet die Chance, aus schlechten Erfahrungen für künftige Auslandsmissionen zu lernen. Es wäre keine Überraschung, käme dabei heraus, dass von externen Akteuren betriebenes „social engineering“ in anderen Gesellschaften teuer ist und nicht funktioniert, schon gar nicht militärisch.
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