Schiefe Ebene

Risiko Neuwahlen führen nicht zwangsläufig zu einer absoluten Mehrheit von Erdoğans AKP
Ausgabe 33/2015
Präsident Tayyip Erdoğan hat seine Gründe, das Risiko zu suchen
Präsident Tayyip Erdoğan hat seine Gründe, das Risiko zu suchen

Foto: Adem Altan/AFP/Getty Images

Warum sucht die Regierung in Ankara unbeirrt den Crash mit der PKK und der HDP? Zur Erklärung wird allenthalben auf mögliche Neuwahlen verwiesen. Präsident Tayyip Erdoğan habe diesen Konflikt provoziert, um seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) mehr Stimmen von Nationalisten zu sichern, sollte nach dem Votum vom 7. Juni erneut abgestimmt werden. Zweifellos ergibt sich aus der ungeklärten Machtfrage für Erdoğan und Premier Davutoğlu ein Anstoß für den Rückgriff auf gewohnte Verhaltensmuster gegenüber der PKK, doch der Preis dafür mag höher ausfallen als kalkuliert. Es könnten mehr Wähler verloren gehen, als sich mit Stimmen aus dem ultrarechten Lager kompensieren lässt.

Es sind vier Gründe geltend zu machen, weshalb Erdoğan trotzdem das Risiko sucht. Zunächst einmal gilt: Wird der Islamische Staat (IS) durch eine um die Türkei aufgestockte Anti-IS-Allianz geschwächt, darf die PKK davon nicht profitieren. Zweitens sollen Bomben auf die PKK innerkurdische Friktionen auslösen, sodass es zu einer Machtverschiebung zugunsten der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak kommt. Drittens will Ankara den Beistand der PKK für die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) kappen, die in Nordsyrien mit ihren Milizen befreite Zonen gegen den IS verteidigt. Es soll verhindert werden, dass dort ein kurdischer Korridor entsteht, der sich bis zum Mittelmeer zieht und die Türkei von der arabischen Welt trennt. Ein viertes Motiv besteht darin, ein innenpolitisches Klima zu schaffen, das die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) zwingt, eine Verfassungsrevision hinzunehmen, die zum Präsidialregime führt. Schließlich war es die klare Absage an einen solchen Systemwechsel durch die HDP, die den türkisch-kurdischen Friedensprozess seit März stocken ließ.

Allerdings wäre anzumerken: Die seit Februar 2013 stattfindenden informellen Runden mit der PKK verliefen nie reibungslos. Allein der repressive Umgang der AKP-Regierung mit der Gezi-Park-Bewegung hat viel Misstrauen im Anhang der HDP ausgelöst. Angesichts ihrer Bündnispolitik mit sozialistischen Gruppierungen wurde es für die Partei immer schwieriger, den Friedensprozess zu rechtfertigen. Die PKK-Führung selbst blieb unentschlossen, wenn es um den Abzug bewaffneter Formationen aus der Türkei ging. Während der inhaftierte Abdullah Öcalan vom Gefängnis aus im Juli 2014 dazu aufrief, die Waffen abzugeben, nannte dies Cemil Bayık, Ko-Vorsitzender der PKK, kurz darauf „einen leeren Traum“. Zuständig für diese ambivalente Haltung sind interne Zielkonflikte. Die PKK-Führung im Nordirak will sich im Nahen Osten als Akteur von regionalem Format behaupten. Was ohne Waffen schwerfallen dürfte, auch wenn Öcalan das anders sieht. Überdies existiert eine radikale Fraktion in der HDP, die sich Machtentfaltung nur vorstellen kann, sofern der Kurdenkonflikt dabei hilft, sprich: die PKK konfliktfähig bleibt.

Trotz der verfahrenen Lage ist eine Rückkehr zur Verständigung nicht ausgeschlossen, sollten etwa die AKP und die Republikanische Volkspartei (CHP) eine Koalitionsregierung bilden. Die CHP will bei künftigen informellen Kontakten mit der PKK mehr Transparenz walten lassen. Voraussetzung wäre, dass sich der moderatere Premier Davutoğlu gegen den Präsidenten durchsetzt. Danach aber sieht es nicht aus.

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