Schiller, bleib bei Deinen Leisten

Zeitschriftenschau Kolumne

Euphorion, die traditionsreiche Zeitschrift für Literaturgeschichte, hat zum 200. Todestag Schillers ein fast 300 Seiten umfassendes Sonderheft herausgebracht. Man will, so der Editor Wolfgang Adam, einen Beitrag leisten zu einem "zeitgemäßen Schiller-Bild". Wie aber könnte das aussehen? Vor hundert Jahren, im Zeichen einer positivistisch ausgerichteten Forschung, war das wohl kaum eine Frage wert, weil jeder Gebildete zu wissen meinte, was er an Schiller besaß, und so gelang es auch fast mühelos, die prominentesten Fachvertreter als Mitarbeiter für das erste Schiller-Heft zu gewinnen.

1934 wurde Euphorion in Dichtung und Volkstum umgetauft, und just im selben Jahr erschien aus Anlass des 175. Geburtstags wiederum ein Schiller-Heft, das sich an der Instrumentalisierung des Dichters für die NS-Ideologie beteiligte und insofern gewiss "zeitgemäß" war. 1959 widmete die Zeitschrift, anlässlich des 200. Geburtstags, Schiller ein drittes Sonderheft, das der Emigrant Richard Alewyn herausgab. Präferiert wurde, zur Hochzeit der "werkimmanenten Methode" kaum überraschend, "ein dezidiert philologisch-geisteswissenschaftlicher Zugang zu Schillers Texten".

Nun, 46 Jahre später, spielt die Literaturwissenschaft in den öffentlichen Debatten kaum noch eine Rolle, und die alteuropäische Bildung ist fast ausgestorben. Ein Schiller-Diskurs wird, falls überhaupt, bei aktuellem Anlass in den Feuilletons der FAZ, der Zeit oder nächtlich im Fernsehen geführt. Dementsprechend bescheiden und wenig markant tritt das neue Schiller-Heft des Euphorion ins Licht einer rein fachwissenschaftlichen Öffentlichkeit. Dass ein Hauptakzent auf dem dramatischen Werk und hier besonders auf den Räubern liegt, dürfte kaum programmatisch zu deuten sein. Zwar nährt der elegant und kenntnisreich geschriebene Eröffnungsbeitrag des in Cambridge lehrenden Karl S. Guthke über "Schiller und das Theater der Grausamkeit" solche Erwartungen, doch geht es danach recht konventionell weiter mit dem "Opfergedanken" im Don Carlos oder den "schuldig-unschuldigen Königinnen". In aller Ausführlichkeit, fußnotenbewehrt, bleiben die Germanisten, darunter vier französische Autoren, brav bei ihrem Leisten. Ideologisch übervorsichtig, wagt man keinen "Schiller für heute", wohl ahnend, dass jeder Versuch, eingreifend zu wirken, vorab vergeblich wäre.

Schillers Größe (seine Sprache, sein Pathos, sein Mut, seine Leiden, seine Helden), schroff gegen das Gerede des Zeitgeists und der Medien gekehrt, auch gegen eine kleingläubige, eingeschüchterte Forschung, gegen desinteressierte Studenten und ein Tradition wie Geschichte nur mehr verhöhnendes Subventionstheater - wäre das nicht auch eine "zeitgemäße" Aufgabe?

Euphorion: Doppelheft 1-2, 2005 (Institut für Germanistik, Zschokkestraße 32. 39104 Magdeburg), 34 EUR


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