Biologie Der Primatologe Frans de Waal über soziales Lernen im Tierreich, die Entdeckungen japanischer Affenforscher und die Gemeinsamkeiten von Menschen und Menschenaffen
FREITAG: Konrad Lorenz hat in "Das sogenannte Böse" halb ironisch gemeint: "Das lang gesuchte Zwischenglied zwischen dem Tier und dem wahrhaft humanen Menschen - sind wir." Wenn man Ihre Bücher liest, drängt sich ein anderer Schluss auf: Das Missing Link, das sind die Menschenaffen. FRANS DE WAAL: Es ist heute üblich, die Affen als enge Verwandte unserer letzten gemeinsamen Vorfahren zu sehen. Einige meiner Kollegen haben die heute existierenden Affen sogar als "Zeitmaschinen" bezeichnet, die uns erlauben würden, in die Zeit unserer Vorfahren zurückzugehen. Das ist aber etwas problematisch, denn seit unseren letzten gemeinsamen Vorfahren vor fünf oder sechs Millionen Jahren haben sich nicht nur die Menschen verändert, sondern auch die Affen.
Haben wi
Affen. Haben wir Menschen uns nicht stärker gewandelt? Ja. Zumindest gehen wir davon aus: Wir haben ein größeres Gehirn, wir sind nackt, und wir gehen auf zwei Beinen. Vor kurzem erschien ein sehr interessanter Artikel meines Kollegen Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Pääbo zeigt darin, dass das Gehirn von Menschen, rein genetisch betrachtet, sich viel schneller entwickelt hat als das Gehirn von anderen Primaten, während alle anderen Organe des Körpers recht ähnlich geblieben sind. Das stützt die These, dass Menschenaffen unseren letzten gemeinsamen Vorfahren ähnlicher sind als wir. Deshalb ist es auch so interessant, Menschenaffen zu erforschen. Aber um es nochmals klar zu stellen: Die heute existierenden Menschenaffen sind nicht unsere Vorfahren. Sie stammen von unseren gemeinsamen Vorfahren ab. Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern betonen Sie aber die Ähnlichkeiten zwischen den Menschenaffen und uns Menschen, warum? Um gegenzusteuern. Die Sozial- und Kulturwissenschaftler haben diese Unterschiede immer und immer wieder betont. Es ist ja, wenn man uns Menschen so betrachtet, offensichtlich, dass wir ziemlich einzigartig sind. Ich gebe auch gerne zu, dass es diese Unterschiede gibt. Aber jenseits davon gibt es auch eine ganze Menge an grundlegenden Gemeinsamkeiten, für die ich mich als Primatologe zuständig fühle. Die Kernthese Ihres neuen Buches ist, dass nicht nur wir Menschen, sondern auch andere Tiere so etwas wie "Kultur" haben. Was meinen Sie damit? Ich verwende ganz bewusst eine weite Definition des Begriffes Kultur und verstehe darunter die Übertragung von Gewohnheiten und Wissen durch soziales Lernen. Ein einfaches Beispiel: Wenn man einen Schimpansen fünf Jahre lang zu Hause aufzieht und dann im Urwald freilässt, wird er innerhalb weniger Wochen sterben. Das macht ganz klar, dass der Schimpanse durch seine Artgenossen im Wald bestimmte Dinge lernt, die wir nicht bieten können. Es gibt Affen, die voneinander lernen, sich vor Schlangen zu fürchten. Sie haben keine angeborene Angst vor Schlangen, sondern sie müssen erst beobachten, dass sich ein anderer Affe vor Schlangen ängstigt und Warnlaute ausstößt. Ist diese Art von Kultur auf Affen beschränkt? Nein, das gilt auch für viele andere Tiere, die ein halbwegs komplexes Sozialleben haben. Frösche gehören vielleicht nicht dazu. Aber wenn man bestimmte Vögel oder Säugetiere, die in einem Labor geboren wurden, freilässt, dann werden sie in freier Wildbahn ebenfalls erhebliche Probleme haben. Auch sie brauchen soziales Lernen, um zu überleben. So zum Beispiel wird die Angst vor Raubvögeln bei bestimmten Vogelarten ebenso von Generation zu Generation übertragen wie die Melodie ihrer Vogelstimmen. Das ist in den Tieren nicht vollständig vorprogrammiert. Solche Traditionen gibt es also nahezu überall im Tierreich - selbst bei Aquarienfischen wie den Guppys. Aber sind die Menschenaffen nicht doch etwas Besonderes? Ich denke daran, dass Sie in Ihren früheren Büchern auch vom "Friedenstiften" bei Schimpansen gesprochen haben, von Altruismus und anderen "menschlichen" Verhaltensformen. Ich bin mir nicht sicher, was an den großen Menschenaffen so spezifisch ist. In meinen Arbeiten habe ich immer auch betont, dass bestimmte Formen der Konfliktregelung nicht nur bei den Affen weit verbreitet sind. Altruismus, Empathie und Sympathie finden sich zum Beispiel auch bei Elefanten. Sogar das Selbsterkennen im Spiegel, das bislang nur Primaten zugeschrieben wurde, gibt es zumindest bei Delphinen. Es gibt mit anderen Worten einige sehr spezielle Säugetiere: Delphine, Killerwale, Elefanten, Menschenaffen, Menschen - und dazu vielleicht auch noch bestimmte Vögel wie etwa Raben, die sehr smart sind und ein sehr komplexes Sozialleben haben. Ich sage das, obwohl ich ein Primatologe bin, weil ich nicht behaupten möchte, dass Menschenaffen so einzigartig wären. Sie sind außergewöhnlich, aber nicht die Einzigen, die außergewöhnlich sind. Nur: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wissen wir mehr über sie als über andere Tiere. Die Entdeckung, dass Tiere Kultur haben, geht ja letztlich auch auf Untersuchungen über Affen zurück Richtig. Das Interessante dabei ist, dass dieser ganze Forschungsansatz aus Japan stammt. Das war auch der Grund, warum ich das Buch Der Affe und der Sushi-Meister nannte. Bereits in den Fünfzigerjahren haben Kinji Imanishi und seine Schüler kulturelle Traditionen bei Affen beschrieben, die an die nächste Generation weitergegeben werden - also etwa, dass sie Kartoffeln im Wasser eines Flusses waschen. In den letzten Jahren wurde dieser Ansatz auch von Primatologen aus dem Westen übernommen. Und ich gehe davon aus, dass die Frage der kulturellen Übertragung bei Tieren in den nächsten Jahren ein ganz wichtiges Forschungsthema werden wird. Was sagen eigentlich Wissenschaftler anderer Disziplinen zu diesem Ansatz? Gibt es da nicht auch Widerstände? Widerstand kam bislang vor allem von einigen Experimentalpsychologen. Ihr zentrales Argument lautet: Wenn es bei der Übertragung von Gewohnheiten und Informationen bei Tieren keine wahre Imitation, kein echtes Unterrichten und auch keine Sprache gibt, dann kann man das auch nicht Kultur nennen. Ich und einige andere Primatologen halten dem entgegen, dass der Mechanismus des sozialen Lernens sekundär ist: Entscheidend ist für uns, dass man etwas von jemand anderm lernt, das man nicht von sich aus und alleine gelernt haben würde. Mir ist das ganz egal, ob man das nun Imitation oder Lernen nennt. In der Biologie definieren wir Mechanismen vor allem nach der Funktion, die sie erfüllen - und kümmern uns weniger darum, auf welche Weise das geschieht. Und wie reagieren Kulturanthropologen? Die Kulturanthropologen sprechen eigenartigerweise nicht mit uns. Die Debatte verläuft zwischen den Primatologen bzw. Biologen auf der einen und den Psychologen auf der anderen Seite. Nun würde man denken, dass die Kulturanthropologen auch etwas zum Thema Kultur zu sagen hätten, aber sie interessieren sich einfach nicht für die Literatur über Tiere. Das ist schade, denn sie würden sicher andere Einwände haben: dass Kultur symbolisch sein muss oder dass sie Wertesysteme beinhalten sollte. Sie haben aber auch noch andere Gegner: Insbesondere die Behavioristen, die vor allem auf das künstliche Tierexperiment setzen und ein seelisches Innenleben der Tiere leugnen, werfen Ihnen vor, dass Sie bei der Erklärung des Affenverhaltens allzu schnell mit "menschlichen" Erklärungen zur Hand wären. Die Behavioristen fordern, dass man insbesondere bei den Tieren immer mit der einfachsten Erklärung aufwarten soll. Wenn ich also über Schimpansen spreche, dann sollte ich in ihrer Sicht nicht von Intentionen, von bewussten Täuschungen oder was auch immer reden. Ich halte diesen Einwand für falsch, denn Schimpansen stehen uns evolutionsbiologisch einfach sehr nahe: Es gibt nur rund fünf Millionen Jahre getrennter Entwicklung zwischen ihnen und uns. Wenn sie also unter denselben Umständen etwas ganz Ähnliches tun wie wir, dann besteht doch die einfachste Annahme darin, dass eine ähnliche Psychologie und eine ähnliche Motivation dahinterstecken. Ich drehe also die Dinge um und behaupte, dass bei Tieren, die uns der Evolution nach so ähnlich sind, der Anthropomorphismus eigentlich die einfachere Annahme ist. Sonst hätte die Evolution in sehr kurzer Zeit ähnliches Verhalten unter anderen Umweltbedingungen produzieren müssen. Wenn also zum Beispiel Schimpansen Koalitionen schließen oder Machtspiele austragen, dann nenne ich das Politik - und verwende denselben Begriff, den wir bei den Menschen für dieses Verhalten verwenden. Gibt es eigentlich auch etwas, das unsere Politiker von den Menschenaffen lernen könnten? Mein Buch wurde jedenfalls von Newt Gingrich im US-Kongress empfohlen. Grundsätzlich denke ich, dass das, was Politiker tun, vergleichbar ist mit dem, was Schimpansen tun: Koalitionen bilden, sie untergraben und brechen - es gibt da eine ganze Menge von Ähnlichkeiten.Das Gespräch führte Klaus Taschwer
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