Schlecht versorgt

Wundersamer Alltag Soll sich der Staat um alles kümmern? Unser Kolumnist fühlt sich jedenfalls bedroht von der Schrift auf seinem Bildschirm, die ihn zum Kauf digitaler Technik animiert

Das spannendste am derzeitigen deutschen Fernsehprogramm bleibt für die meisten Zuschauer unsichtbar. Auf manchen Bildschirmen erscheint seit Monaten – jeweils völlig unerwartet und zu den ungewöhnlichsten Momenten – eine Laufschrift, deren voller Wortlaut es wert ist, hier zitiert zu werden: „Wenn Sie diese Einblendung immer noch sehen, müssen Sie r a s c h handeln. Dieser Übertragungsweg wird am 30. April eingestellt. Wenden Sie sich an einen Fachbetrieb.“

Ich selbst habe diesen Text irgendwann zu Beginn des Jahres das erste Mal gesehen und sofort war mir klar, dass dies eine Nachricht ist, die mein fürsorglicher Staat mir sendet. Wie kann aus der Tatsache, dass ich einen Text lesen kann, der Zwang zu raschem Handeln abgeleitet werden? Ist Gefahr im Verzug? Werde ich ab Ende April auf Essen und Trinken oder wenigstens auf Strom und Wasser verzichten müssen, wenn ich diesem Imperativ, der mir im Wort „müssen“ entgegen springt, nicht nachkomme? Nein. Nach allem, was ich inzwischen über das Katastrophenszenario, welches sich da anbahnt, herausgefunden habe, werde ich, wenn ich nicht handle, ab dem 30. April in den frühen Morgenstunden nicht mehr fernsehen können.

Auch das Wort „rasch“ – welches bei den Einblendungen immer gesperrt geschrieben wird, deutet auf eine besorgte Behörde als Absender hin. Denn was heißt rasch? Für die Auswahl und den Kauf der notwendigen Technik wird selbst ein zögerlicher Mensch kaum mehr als zwei oder drei Wochen benötigen, einschließlich Lieferung und Montage durch den empfohlenen „Fachbetrieb“. Wer da mit einer Vorlaufzeit von mehreren Monaten nach raschem Handeln ruft, hat eine andere Vorstellung von Schnelligkeit als die meisten Bürger, was es nicht ganz aussichtslos erscheinen lässt, den Autor innerhalb einer staatlichen Verwaltung zu suchen.

Schriftband im Gesicht

Eine Internet-Recherche ergab, dass die Landesmedienanstalten hinter diesen freundlichen Hinweisen stecken. Sie haben extra das Projektbüro klardigital gegründet, welches die Einblendungen organisiert. Während so genannter „Aktionswochen“ kann es passieren, dass das Schriftband während eines Spielfilms genau mittig über das Gesicht des Hauptdarstellers läuft, und das in einer Geschwindigkeit, die auch einem Erstklässler problemlos das Lesen des gesamten Wortlautes ermöglicht.

Bürgern die sich davon genervt fühlen, teilt das Amt kühl mit, man könne der Einblendung ja durch einen Umstieg auf digitale Technik „entgehen“ – da ist man ganz Behörde – und man bringt doch tatsächlich „Versorgungsengpässe“ mit digitaler Fernsehtechnik ins Spiel, die kurz vor dem Abschaltzeitpunkt auftreten können. „Oh mein Gott,“ möchte man da rufen, „es wird bald keine Fernseher mehr zu kaufen geben, und keine Satellitenanlagen.“ Und man würde als Kolumnist ein paar Ausrufezeichen hinterherschicken, wüsste man nicht, dass die in seriösen Medien verpönt sind. Geht eigentlich manchmal jemand von der Anstalt in einen Fernsehladen? Wann gab es da zuletzt einen Mangel an Geräten?

Ich habe meinen Fernsehkonsum jedenfalls schon deutlich gesteigert, weil ich wissen will, wie es mit den Einblendungen weitergeht. Wird es bald Blinkschrift geben? Werden Spezialeffekte zum Einsatz kommen? Wird eine drohende Stimme über die Liebeszenen gelegt?

Am 30. April, morgens um 3 Uhr, wird dann alles vorbei sein. Ich richte mich auf eine lange Fernsehnacht ein, denn ich will diesen Moment nicht verpassen. Ich hoffe auf einen spektakulären Showdown. Und wenn dann alles vorbei ist, wenn das letzte Licht auf dem Bildschirm erloschen sein wird, dann werde ich eine Flasche Sekt öffnen, mich zurücklehnen, und mir stolz zuprosten, weil ich es geschafft habe, den staatlichen Aufforderungen so lange, so tapfer und so wacker zu widerstehen.

Jörg Friedrich geht immer donnerstags in seiner Kolumne "Wundersamer Alltag" seinem ganz alltäglichen Staunen über die Welt nach. Denn alle Philosophie beginnt beim Staunen. Und alle Weltveränderung mit einem Wundern. Vergangene Woche wunderte sich Friedrich über Singles, die nicht in die Offensive gehen

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Geschrieben von

Jörg Friedrich

Naturwissenschaftler, IT-Unternehmer, Philosoph

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