Schlechter Common Sense

Studie Die US-amerikanische Linke kennt nur gute Palästinenser und Israel als Unterdrückerstaat
Ausgabe 02/2017
Alles in Ordnung bei der Linken? Leider nein
Alles in Ordnung bei der Linken? Leider nein

Foto: Spencer Platt/Getty Images

Linken wird oft der Vorwurf des Antisemitismus gemacht. Das ließe sich als übliche Propaganda der politischen Konkurrenz abtun, doch so einfach ist es nicht: Spätestens wenn es um den Nahostkonflikt geht, stellt sich – übrigens nicht nur für Linke – die Frage: Wie weit darf man israelische Regierungen kritisieren? Wo fängt Antisemitismus an? Welche Positionen Linke hier vertreten und was dran ist am Vorwurf des Antisemitismus, das hat Sina Arnold am Beispiel der US-Linken nach Nine-Eleven untersucht.

Für ihr Buch Das unsichtbare Vorurteil hat sie zahlreiche Interviews mit Aktivisten etwa von Occupy Wall Street, Code Pink oder Act Now to Stop War and End Rassism geführt. Damit sticht ihr Buch wohltuend heraus, denn anders als viele Kommentatoren in Medien, Blogs und Foren spekuliert Sina Arnold nicht, sondern operiert auf sicherem Grund. Was Linke denken – Sina Arnold kann darüber ausführlich Auskunft geben, sie zählt sich selbst zur politischen Linken und hat für ihre Studie nicht zuletzt als „teilnehmende Beobachterin“ in linken WGs gelebt.

So kommt Arnold zu einem sehr differenzierten Ergebnis: Ja, die US-Linke ist gegenüber Israel äußerst kritisch, Antizionismus stelle einen „unhinterfragbaren, identitätsstiftenden ‚subkulturellen Code‘“ dar. Aber ist das Antisemitismus? Nein, sagt Sina Arnold: „Dieser Antizionismus zeigt sich in den Interviews allerdings nicht durch Antisemitismus motiviert“, sondern komme aus „einem komplexen Bündel aus theoretischen linken Grundlagen und gesamtgesellschaftlichen Ermöglichungsbedingungen“.

Alles in Ordnung also bei der Linken? Leider nein. Der empirische Befund ist ziemlich ernüchternd. Den Kampf gegen Antisemitismus, eigentlich für Linke, zumal in Deutschland, eine Selbstverständlichkeit, hat die US-Linke offenbar weitgehend aufgegeben. Im Judenhass sieht sie kein größeres Problem mehr und bringt auch kein bisschen Empathie auf für Juden, die das verständlicherweise anders sehen. Antisemitismus ist für US-Linke ausschließlich das, was ihnen vorgeworfen wird, wenn sie sich für die Palästinenser einsetzen.

Dabei sind die Kenntnisse linker Aktivisten über den Nahostkonflikt ziemlich holzschnittartig und von tiefer Unkenntnis über Israel geprägt. Die meisten kennen nur gute Palästinenser und den bösen Unterdrückerstaat Israel, für Differenzierungen ist kein Platz. Israel sei „ausschließlich zum Symbol für die weiße imperialistische Unterdrückung indigener Bevölkerungen“ geworden, schreibt Arnold. Israelische Juden gelten der Linken „in den Frames ‚Rassismus‘ und ‚Menschenrechte‘ nicht als schutzbedürftig“. Sogar Unsitten aus den Solidaritätsbewegungen der 70er und 80er Jahre treten wieder auf: Viele vertreten, dass man als Metropolen-Linker einem Dritte-Welt-Volk keine Vorschriften machen dürfe, wie es sich gegen Unterdrückung zur Wehr setzt.

Das führt dann zu der absurden Situation, dass Linke kein negatives Wort über die islamistische Hamas verlieren und stattdessen in einem selbst auferlegten Denk- und Sprechverbot verharren. Wie Arnold anmerkt, machen dieselben Linken übrigens Juden sehr genaue Vorschriften, wie sie sich gegen Antisemitismus wehren dürfen und wie nicht. Der Vorwurf doppelter Standards trifft da durchaus zu: Den Palästinensern wird wie jedem anderen Volk eine nationale Befreiung zugestanden – nur den Juden nicht, die, warum auch immer, prinzipiell keinen Nationalstaat haben dürfen.

Die amerikanische Feministin Judith Butler erregte vor ein paar Jahren Aufsehen mit der Behauptung, dass die Hamas Teil der globalen Linken sei. Das war schon ziemlich daneben, denn schließlich würde die islamistische Gruppierung, die den Gaza-Streifen mit eiserner Hand regiert, eine palästinensische Judith Butler sofort wegsperren. Butlers Diktum war aber, das zeigen Sina Arnolds Recherchen, nicht einfach die Fehleinschätzung einer fachfremden Philosophin, die sich in der Parteienlandschaft des Nahen Ostens nicht gut auskennt. Judith Butler hatte nur ausgeplaudert, was in ihren Kreisen schlechter Common Sense ist.

Info

Das unsichtbare Vorurteil. Antisemitismusdiskurse in der US-amerikanischen Linken nach 9/11 Sina Arnold Hamburger Edition 2016, 488 S., 38 €

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