Schleuderträume

Typologie Ein Italiener verletzt Silvio Berlusconi mit einer Statue - und eröffnet damit eine neues Kapitel in der Geschichte des politischen Attentats

Die Statue

Eröffnet ein ganz neues Kapitel in der Geschichte des politischen Geschosses - eben deshalb, weil die Statue nicht geworfen, sondern gestoßen wird. Ist daher nur für äußerst mutige Protestler geeignet, die den Nahkampf nicht scheuen. Der Einsatz der Statue kann mitunter verheerende Folgen haben: Im Dezember 2009 rammte ein angeblich psychisch verwirrter Mann Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi ein Modell des Mailänder Doms ins Gesicht und verursachte schwere Schäden in selbigem. Der Cavaliere wird sich in der Folge wohl einer weiteren Schönheitsoperation unterziehen müssen, um weiterhin bei jungen It-Girls landen zu können. Mit Blick auf die Zukunft ist die symbolische Wirkung nicht zu unterschätzen: Schließlich kann man beinahe alles als Statue nachbilden, etwa Mini-Tanklaster oder Bonsai-Opel.

Der Pflasterstein

Der Klassiker unter den politischen Wurfgeschossen, leicht verfügbar, kostenlos - und lebensgefährlich. Seine fatale Durchschlagskraft wird von Demonstranten zuweilen unterschätzt, wohl auch, weil der Pflasterstein in der Erinnerung an die Sponti-Bewegung inzwischen mythisch verklärt wird. Der Spruch "Unter dem Pflaster liegt der Strand" wird in Deutschland zwar oft mit dem Frankfurter Magazin "Pflasterstrand" in Verbindung gebracht, doch in Wahrheit ist er wohl während der Mai-Unruhen 1968 in Paris entstanden.

Der Halbschuh

Hat als Waffe nur mittleres Gefährdungspotenzial (Ausnahme: siehe hier), aber große symbolische Wirkung. In arabischen Ländern gilt das Werfen mit Schuhen als Zeichen besonderer Abscheu, weil es das Opfer auf eine Stufe mit streunenden Hunden stellt. George W. Bush nahm die Schuh-Attacke äußerlich gelassen. Trotzdem beschäftigt amerikanische Hauptstadt-Journalisten seither eine Frage in eigener Sache: Wird es Pressekonferenzen im Weißen Haus bald nur noch auf Socken geben?

Die Sahnetorte

Eines der bekanntesten Mittel des politischen Attentats, dass die Zielperson nicht körperlich verletzen, sondern lächerlich machen will. Der belgische Komiker Noël Gordin erklärte die "Tortung" zur Kunstform, nachdem sein erster Wurf 1969 die Schriftstellerin und Filmregisseurin Marguerite Duras getroffen hatte. Die öffentliche Resonanz war so groß, dass sich eine Aktivistengruppe "Pâtissiers sans frontières" gründete, die 1998 Microsoft-Gründer Bill Gates erwischte.

Der Pudding

Konnte sich im Gegensatz zur Sahnetorte nicht als politisches Wurfmittel durchsetzen. Zwar sollen Berliner Studenten 1967 ein Puddingattentat auf den damaligen US-Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey geplant haben - das jedoch wurde von der Polizei vereitelt.

Die Tomate

Macht beim Aufprall ein sattes, flatschendes Geräusch und hinterlässt schwer zu reinigende Flecken. Eigentlich aus dem Kulturbetrieb bekannt, wo sie in Oper und Theater quasi als Anti-Applaus fungiert. Inzwischen ist die Tomate auch im politischen Diskurs etabliert, wo sie vor allem in ihrer faulen Form verwendet wird.

Das Ei

Besonders ekeliges Geschoss, das neben dem Verschmutzungs- auch einen langfristigen Geruchseffekt erzielen soll. In Seminaren der pazifistischen Bürgerrechtsbewegung in den USA ließen sich Teilnehmer den Inhalt roher Eier über den Kopf laufen, um zu lernen, ihre Aggressionen zu kontrollieren. Politische Beobachter behaupten, dass sich der Charakter eines Politikers in seinen Reaktionen auf Eierbewurf zeige. Bundespräsident Richard von Weizsäcker sagte in einem solchen Fall lediglich "Ach Leute, hört doch auf" - und sprach einfach weiter. Der Berliner CDU-Politiker Frank Steffel versteckte sich bei einer Attacke während des Bundestagswahlkampfs 2005 hinter dem stoisch dreinblickenden Edmund Stoiber.

Der Farbbeutel

Handwerklich gefertigte Variante des Ei-Geschosses, mit der Protest buchstäblich und dauerhaft markiert werden soll. Wird nicht nur gegen Personen, sondern auch gegen Sachen eingesetzt; ehemals besetzte Gebäude etwa, die heute von grün wählenden "Yuppie"-Familien bewohnt werden. Wie ambivalent die Wirkungsmacht des Farbbeutels jedoch ist, zeigte sich während des Kosovo-Kriegs, als Joschka Fischer auf dem Grünen-Parteitag einen Beutel mit symbolischem Blut ans Ohr geschmissen bekam. Fischers Trommelfell platzte, den Parteibeschluss für einen Militäreinsatz bekam er trotzdem - oder gerade deshalb? - durch.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden