Schlimmster Aderlass seit 1945

Italien Die Sparpolitik von Premierminister Mario Monti ist so drastisch, dass seine Arbeitsministerin zuweilen in Tränen ausbricht
Premierminister Mario Monti hält Demokratie und Euro-Krisenmanagement nicht jederzeit für vereinbar
Premierminister Mario Monti hält Demokratie und Euro-Krisenmanagement nicht jederzeit für vereinbar

Foto: John Thys / AFP / Getty Images

Ganze 33 Mal hat Mario Monti in nur neun Monaten Amtszeit bei Parlamentsvoten die Vertrauensfrage gestellt. Und das trotz einer breiten Mehrheit von Abgeordneten, die nominell hinter ihm stehen. Der Premier stellte sich immer dann zur Disposition, wenn es Ausgabenkürzungen zu beschließen galt. So war es, als Anfang August 26 Milliarden Euro aus dem Staatsbudget gestrichen wurden, die durch Stellenentzug im Öffentlichen Dienst eingespart werden sollen. So dürfte es sein, wenn im September noch einmal 60 Milliarden Euro auf ihre Verzichtbarkeit hin geprüft werden.

In der Bevölkerung darf Monti auf keinen Vertrauensvorschuss mehr rechnen – Normalverdiener haben die Last des seit Ende 2011 oktroyierten Spardogmas zu tragen. Zu höheren Steuern und sinkenden Renten kam kürzlich noch eine Arbeitsmarktreform: Sie lockert den Kündigungsschutz für Festangestellte. Mehr Neueinstellungen seien dadurch aber nicht möglich, klärt der Präsident des Unternehmerverbandes Confindustria, Giorgio Squinzi, auf. Die Rezession sei schuld. In der Tat, zum Jahresende wird mit einem gegenüber 2011 um 2,5 Prozent geschrumpften Bruttoinlandsprodukt kalkuliert, während die Staatseinnahmen – vorrangig wegen der erhöhten Abgaben – um 4,3 Prozent zulegten. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s prophezeit dennoch für 2013: anhaltender Abwärtstrend.

Offiziell begründet wird die Rezession mit mangelndem Vertrauen der Investoren in den Euro. Arbeitsministerin Elsa Fornero versucht derweil, die Unternehmer bei der Ehre zu packen, etwa in der Autoindustrie, die Umsatzeinbrüche von 20 Prozent einräumen muss. Leute wie FIAT-Manager Sergio Marchionne, so Fornero, müssten ihrer Verantwortung für „die industrielle Zukunft Italiens“ gerecht werden. Zugleich spricht sie von der „Identität der Arbeiterklasse, der man ihre Würde zurückgeben“ müsse. Das erinnert an den Auftritt Forneros vor einem Jahr, als sie bei der Bekanntgabe von Rentenkürzungen in Tränen ausbrach.

Düstere Bestandsaufnahme

Wahrlich zum Weinen ist die soziale Lage von Millionen. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei elf Prozent, von den bis 24-Jährigen ist mehr als ein Drittel erwerbslos; die Realeinkommen sanken in zwölf Monaten um 2,8 Prozent – eine Auszehrung, wie es sie nur 1945 gab. Ab Januar 2013 wird eine angehobene Mehrwertsteuer weiter Kaufkraft kosten. Montis Regierung folgt strikt dem Kurs, den EU-Kommission und EZB vorgeben: Verringerte Staatsschulden haben Priorität. Also wurde mit dem Ja zum EU-Fiskalpakt die „Schuldenbremse“ in die Verfassung aufgenommen. Dass Monti von deutschen Medien als „Merkels Gegenspieler“ wahrgenommen wird, ist einem Missverständnis geschuldet.

Auf einen Vorstoß Italiens hin beschloss der Eurogipfel im Juni, den Zugang zu Geldern aus dem Rettungsschirm EFSF zu erleichtern. Das stärkte zwar kurzfristig Montis Image als durchsetzungsfähiger Macher. Mit seinen – gelinde gesagt – ungeschickten Äußerungen über die Pflicht der nationalen Regierungen, „das Parlament zu erziehen“, hat er sich aber kurz darauf nach Kräften blamiert, mit ein paar Tagen Verspätung auch in Italien.

Dort bleibt Angela Merkel die Hauptfeindin. Allen voran die rechte Presse traktiert die Kanzlerin mit Angriffen weit jenseits des guten Geschmacks. Der linke Turiner Soziologe Marco Revelli verzichtet auf persönliche Beleidigungen. In seinem Kommentar „Non morire Montisti“ (Wir wollen nicht als Anhänger Montis sterben) in Il Manifesto resümiert er: Die Spielregeln für die Euro-Zone würden in Berlin und Frankfurt gemacht; die parlamentarische Opposition in Italien, allen voran die Demokratische Partei, habe dies akzeptiert, indem sie Montis Renten- und Arbeitsmarktreform sowie dem Fiskalpakt ergeben zustimmte. Mit der Schuldenbremse in der Verfassung sei dann freilich auch einer ab 2013 möglichen Mitte-Links-Exekutive jeder Spielraum genommen. Der düsteren Bestandsaufnahme stellt Revelli seine Vision eines „anderen Europa“ gegenüber: Nur ein starker Mittelmeerraum sei in der Lage, mit dem „Berliner Zentrum“ auf Augenhöhe zu verhandeln – und den „gescheiterten Dogmen“ des Finanzkapitalismus eine andere Politik entgegenzusetzen. Sein Kommentar schließt: „Wann, wenn nicht jetzt?“

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