Schlingern im Verfassungsbogen

ÖSTERREICH Abschied von der Zweiten Republik oder wie die ÖVP auf ein Leben nach dem Tode hofft

Auf einem ÖVP-Kongress in Linz hat Wolfgang Schüssel seine Partei beschworen, "Mut und eine feste Hand am Steuer" zu haben. Die ÖVP bleibe "Kraft der Mitte". Die Delegierten quittierten mit diszipliniertem Beifall ohne Überschwang - wohl auch in dem Wissen, dass die ÖVP seit ihrer Liaison mit der FPÖ in Umfragen nur noch knapp über 20 Prozent liegt. Nach der Regierungsübernahme haben sich die Konservativen einer Identitätskrise zu erwehren, die in der Geschichte der Zweiten Republik ihresgleichen sucht.

Der Konservatismus in der Alpenrepublik ist traditionell katholisch geprägt und weiß seine Basis vorzugsweise in der Landbevölkerung, im Kleinbürgertum, in der Beamtenschaft - von der Gemeinde bis hinauf zur Ministerialbürokratie. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg prägte diese Klientel ein eher unterentwickeltes Bedürfnis nach Aufklärung (im breitesten Wortsinn), aber auch ein konfessionell gefärbter Antisemitismus, der sich 1938 - beim Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich - als Brücke zum Nationalsozialismus erweisen sollte. Andererseits hat es für den österreichischen Konservatismus, aber auch für das auf ihn fixierte "Milieu" in der Vergangenheit immer wieder Bruchstellen gegeben, die nicht zuletzt Form und Gehalt seiner politischen Artikulation veränderten.

Die über Jahrhunderte typische Allianz von Thron und Altar - sprich: Habsburger-Dynastie und katholischer Hierarchie - wurde bereits im 19. Jahrhundert zunächst durch ein auf Emanzipation bedachtes Bürgertum, später durch die Sozialdemokratie in Frage gestellt. Beide Antipoden entwickelten in Abgrenzung zum konservativen Traditionalismus einen bewussten Antiklerikalismus und wandten sich teilweise auch dem Deutsch-Nationalismus zu. Mit anderen Worten: War der Konservatismus katholisch und habsburgisch, gaben sich Sozialismus und Liberalismus antiklerikal und deutsch national.

1918, nach dem Kollaps der Monarchie, sammelte sich die Hauptströmung des Konservatismus in der Christlich-Sozialen Partei, die an ihrem rechten Rand eine bewaffnete Bürgerwehr unterhielt. Sie sollte eine wesentliche Rolle spielen, als 1934 die bürgerliche Demokratie brutal eliminiert wurde. Unter Berufung auf die katholische Soziallehre wie den italienischen Faschismus wurde ein "christlicher Ständestaat" proklamiert, der unter Historikern auch als "Austrofaschismus" firmiert. Insofern bedeutete der Februar 1934 mit den Massakern an Wiener Arbeitern und dem Verbot der Sozialdemokratie sicherlich einen der schwersten "Sündenfälle" des Konservatismus in Österreich. Die folgenden vier Jahre der Diktatur waren ein entscheidender Grund dafür, dass es 1938 keinen nennenswerten Widerstand gegen die Annexion durch Hitler und die Kapitulation vor dem Nationalsozialismus gab. Ein beachtlicher Teil des konservativen Lagers identifizierte sich mit dem Anschluss, wobei zugleich christlich-soziale Politiker in den Widerstand gingen und in Konzentrationslager deportiert wurden. Die Mehrheit indes blieb passiv.

Mit der Republik, die 1945 ihre Wiedergeburt erlebte, trat auch der Konservatismus erneut an - nun in Gestalt der Österreichischen Volkspartei (ÖVP). Sie verstand sich als Kraft der sozialen Integration, die auf ein nicht-konfessionelles Selbstverständnis Wert legte. Drei Bünde wurden als "soziale Säulen" verankert: gedacht für Arbeitnehmer (besonders Beamte und Angestellte), für Wirtschaftstreibende sowie Bauern. An der Spitze der Partei standen zwar Vertreter des früheren "Ständestaates", doch handelte es sich um Politiker, die von den Nazis verfolgt wurden und im Widerstand zu einem Schulterschluss mit den Sozialdemokraten gefunden hatten. Insofern brachte die Gründung der Zweiten Republik nicht nur die Abkehr von allen großdeutschen Ambitionen, sondern auch die Versöhnung von Konservatismus und Sozialdemokratie.

Die ausbalancierte Machtparität zwischen ÖVP und SPÖ (die ÖVP stellte als stärkere Partei allerdings stets den Bundeskanzler) währte bis 1966. Dann gewann die ÖVP die absolute Mehrheit und regierte allein. Schon vier Jahre später wendete sich das Blatt, und Bruno Kreisky wurde erster sozialdemokratischer Kanzler Österreichs. Für die ÖVP ein Aderlass, von dem sie nie mehr vollends genesen sollte.

Erst 1987 hatte sich die Partei soweit regeneriert, dass sie in die Regierung zurückkehren konnte, allerdings erkennbar angeschlagen, da mit dem Rückgang der bäuerlichen Bevölkerung, einem sinkenden Einfluss der katholischen Kirche, aber auch der Etablierung der Grünen als vierter Parla mentspartei das traditionelle ÖVP-Milieu ausgezehrt wurde. Unter diesen Umständen empfahlen sich die Konservativen besonders als "Europapartei", ohne ausreichend bedacht zu haben, in welche Konflikte die EU-Aufnahme (1995) gerade traditionelle ÖVP-Anhänger treiben sollte - vom Agrarsektor über das Kleingewerbe bis zum öffentlichen Dienst sahen sie sich durch Einsparungen und Personalabbau geschwächt. Die ÖVP konnte - als Folge der EU-Integration - ihre tradierte Rolle als soziale Integrationspartei nicht mehr überzeugend spielen. Jörg Haider war es längst gelungen, die FPÖ als rechtspopulistische Alternative - zunächst für enttäuschte ÖVP-Stammwähler, später für frustrierte SPÖ-Kernschichten - anzubieten. Bereits 1986 wollte der damalige ÖVP-Obmann Alois Mock eine Koalition mit Haiders FPÖ eingehen, scheiterte jedoch innerhalb seiner Partei, die damals noch mehrheitlich eine SPÖ-ÖVP-Koalition vorzog. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre setzte der damalige ÖVP-Chef Erhard Busek auf klare Abgrenzung von Haiders Demagogie und vertrat einen wertorientierten Konservatismus mit christlicher Prägung, aber auch liberalen Schattierungen. Die erhoffte Trendwende blieb aus. Sein Nachfolger Schüssel besaß die Kühnheit, in der Krise den Kanzleranspruch der ÖVP zu reklamieren, und fiel damit 1999 mit 26,9 Prozent nicht nur auf einen historischen Tiefststand, sondern erstmals auch hinter die FPÖ auf Platz drei zurück. In einer für die politische Moral des Konservatismus einmaligen Aktion durchbrach der Verlierer danach alle Prinzipien und erhob die Haider-Partei, die noch wenige Monate zuvor "außerhalb des Verfassungsbogens" gestanden hatte, zum Partner. Die stolze Gründungspartei der Zweiten Republik war kaum noch ein Schatten ihrer selbst. n

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden