Hiesige Integrationsdebatten bedienen nicht nur oft genug schale Klischees, sondern bemühen dafür auch noch immer wieder die gleichen Buzzwords: Kopftuch, Beschneidung, Doppelpass. Ein „deutsch-türkisches Kulturmagazin“ namens renk. möchte deshalb nun den Blickwinkel weiten. Drei Jahre hat das Projekt im Netz Geschichten gesammelt, die ein vielschichtiges Bild zeigen sollen: eines, das sowohl Künstlerinnen in Köln oder Istanbul, als auch eine deutsch-türkische Bikergang in Berlin umfasst. Jetzt erscheint renk., was auf Türkisch Farbe bedeutet, erstmals als gedrucktes, fast 200-seitiges Heft. Und Klischees werden hier höchstens ironisch bedient.
Die per Crowdfunding finanzierte Printausgabe ist anspruchsvoll gestaltet und lebt zunächst vom Layout. Fotostrecken und Illustrationen bekommen viel Platz. Über acht Seiten dürfen Designer Dönerpackungen gestalten, doppelseitige Fotografien nähern sich Transsexuellen in der Türkei oder begleiten eine Beschneidungsfeier in Berlin. Auch wenn die Texte, die im Print alle deutsch, online aber auch englisch sind, sich manchmal etwas schwerfällig lesen – die Bilder vermitteln den Lesern dennoch eine große Nähe zu den Porträtierten. Thematisch wechselt das Heft zwischen Alltäglichem und Besonderem. Die Autoren besuchen etwa das polnische Viertel in Istanbul, aber auch einen Berliner Schrotthändler, der aus Altmetall Skulpturen formt.
Nicht alle renk.-Autoren haben einen türkischen Familienhintergrund, ihre Texte aber immer einen Bezug zur Türkei. Eine der Kernfragen lautet: Wer ist das eigentlich, die Deutschtürken? Eine klare Antwort darauf gibt das Heft nicht. Stattdessen versucht es, Geschichten zu erzählen, die sich dieser Identität behutsam nähern. Deutsch-türkisch, das ist zum Beispiel der Berliner Psychologe Umut Özdemir, der über Sexualität in türkischen Ehen spricht. Deutschtürkisch, das ist auch Konzeptkünstler Nasan Tur, der Liebesbotschaften von Kirchtürmen gesendet hat. Das Magazin grenzt die Frage nach der Identität jedoch nicht eng ein, sondern lässt vielmehr Menschen zu Wort kommen, die sie sehr individuell beantworten. Türkische Biker haben eben einen anderen Blick auf „ihre Kultur“ als Künstler, die über das Türkischsein in Deutschland diskutieren.
Gegründet wurde renk. 2013 als Abschlussarbeit der Studentin Melisa Karakuş in Dortmund. Die Grafikdesignerin hatte genug von Stereotypen – und traf damit einen Nerv bei jungen Türken. Schnell entwickelte sich aus dem Universitätsprojekt eine ernsthafte Plattform. Karakuş wurde zum Bundespräsidenten eingeladen und bekam den Kausa-Medienpreis verliehen. Bislang lebt das Magazin von seinen ehrenamtlichen Autoren.
Der Printausgabe sind auch noch Ungereimtheiten anzumerken. Die unterschiedlichen Schriftsätze irritieren, ebenso der mitunter holprige Textrhythmus. Trotzdem lohnt sich die Lektüre, vor allem, weil renk. jene deutsch-türkischen Perspektiven vorstellt, die in anderen Medien oft fehlen. In die Integrationsdebatte einzusteigen, versucht das Magazin hingegen erst gar nicht. Stattdessen wirft es ein Schlaglicht auf all jene, die geistig und geografisch zwischen Istanbul und Berlin pendeln. Das sind viele, deshalb ist damit ist schon viel gewonnen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.