Schmatzorgie

Kommentar Präsidentenkür

Das Amt des Bundespräsidenten verkommt immer mehr zur parteipolitischen Profilierungsanstalt: Wer die Kandidatenkür gewinnt, kann bei Land- oder Bundestagswahlen einen besonderen, sonst nicht zu erwartenden Bonus-Effekt erzielen. Ein Kalkül, das bei der FDP ganz klar war: Sie versuchte Farbe zu gewinnen. Ihre politische Bedeutungslosigkeit zwang sie allerdings, die Gemeinsamkeiten mit der CDU zu betonen und das verbliebene Zipfelchen Macht dazu zu nutzen, ein paar Trumpfkarten gegen vorschnelle CDU-Entscheidungen zu schleudern. Ein ebenso notwendiges wie gefährliches Spiel. Man musste verhindern, gar nicht mehr wahr genommen zu werden. Die Gefahr, dass der starke Partner CDU sich einiger Figuren der FDP versicherte und das Personalproblem Westerwelle im Vorübergehen mit lösen würde, war allerdings nicht zu übersehen. Dem sollte mit Schmalz-Jacobsen als Kandidatin entgegen getreten werden.

Natürlich hatten auch CDU und CSU Ambitionen, die eher mit der eigenen Regierungsübernahme als mit dem Präsidentenamt korrelierten. Wer von den Kandidaten würde nicht nur das Amt gewinnen, sondern gleichzeitig dafür sorgen, dass man sich einiger bislang nicht ausreichend besetzter Politikfelder versichern könnte? Schließlich wuseln nicht gerade Unmengen charismatischer Gestalten durch die Partei, deren Name mit einer Politik verbunden ist, die allseitig bekannt, wenn auch nicht geschätzt sind. Die Weste des Kandidaten Schäuble wirkt durch Affären partiell bekleckert, bei Stoiber gibt es das Problem nicht, der lästige Konkurrent für die Kanzlerwahl lächelte gütig aus dem Olymp.

Großstädte waren bislang nicht eben Hochburgen christlicher Politik. Ein Defizit, das in der innerparteilichen Kandidatendebatte Anette Schavan noch oben spülte. Denn der Ruf nach einer Frau als Präsidentin hatte wenig mit Gleichbehandlung der Geschlechter, dafür viel mit kalter Überlegung zu tun: Auch die Frauen wurden daraufhin gecheckt, wie hoch der politische Gewinn für die nominierende Partei sein würde. Die SPD hingegen verhielt sich wie eine sprungbereite Katze: Wir haben zwar keine Chance, in der Not aber schnellen wir aus der Lauerstellung heraus und stellen die entscheidenden Weichen.

Ob die Kandidaten die allgemeine Schmatzorgie schadlos überstanden haben, wird sich später herausstellen. Wer allerdings nach dieser Woche weiterhin davon spricht, das Amt sei ein im Wesentlichen unpolitisches, verkennt, dass das parteipolitisch getriebene Nominierungskarussell sich nur deshalb so wild drehte, weil vehement politische Fragen über das Personenprofil voraus bestimmt werden sollten. Es geht nicht darum, per Wahlmann einem Wählerauftrag nachzukommen, sondern Weichen für eine die eigene Partei begünstigende Politik zu stellen.


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