Verreiste die Familie Smith früher in ihren Freien ins südenglische Badestädtchen Devon, so gab sich die kleine Zadie alle Mühe, ja nicht aufzufallen: »Wenn du schwarz warst und in einen Süßwarenladen gingst, drehten sich alle nach dir um und erwarteten, dass du etwas stahlst oder jemanden verletztest. Als Kind versuchte ich stets, dies zu kompensieren, indem ich mich dreimal so gut benahm wie jedes andere Kind im Laden. Ich denke, diese Haltung hat sich auch in meinem Schreiben breitgemacht und das mag ich nicht besonders und damit möchte ich auch nicht fortfahren.«
Zadie Smith als unauffällige Autorin? Ausgerechnet Zadie Smith, deren erste 80 Seiten ihres Debütromans White Teeth (Zähne zeigen, vgl. Freitag 38/2001) 1997 in einer
tag 38/2001) 1997 in einer spektakulären Auktion von Penguin-Books ersteigert wurden, der Legende nach für eine Viertelmillion Pfund. Zadie Smith, die damals, mit 21 Jahren, den Begriff »Fräuleinwunder« in seine wahnwitzigste Kommerzhöhe katapultierte. Vor allem aber auch: Zadie Smith, die endlich im Jahr 2000 mit White Teeth tatsächlich einen der großartigsten Romane der vergangenen Jahre vorlegte. White Teeth war das Buch, das die liegengebliebenen Enden der Globalisierung sorgfältig aufnahm, das die poetischen Spuren einer zusammengewürfelten Nordlondoner Immigrantengemeinschaft nachempfand - zurückverfolgt wäre viel zu wenig gesagt bei dieser gekonnten Mixtur aus ethnischen Mythen, Idiomen und Identitätsentwürfen.Die Geschichte um mehrere Generationen mehrerer Familien, ließ sich in ihrem sprachlichen Farben- und erzählerischen Erfindungsreichtum mühelos in die Schiene der Enkelgeneration von Autoren wie Salman Rushdie oder Toni Morrison stellen. Die »streetsmarte« Zadie Smith, die auf den multikulturellen Slang Nordlondons hört, die Hip-Hop liebt und sich öfters als etwas heller gefärbte Lauryn Hill zu inszenieren versucht, hatte es geschafft, ein Buch zu schreiben, das vieles von dem in sich vereint, was das Commonwealth je an »oral literature«, an mündlich überlieferten (und oft auch einzig mündlich überlieferbaren) Sound- und Erzählsystemen hervorgebracht hat. Und sie legte damit ein Buch vor, das nur einen Makel hatte: Es konnte eigentlich nicht übersetzt werden. Ulrike Wasel und Klaus Timmermann unternahmen den Versuch, aus White Teeth dann Zähne zeigen (2001) zu machen, doch wäre da nicht auch immer noch die Geschichte der schönsten Jungautorin der Welt gewesen, die sich in allen Rezensionen herunterbeten ließ, Zähne zeigen wäre wohl eher als zwar immer noch hoch beachtlicher, aber vergleichsweise träger Backstein in den Regalen deutschsprachiger Buchhandlungen liegen geblieben.Nun ist Zadie Smiths Zweitling auf deutsch erschienen, wieder hat sich das gleiche Übersetzerpaar dahintergemacht, doch die Verwandlung von The Autograph Man in Der Autogrammhändler dürfte ihnen weit weniger schwer gefallen sein, denn sprachlich präsentiert sich hier wirklich eine vergleichsweise angepasste Autorin. So angepasst vielleicht, dass sich die Onlinebuchhandlung amazon.de zu einer verschärften Werbekampagne verpflichtet sah. Unter dem Titel Fans Stars ließ amazon.de zur Lancierung von Der Autogrammhändler im Januar eine aufwändige Studie in Auftrag geben, die nun leider keine großen Neuigkeiten verkündet: »35,9 Prozent der Deutschen sind bekennende Fans. Ungefähr genauso viele haben mit Stars und Prominenten nichts am Hut«, steht da beispielsweise oder »Für Autogramme interessieren sich meist die Jüngeren und überraschenderweise mehr die Jungs.« Wenn das die Lesermassen nicht vom Hocker reißt...Zwei Jahre brauchte Zadie Smith für The Autograph Man, und während dieser Zeit ließ sie, genervt von dem medialen Rummel um ihre eigene Person, immer wieder sarkastische Kommentare zu seinem Entstehungsprozess vernehmen. Einmal drohte sie damit, aus Mangel an Ideen die Gestaltung ihrer Figuren ihren Fans zu überlassen: je mehr einer von ihnen zu bezahlen bereit sei, desto länger würde sie ihn im Buch porträtieren. Und tatsächlich scheint sich Zadie Smith ausweglos im Labyrinth ihres Ideenvakuums und Populismusschocks verstrickt zu haben, denn The Autograph Man handelt von nichts anderem als den Schmarotzern des Startums. Vornehmlich von einem jungen Mann namens Alex-Li Tandem, der nicht nur mit seiner chinesisch-englisch-jüdischen Splitteridentität im Kampf liegt, sondern überhaupt mit allem, was beim Erwachsenwerden klare Stellungnahmen und Entscheidungen verlangt.Alex kann sich erst begeistern, wenn irgendwo der Prozess der existenziellen Entäußerung einsetzt: Er liebt seine Freundin Esther, schwarz und jüdisch, dann am meisten, wenn er ihren Herzschrittmacher unter ihrer Haut hin- und herschieben darf, wenn er ihre Sterblichkeit gewissermaßen mit seinen Händen fassen kann, genauso, wie er die in Buchstaben geronnene Unsterblichkeit all der angebeteten Prominenten, mit deren Autogrammen er professionell handelt, in den gleichen Händen halten kann. Sein Idol heißt Kitty Alexander, eine B-Movie-Darstellerin der fünziger Jahre. Und weil »Der Autogrammhändler« eine Art Wizard of Oz-Märchen ist, empfängt die inzwischen betagte Dame Alex tatsächlich in New York, lässt sich ganz unneurotisch von ihm nach England bringen, und hat auch nur eine knappe Seite lang etwas dagegen, dass Alex das Gerücht ihres Todes nutzt und mit dem Verkauf ihrer Autographen skrupellos ein ganzes Vermögen für sie ersteigert. Ein Idol ist diese nette Oma im richtigen Leben mitnichten, und alle Probleme lösen sich in windschlüpfriger Minne auf. Der Autogrammhändler leidet definitiv an etwas, das Zähne zeigen gänzlich fehlte: an etwas zu viel Pop-Kosmetik. Und glaubt man einmal, auf ein besonders originelles Bild zu stoßen, so kann es gut sein, dass es geklaut ist, wie beispielsweise Esthers abgetriebene Föten, die Alex im Wahn auf ihren Schenkeln sitzen sieht - genauso sah sie schon Will Self in Wie Tote leben.Es ist trotzdem eine bei allen Mängeln sehr amüsant ins Medienzeitalter übersetzte Suche nach Transzendenz, die Zadie Smith ihrem Protagonisten angedeihen lässt, flankiert von allerlei tatsächlich religiösen Fragestellungen. Ein jüdischer Mystizismus rankt sich wie ein wegweisendes Ornament durch Alex´ ansonsten eher schablonenhafte Identitätssuche, Anfang und Ende des Buches liegen in einer glücklichen Vater-Sohn-Symbiose. Im ersten, herrlich komischen Kapitel wird der gemeinsame Besuch eines Wrestling-Kampfes beschrieben, der Alex mit seinen späteren besten Freunden zusammenbringt, auch sie alle - wie sich dies für Zadie Smith nach White Teeth gehört - an konfliktuösen Scharnierstellen aufeinander treffender Kulturen. Am Schluss steht das Gebet, das Alex zum Jahrestag seines früh verstorbenen Vaters in der Synagoge spricht, eine Klammer, die eine schöne Ernsthaftigkeit um einen Roman legt, der sonst etwas allzu sehr nach dem »Wie imitiere ich am besten Nick Hornby und aber auch meinen politisch korrekten Erstlingserfolg«-Muster gestrickt scheint. In England jedenfalls funktionierte dieses Rezept einwandfrei, The Autograph Man wurde 2002 für den Booker Prize nominiert.P.S. Eine Kitty Alexander hat es in den Abgründen der B-Movie-Kultur übrigens tatsächlich einmal gegeben. Doch findet sich unter ihrem Namen bloß eine einzige Erwähnung in der »International Movie Data Base«: 1933 war sie »Stand-In«, also Vertreterin bei Stellproben, für Judith Anderson im Sado-Maso-Gangstermelodram Blood Money. Brav und geduldig wahrscheinlich wie ein halbes Jahrhundert nach ihr das kleine schwarze Mädchen im Süßwarenladen von Devon.Zadie Smith: Der Autogrammhändler. Droemersche Verlagsanstalt, München 2003, 440 S., 22,90 EUR
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