Schnell hat sich totgelaufen

Pop Die Band Tame Impala nimmt sich Zeit. Lauscht auf Beats. Denkt lange nach. Hat jetzt ein 70er-Jahre-Album gemacht
Ausgabe 07/2020

Wer in den 80ern geboren wurde, hat keine Angst vor Musik aus den 70ern. Keine allergischen Abwehrreaktionen gegenüber Plattencovern, auf denen surreale Hochglanz-Landschaften abgebildet sind, keine sich hochrollenden Fußnägel bei poppigem Kopfgesang, akustischen Gitarren und träumerischen Keyboardteppichen. Und kein Problem mit langen Haaren. Kevin Parker alias Tame Impala, geboren 1986, stammt zudem aus der australischen Metropole Perth, die schön, aber isoliert an der Westküste liegt, über 2000 Kilometer entfernt von der nächsten erkennbaren Stadt. Vielleicht klingt das vierte Tame-Impala-Album The Slow Rush, für das die Band sich fünf Jahre Produktionszeit nahm, darum so unbehelligt vom Rest der Welt, vom Rest der Musik: Kevin Parker lässt sich nicht drängen.

Beim Interview ist das nicht anders. Parker, freundlich und unrasiert, spricht langsam, nimmt sich Pausen, beantwortet Fragen gern mit: „Darüber muss ich erst nachdenken!“ Nur kein rush, keine Hetze. Auch beim Songschreiben braucht er viel Zeit: „Ich beginne oft mit einem Schlagzeugbeat. Den höre ich mir immer wieder an, so lange, bis ich weiß, zu welcher Atmosphäre er passen könnte.“

Das Gestern ist etwas heutiger

Bei The Slow Rush ist das eine entspannte, an Soft Rock und etwas gefälligeren Prog-Rock erinnernde Stimmung, als streichle man mit der linken Hand ein Supertramp-Cover, während man sich mit der rechten einen baut. Die Platte, getragen wie üblich von Parkers fantasievollem Songwriting und seiner hohen, weit nach hinten gemischten Stimme, hat viel Eskapismus, viel Seventies-Spirit, der aber durch die Produktion des musikalischen Tausendsassas und Multiinstrumentalisten Parker plötzlich heutig wirkt. „Musik klingt doch trotz der Inspirationen immer nach der Zeit, aus der sie stammt“, findet Parker.

The Slow Rush mischt in Songs wie Tomorrow’s Dust langgezogene Keyboardgeigentöne („Ich liebe die Idee, ein ganzes Orchester im Schlafzimmer einzuspielen!“) auf einen komplexen Prä-Disco-Beat und von der Gitarre gespielte 70er-Jahre-Akkordfolgen. Bei Posthumous Forgiveness singt Parker traurige Autotune-Zeilen im Midtempo, bis ein metallenes Captain-Future-Keyboard das Drama andeutet. Und das Gestern in Lost In Yesterday ist, anders als auf seinen Psychedelic-Rock-orientierten Alben zuvor, sogar noch ein paar Jahre näher ans Heute gerückt. Es ist, als würde Kevin Parker die musikalische Entwicklung zwischen 1967 und 1979 einfach noch mal im Alleingang nacherleben. „Ja“, gibt er zu, „ich liebe den Sound aus den 60ern und 70ern – aber auch aus den 80ern und 90ern, ich will niemanden diskriminieren.“

Dass diese Aussage ein wenig wie der Slogan für einen Formatradiosender klingt, passt: Tame Impala hatte nie die Intention, irgendwo anzuecken. Der gleichermaßen von Eklektizismus und Spielfreude geprägte Sound entzieht sich jeglichem Statement, ist pures (Retro-)Vergnügen. The Slow Rush ist darum trotz vieler eindeutiger Bilder auch eine verhuschte, unkonkrete Platte geworden – ein intensives Hintergrundalbum, für manche vielleicht zu seicht. Parker möchte das bald ändern: Eigentlich, sagt er, würde er gern einen politischen Text schreiben, „zum Klimawandel“. Ihm sei nur noch keiner eingefallen. Aber bitte nicht hetzen. Der große Tame-Impala-Song über die Brände in Australien kommt genau dann, wann er kommen soll.

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Tame Impala The Slow Rush Universal 2020

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