Schnell, schneidig, tödlich

Afghanistan Die Bundeswehr versinkt im Morast des Afghanistan-Krieges. Die Bombardierung der Tanklaster offenbart, dass es eine "Entmilitarisierung des Militärischen" nicht gibt

Entsetzen herrscht in der Republik über einen der verheerendsten Luftangriffe im schmutzigen Krieg am Hindukusch. Befohlen von einem Oberst der Bundeswehr, exekutiert von einem Jagdbomberpiloten der US Air Force. Blitzschnell, präzise und mörderisch hat sie funktioniert, die High-Tech-Kriegsmaschinerie der NATO. Kaum eine Stunde war vergangen, nachdem der Gegner die Tanklastwagen der ISAF erbeutet hatte, da hatten die fliegenden AWACS-Gefechtsstände die waffenstarrende Kampfmaschine zu ihrem Ziel dirigiert. Was folgte, waren eine gigantische Explosion und ein flammendes Inferno. Übrig blieben die qualmenden Stahlskelette zweier Tanklastzüge und Dutzende, wenn nicht über hundert verkohlte Menschenleiber. Was wohl angesichts dieser Bilder in den Köpfen jener, wie Kurt Tucholsky sie nennen würde, „Schlachtendirektoren“, vorgehen mag, die in der »Chain of Command« ihre Befehlsgewalt ausübten?

Höchst fragwürdiges Vorgehen

In jener Nacht jedenfalls scheint kalte Militärlogik Regie geführt zu haben. Der Feind hatte zwei Fahrzeuge erbeutet, die Treibstoff für die Besatzungstruppen transportierten. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln sollte ihm die Nutzung dieser wertvollen Ressource verwehrt werden. Vielleicht wollten die Taliban die Tanklaster aber auch als rollende Benzinbomben für Selbstmordattentate nutzen. Unverzügliche Reaktion schien geboten. Am schnellsten konnte diese die Luftwaffe leisten. Das Risiko schien begrenzt, schließlich fuhren die Lastzüge mitten in der Nacht über einsame Pisten. Das Ziel sollte für die Jagdbomberbesatzung leicht identifizierbar sein. Getroffen werden konnten ja nur die feindlichen Kämpfer, die die Tanklaster geraubt hatten. Kollateralschäden waren in dieser Situation zu nächtlicher Stunde kaum zu erwarten.

Doch bei genauerem Hinsehen erscheint das Vorgehen weit weniger durchdacht, sondern im Gegenteil in höchstem Maße fragwürdig. Der Wert der beiden Tanklaster war in Wirklichkeit marginal; den Krieg konnten die Taliban mit ihnen jedenfalls nicht gewinnen. Und selbst wenn die Theorie vom Selbstmordanschlag stimmen sollte – die Laster konnten doch nur auf befestigten Pisten oder Straßen fahren. Die aber waren mit infanteristischen Kräften jederzeit zu überwachen. Und schon mit einer simplen, über die Straße gespannten Nagelkette läßt sich jedes bereifte Fahrzeug stoppen.

Warum die Eile?

Jeder Offizieranwärter lernt in der Ausbildung, wie er Sicherungskräfte, die mit Maschinengewehren, Panzerfäusten, Handgranaten und anderem Rüstzeug ausgestattet sind, zum Schutz eigener Positionen einsetzen kann. Die Bundeswehrtruppe am Hindukusch verfügt über all diese Waffen und noch mehr. Warum also diese Eile und dieses Übermaß? Hatte nicht der neulich ins Amt gekommene ISAF-Kommandeur McChrystal größte Zurückhaltung im Hinblick auf die Anforderung und den Einsatz von Luftnahunterstützung angeordnet? Wollte da ein Kommandeur beweisen, daß die im vermeintlich ruhigen Nord-Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten eben nicht die „Drückeberger“ und „Weich­eier“ waren, als die sie von ihren alliierten Kameraden mitunter verspottet wurden? Sollte die Welt erkennen, daß „die Deutschen wieder gelernt hatten zu töten“, wie vor Jahren schon der Spiegel getitelt hatte? Die harschen Reaktionen in der Europäischen Union und in der NATO zeigen, daß solche Fragen sich nicht einfach vom Tisch werden wischen lassen. Die bislang völlig kopflos reagierende Bundesregierung wird Rede und Antwort stehen müssen, und zwar über jene Desinformationssprechblasen hinaus, die bislang aus Berlin ertönen.

Eines aber sollte das nächtliche Drama im afghanischen Flußbett auch dem letzten Traumtänzer hierzulande klargemacht haben, und das ist, was die von früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Aplomb verkündete „Enttabuisierung des Militärischen“ in der Realität bedeutet: Nämlich massenhaft Tod, Verwundung und Verstümmelung von Menschen. Es ist an der Zeit, einzugestehen, dass sich mit solchen Mitteln Menschenrechte, Freiheit und Demokratie nie werden gewinnen lassen – weder für die Menschen in Afghanistan noch sonstwo auf der Welt. Für die demnächst neu gewählte Bundesregierung kann daher nur eine Devise gelten, und die lautet: Bring our Boys back Home!

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr und aus disziplinarrechtlichen Gründen gezwungen, darauf hinzuweisen, dass er in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen vertritt.

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