Reife oder Unreife werden der nordirischen Demokratie nach wie vor in London attestiert. Davon hängt ihr Sein oder Nichtsein ab. Kaum eine Entscheidung der vergangenen Jahren lässt das stärker spüren, als die von der Blair-Regierung verfügte Verschiebung der Wahlen in Nordirland. Ursprünglich waren sie für den 29. Mai anberaumt. Nun sind sie auf einen Zeitpunkt verschoben, an dem Unionisten und Republikaner "wieder soweit sein werden" - wie London argumentiert -, seriös über ein Allparteien-Kabinett zu verhandeln. Doch die Begründung überzeugt nicht. Gerade hatte die Irisch-Republikanische Armee (IRA) mit weitreichenden Konzessionen der Ulster Unionist Party (UUP) des ehemaligen nordirischen Chefministers David Trimble Vorwände genommen, ihren Boykott des Friedensprozesses zu verlängern. Auch zeichneten sich klare Stimmengewinne für die konsequenteste republikanische Kraft in Belfast, Gerry Adams Sinn Fein Partei, ab. Wenn Tony Blair die Wahlen ausgerechnet jetzt stundet, beugt er sich - wieder einmal - den Wünschen der Unionisten.
Man mag den Effekt bedenken, dass dadurch die Verantwortung für Recht und Ordnung bei der anstehenden protestantischen Parade-Saison allein bei der britischen Exekutive liegt, während sich die nordirischen Parteien zu Reservisten degradiert sehen. Genau genommen aber fällt die Region mit diesem Patronat in einen Zustand zurück, wie er vor dem Karfreitagsabkommen vom 10. April 1998 bestand. Der britische Staat als Mentor der seinerzeit begonnenen Verständigung geriert sich als autoritärer Vormund, der tut, was er für richtig hält. Wenn das seit fünf Jahren stattfindende, noch immer unvollendete Experiment einer Machtteilung zwischen pro-britischen protestantischen Unionisten und pro-irischen katholischen Republikanern einer Auszeit bedarf, wird die durch London prompt dekretiert. Selbstverständlich stets zum Besten des Friedensprozesses oder eben derer, die ihm den Tribut verweigern - und das sind vorzugsweise unionistische Hardliner. In etlichen kritischen Phasen seit 1998 mag diese Art von Interventionismus die nordirische Detente vor irreversiblen Schäden bewahrt haben. In der Wahlfrage grenzt sie an Willkür. Der IRA wurden jüngst von Blair drei Fragen vorgelegt: Wie hält sie es mit der Entwaffnung, der Absage an Gewalt, einer wieder vereinigten irischen Republik? Die Republikaner gaben Auskünfte, die sich als kompatibel mit dem Karfreitagsabkommen erwiesen, das bekanntlich enge - teilweise föderale - Beziehungen mit der Republik Irland nicht ausschließt. Aber David Trimble und dann auch Tony Blair reichten die IRA-Erklärungen erwartungsgemäß nicht. Fazit: Überall, wo die Republikaner ankommen, sind die Unionisten schon weitergezogen, um neue Forderungen zu stellen. An eine endlose "Schnitzeljagd" erinnere ihn das, meinte Gerry Adams. In der Tat spielt sich da ein Verfolgungsrennen ab, das mit einem Friedensprozess wenig zu tun hat.
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