Schöner Arbeiten zu Hause? Nicht für jeden

Homeoffice Ein Recht auf Heimarbeit muss gesetzlich verankert sein. Freiwillige Vereinbarungen mit den Unternehmen nützen am Ende nur dem Kapital
Ausgabe 41/2020
Eine von mutmaßlich vier Frauen in Deutschland, die zur Zeit fröhlich zu Hause arbeitet
Eine von mutmaßlich vier Frauen in Deutschland, die zur Zeit fröhlich zu Hause arbeitet

Foto: Westend61/Imago Images

Homeoffice gehöre seit Beginn der Pandemie zum Berufsalltag, schreiben Zeitungen. Das ist eine seltsame Verkennung der Tatsache, dass bezahlte Arbeit in den eigenen vier Wänden wahrlich kein neues Phänomen ist. Freiberufliche, Soloselbstständige, Telearbeitende und unzählige Menschen, die Arbeit mit nach Hause nehmen, weil die sonst nicht zu schaffen ist, sind keine neue Nachricht. Aber natürlich tun wir gern so, als sei der morgendliche Gang ins Büro, in eine Produktionshalle oder hinter eine Ladentheke der einzig zu bedenkende Normalfall. Finanzämter streichen einer das Arbeitszimmer, wenn darin eine Schlafcouch steht. Weil der Gesetzgeber sich nicht vorstellen kann, dass jemand in Verhältnissen lebt und arbeitet, die ein extra Schlafzimmer nicht hergeben. Oder im Arbeitszimmer hinten rechts eine Spielecke einrichtet, um die süßen Kleinen und den Computer gleichzeitig im Blick zu haben.

Scheinheilige Debatte das, ließe sich sagen. Stimmt aber so auch nicht. Natürlich hat die Pandemie – aus einer Not heraus – die Möglichkeit geschaffen, Homeoffice als Normalfall des bezahlten Tuns zu betrachten. Und wenn es dem Kapitalismus gefällt, seine Margen nicht mindert, stattdessen neue Möglichkeiten der Einsparung, Flexibilisierung und Effizienz eröffnet, wird er auch nichts dagegen haben, Homeoffice künftig zur neuen Normalität zu erklären. Und als Angebot an jene verkaufen, die ihm ihre Arbeit geben, dies nun selbstbestimmter tun zu dürfen.

An der Stelle sei daran erinnert, dass Heimarbeit seit jeher weiblich ist. Und dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Begriff Heimarbeit umgedeutet wurde in Hausarbeit. Schlecht bezahlt das eine, gar nicht entlohnt das andere. Es ist geradezu zauberhaft, wie schnell die gegenwärtige Debatte hier auf den Punkt gekommen ist. Dank geht an Friedrich Merz – unter anderen –, der nach dem Vorstoß des Arbeitsministers Hubertus Heil, ein Recht auf 24 Tage Homeoffice im Jahr gesetzlich zu verankern, sofort die richtigen Worte fand: „Jedes gut geführte Unternehmen wird aus eigenem Interesse so viel Homeoffice anbieten wie möglich. Freiwillige Vereinbarungen haben sich bewährt. Ein gesetzlicher Anspruch dagegen muss überwacht werden, schafft wieder einmal unnötige zusätzliche Bürokratie und führt zu neuen Streitigkeiten vor den Arbeitsgerichten.“

Der erste Satz stimmt hundertprozentig. Jedes Unternehmen, das etwas auf sich hält, wird dies tun. Der zweite Satz ist eine großartige Lüge. Freiwillige Vereinbarungen mit dem Kapital und seinen Unternehmen sind in etwa so wirkungsvoll wie ein frei verkäufliches Schmerzmedikament gegen Corona.

Die einzige Chance, zumindest eine Grundlage dafür zu schaffen, dass Homeoffice ein Zugewinn an Lebensqualität (die ja die Qualität des Arbeitens einschließt) sein könnte – so viel Konjunktiv, wie die Autorin an dieser Stelle gern verfügbar hätte, geht eigentlich gar nicht –, besteht darin, dass der Gesetzgeber sich von Beginn an die Hoheit nimmt, die Regeln dafür festzulegen. Und dass die Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräte versuchen, für die Arbeitenden das Beste herauszuschlagen. Beide haben die verdammte Pflicht, ein ohnehin exkludierendes Recht auf Homeoffice (die Kassiererin oder Pflegerin ist nämlich nicht gemeint) so zu gestalten, dass es für die Arbeitenden von Vorteil ist. Überlassen sie es der Kapital-Unternehmensseite („give a boy a gun“), das allein zu bestimmen, freut sich zwar der Merz. Aber wer, bitte schön, will das denn?

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