Scholz und Vorurteil

Porträt Olaf Scholz soll als Mann der Agenda 2010 die SPD kommissarisch führen und Finanzminister werden
Ausgabe 07/2018

Seinen kühlen Technokratenduktus überwand er nur ganz kurz: „Wir machen ja etwas neu“, sagte der gerade zum kommissarischen SPD-Vorsitzenden bestimmte Olaf Scholz am späten Dienstagabend in den Tagesthemen; und für seine Verhältnisse lag da fast schon eine emotionale Regung in der Stimme: ein leiser Trotz auf die Vorhaltung des Moderators hin, man könne doch nicht die SPD-Basis über die Zukunft der Regierung, nicht aber über den Vorsitz der eigenen Partei entscheiden lassen. Doch Scholz, 59, bleibt bei seiner kategorischen Ablehnung einer Urwahl der Parteispitze, der Mitgliederentscheid über den schwarz-roten Koalitionsvertrag muss reichen. Seine Empfehlung für die Basis: Wenn „künstliche Intelligenz für ein Institut ausgerechnet hat, dass 70 Prozent“ des Vertrags aus SPD-Programmatik bestehe, „dann ist das vielleicht ein guter Hinweis dafür, da zuzustimmen“.

Vielleicht sind die 16,5 Prozent der SPD in einer aktuellen Meinungsumfrage auch ein guter Hinweis. Die AfD steht bei 15 Prozent.

Und vielleicht ist nicht das Schauspiel der vergangenen Tage um die Parteiführung der beste Indikator für die Orientierungslosigkeit der Sozialdemokraten, sondern die Besetzung des eben der CDU abgetrotzten Bundesfinanzministeriums: Scholz soll Wolfgang Schäuble und Peter Altmaier nachfolgen und nicht etwa der erfolgreichste Bekämpfer von Steuerbetrug, den die Republik hat: Norbert Walter-Borjans, NRW-Finanzminister bis 2017. Den Senat in Hamburg, dessen Chef Scholz seit 2011 ist, musste jüngst der Bund zwingen, von der Warburg-Bank Millionen Steuerschulden einzufordern, weil diese sich mutmaßlich am großen Cum-Ex-Betrug beteiligt hatte. Eine Aufklärung des Cum-Ex-Skandals hätte es wohl nie gegeben, hätte nicht Walter-Borjans in NRW Datenträger mit Informationen über Steuerbetrug ankaufen lassen.

Doch ob Olaf Scholz in Berlin in Amt und Würden gelangt, ist alles andere als klar – mit Andrea Nahles, die ein Parteitag im April zur nächsten Parteivorsitzenden wählen soll, muss er nun für Zustimmung zum Koalitionsvertrag werben; gut möglich, dass dabei nicht „künstliche Intelligenz“, sondern die Rolle, die beide im unwürdigen Schauspiel um Martin Schulz, Sigmar Gabriel und das Auswärtige Amt gespielt haben, von Belang sein wird.

Kann man Scholz politisch vertrauen? Im November vergangenen Jahres sprach er selbst bei der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema Vertrauen. Damals waren gerade die Jamaika-Sondierungen gescheitert und Scholz meinte, der Grund sei mangelndes gegenseitiges Vertrauen der Verhandelnden gewesen. Dass auch eine Partei zerbrechen kann, wenn ihre Führer sich hintergehen, hätte er hinzufügen sollen. Scholz betonte, dass Vertrauensverlust entstehe, wenn keiner mehr wisse, „wie es weitergehen soll“. Tatsächlich befinde man sich heute in einer „Anpassungskrise“ und die Bürger fragten sich, ob die Politiker überhaupt einen Plan hätten. Hat er einen?

In seinem Anfang 2017 veröffentlichten Buch Hoffnungsland. Eine neue deutsche Wirklichkeit liest man: „Während die Staaten Südeuropas stärker auf höhere Investitionen setzen wollten, beharrten die nordeuropäischen Staaten auf Haushaltsdisziplin und der Eindämmung der Defizite. Eine wirkliche Verständigung über diese gegensätzlichen Positionen hat es in den vorhandenen Institutionen der Europäischen Union nie gegeben.“ Und wo steht Scholz in dem Konflikt? Dazu schreibt er rein gar nichts.

Das Ministerium hat er ergattert – Horst Seehofer wollte es auch haben –, aber man ahnt, wie unbeschwert von Inhalten er darum kämpfen konnte. Vermögenssteuer, Reform der Einkommenssteuer zur Entlastung der Mittelschicht, Erhöhung der Erbschaftssteuer – all das hat Olaf Scholz in der Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern mit Peter Altmaier und Andreas Scheuer (CSU) von vornherein nicht verhandelt. Was übrig bleibt, ist Unions- wie SPD-Programm: schrittweise Abschaffung des Soli-Zuschlags, Abschaffung der Abgeltungssteuer auf Zinseinnahmen – nicht aber auf Dividenden und andere Kapitalerträge – und schöne, unverbindliche Absichtserklärungen zu Europa: Harmonisierung der Unternehmenssteuer, Finanztransaktionssteuer, Kampf gegen Steuerdumping. Und klar, gleich nach seiner Designierung hat Scholz verkündet, die „schwarze Null“ im Bundeshaushalt werde bleiben.

Man sieht wieder einmal, wie eitel es ist, sich auf die tagtäglichen Wenden der SPD einzulassen, all die Aufregungen, Ankündigungen und Rückzüge, wenn zum Schluss ganz einfach immer herauskommt: Die Agenda-Politik Gerhard Schröders soll fortgesetzt werden. Scholz, Generalsekretär unter Schröder und dann zwischen 2007 und 2009 Arbeits- und Sozialminister unter Angela Merkel, war gerade erst mitverantwortlich für das G20-Desaster in Hamburg, jetzt soll er die SPD mit aus der Krise führen.

Für die Mitglieder der SPD ist all das ein Schauspiel, an dem sie weder fördernd noch hemmend beteiligt waren, so wenig wie Kinobesucher an einem Film. Dass Scholz auf dem jüngsten Parteitag nur 59 Prozent erhielt, was spielt es schon für eine Rolle? Er soll ja nicht regulärer Parteivorsitzender sein, sondern nur kommissarisch führen und dann wieder zu den Stellvertretern gehören. Schon Schröder hatte eingesehen, dass er als Kanzler nicht auch noch die Parteibasis bei der Stange zu halten vermag. Diese Rolle wäre mit Nahles glänzend besetzt. Nahles kann schreien und Emotionen wecken, was will man mehr? Ob sie auch „Denken“ weckt, wenn sie schreit? Der kühle Scholz indessen, der immer wieder einmal als nächster Kanzlerkandidat ins Spiel gebracht wird, schickt sich an, auf Gerhard Schröders Linie bruchlos fortzufahren.

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