Auch wenn das viel beschworene Web 2.0 von manchen als reine Marketing-Vokabel abgetan wird, ist das "Soziale Netz" doch schon längst Realität. Ein Zeichen dafür ist die exponentiell zunehmende Zahl von so genannten Weblogs oder Blogs, die es jederfrau und jedermann ermöglichen, auch ohne technisches Know-How im World Wide Web zu veröffentlichen. Wichtig am Web 2.0 ist nämlich vor allem die soziale Komponente: Kommentar- und Zitierfunktionen ermöglichen es den Blog-Autoren untereinander und mit ihren Lesern in einen multilateralen Dialog zu treten.
Damit verknüpft sind einerseits utopische Vorstellungen - beispielsweise soll das kollektive Bloggen zu mehr Mitbestimmung und Transparenz bei Staatsbehörden, Medien und Unternehmen führen - ander
en - andererseits wirft die meist unbezahlte Arbeit der Blogger die Frage auf, wer es sich überhaupt leisten kann, ein Blog zu betreiben. Obwohl es durchaus Gegenbeispiele gibt - etwa die irakischen Blogger, die während des Golfkriegs "live" aus Bagdad berichteten - ist Bloggen immer noch vornehmlich eine Technologie der entwickelten Länder und auch dort vor allem in den gehobenen sozialen Schichten verbreitet.Viele Diskussionen kreisen daher auch um die Frage, wie sich Blogs vermarkten lassen. Zwar bieten Unternehmen wie Google und Amazon bereits Programme an, die es den Bloggern ermöglichen, Anzeigen auf ihren Blogs zu schalten und für Klicks auf diese Anzeigen Geld zu erhalten, aber damit geht natürlich eine Kommerzialisierung einher, die im Widerspruch zu der Kritik an den klassischen, werbefinanzierten Medien steht, die viele Blogger implizit oder explizit üben. Wer sich also nicht durch große Unternehmen vereinnahmen lassen will, muss die Kosten für das Bloggen selbst übernehmen.Aber welche Kosten entstehen einem Blogger eigentlich? Zunächst scheint es so, als ob Bloggen kaum Kosten verursacht. Denn Blogplattformen wie Blogger.com oder Livejournal.com bieten ihre Dienste meist gratis an und die einzige Software, die zum Betreiben eines Weblogs nötig ist, ist ein kostenloser Webbrowser wie Firefox oder Internet Explorer. Die eigentlichen Kosten sind darin zu sehen, dass Blogger oft sehr viel Zeit in die Pflege ihrer Blogs investieren - erfolgreiche Blogs werden meist mehrmals täglich aktualisiert und können so ähnlich zeitintensiv wie ein Nebenjob werden.Dies weist darauf hin, dass Blogs nur die Spitze eines Eisbergs unbezahlter Arbeit im Internet darstellen, deren größter Teil für die Benutzer des World Wide Web unsichtbar bleibt. Dabei ist auffällig, dass es insbesondere Unternehmen in der Kulturwirtschaft, also in den so genannten Creative Industries, sind, die am meisten von dieser unbezahlten Arbeit profitieren. Zwar ist dies ein Trend, der sich insbesondere in der Vermarktung von Kunst bereits seit geraumer Zeit abzeichnet, aber die neuen Medien führen zu einer Intensivierung dieses parasitären Modells, bei dem einige Wenige von der Arbeit einer großen Masse profitieren.Das von den Globalisierungstheoretikern Michael Hardt und Antonio Negri entwickelte Konzept der Multitude beschreibt diese Situation recht griffig. Denn es handelt sich ja nicht um eine homogene "Klasse", die sich mit dieser Situation konfrontiert sieht, sondern um eine sozial und kulturell heterogene Vielheit, deren einzelne Mitglieder jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen und deren einzige Gemeinsamkeit darin zu sehen ist, dass ihre Arbeit in zunehmendem Maße immateriell ist, das heißt, dass sie nicht mehr in industrielle, sondern in post-industrielle Produktionszusammenhänge eingebunden ist.Das bedeutet aber auch, dass Blogger nicht nur mit den unterbezahlten und überarbeiteten Beschäftigten der Creative Industries in einem Boot sitzen, sondern auch mit unterbezahlten und überarbeiteten Krankenpflegern, Sozialarbeiterinnen und Call-Center-Agenten, deren Arbeit in gleicher Weise immateriell ist. Bei der "re:publica" präsentierten sich die Blogger noch durchweg bürgerlich, aber bei der Konferenz "My Creativity", die vergangenes Jahr in Amsterdam stattfand, wurde durch Einbeziehung einer Aktivistin aus der "Justice for Janitors"-Bewegung bereits der Schulterschluss mit ökonomisch benachteiligten Mitgliedern der Multitude geübt.Aber dies ist vielleicht weniger wichtig als die Erkenntnis der eigenen Ausbeutung. Während die Beschäftigten der Creative Industries in den USA mittlerweile nach dem Vorbild von Richard Florida als Angehörige einer durchaus elitären "Creative Class" betrachtet werden, wodurch die Prekarität der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Kreativen verschleiert wird, gestaltet sich die Identitätsfindung hierzulande schwieriger. Einerseits spricht Mercedes Bunz in ihrem Manifest der Kreativarbeiter davon, dass sie ihre Armut "ankotzt", andererseits lavieren Holm Friebe und Sascha Lobo in ihrem Buch Wir nennen es Arbeit zwischen einer Kritik an der Profitmaximierung als Lebensziel und einer Überhöhung des Lebens außerhalb von festen Arbeitsverhältnissen.Problematisch ist dieses Konzept einer "digitalen Bohème" vor allem wegen des ihm innewohnenden Elitarismus. Denn wie die oben angeführten Beispiele zeigen, ist es ja durchaus nicht allen Angehörigen der Multitude vergönnt, ihre Arbeitsverträge zu kündigen und ihre Haut selbst zu Markte zu tragen. Was daran deutlich wird, ist vor allem eines: Wissen und Kreativität werden in Zeiten, in denen geistiges Eigentum zur primären Währung wird, auf ihren Warencharakter reduziert und unterliegen genauso wie andere Rohstoffe Prozessen der Ausbeutung, der Weiterverarbeitung und der (künstlichen) Verknappung.Wer also selbst nicht kreativ ist, bleibt von diesem Warenkreislauf von vornherein ausgesperrt. Die Kreativen jedoch sehen sich dem Dilemma gegenüber, zwischen der Fremdausbeutung durch ein Unternehmen, in dessen Dienst sie ihre Kreativität stellen, und der Selbstausbeutung zu wählen. Dass viele, vor diese Wahl gestellt, sich für die zweite Möglichkeit entscheiden, ist nachvollziehbar, denn wenn man schon ausgebeutet wird, so tut man das doch lieber gleich selbst. Auch wenn damit oft ein Verlust an ökonomischer und sozialer Sicherheit einhergeht.Mit den neuen Medien sind den digitalen Bohemiens zudem die Mittel an die Hand gegeben, ihre Selbstvermarktung effektiv zu betreiben. Denn ein Blog beispielsweise dient ja nicht nur der Selbstdarstellung, sondern gleichzeitig als Portfolio und Lebenslauf sowie als Werkzeug zur Vernetzung mit anderen Kreativen. So entstehen im Internet rasch große Netzwerke, über die Informationen ausgetauscht, Aufträge vermittelt und Kontakte hergestellt werden. Spezialisierte Kontakt-Plattformen wie Xing oder LinkedIn ermöglichen es, das eigene Netzwerk effizient zu managen.Nur allzu leicht wird die Selbstvermarktung allerdings zum Selbstzweck und - schlimmstenfalls - zum eigentlichen Lebensinhalt. Blogs sind eingebunden in eine Aufmerksamkeitsökonomie, bei der jeder Gewinn an Bekanntheit an anderer Stelle durch einen entsprechenden Verlust ausgeglichen werden muss. In der Medienökologie geht man längst davon aus, dass Aufmerksamkeit eine Ware ist, von der nur ein begrenztes Kontingent zur Verfügung steht, und angesichts der ständigen Zunahme an Information und der Zahl der Vermittlungskanäle ist es vorstellbar, dass die Grenzen des Wachstums bald erreicht sind.In diesem Wettkampf um möglichst viele "Eyeballs", wie es im Marketingjargon heißt, können nur diejenigen bestehen, die möglichst interessante Inhalte liefern und so ihre Position in der "Blogosphäre" verbessern. Dieses Prinzip unterliegt auch Web-2.0-Applikationen wie YouTube, MySpace oder Flickr, bei denen interne Bewertungssysteme den Wettkampf zwischen den Benutzern weiter anstacheln. Um sich in dieser Hierarchie nach oben zu arbeiten, muss man also bereit sein, viel Zeit und Kreativität in die Pflege seiner digitalen Identität zu investieren.Dies ist vor allem insofern kritisch zu betrachten, als die Beiträge der User zu diesen partizipatorischen Medien von deren Betreibern zwar durchaus als Mehrwert betrachtet werden, aber das heißt nicht notwendigerweise, dass die Urheberrechte der Benutzer in entsprechender Weise geschützt werden. Im Gegenteil: die Geschäftsbedingungen für solche Plattformen enthalten oft Klauseln, die den Raub von geistigem Eigentum legitimieren. Ob dies überhaupt rechtens ist, wird meist gar nicht erst hinterfragt.Die Betreiber der Networking-Portale profitieren davon übrigens gleich mehrfach. Nicht nur werden die Inhalte von den Usern selbst erstellt, diese sorgen durch die Vernetzung mit anderen Usern zudem für eine enge Bindung zwischen Kunden und Unternehmen. Nicht zuletzt sollte auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Benutzer von Seiten wie MySpace umfangreiche Benutzerprofile anlegen, die von den Betreibern zu Marketingzwecken verwendet werden können. Für diese Umwälzung von Arbeit auf die Kunden hat sich mittlerweile der Neologismus "Crowdsourcing" durchgesetzt.Blogger und die Benutzer von Social Software befinden sich daher oft in einer doppelt prekären Situation: nicht nur dürfte es ihnen schwer fallen, aus ihrer freiwillig geleisteten Arbeit entstehende Ansprüche gegenüber den Betreibern geltend zu machen, sie werden auch nicht als Angehörige der kreativen Klasse anerkannt. Denn die digitale Bohème beschäftigt sich selbstverständlich nicht mit solcherlei Kinkerlitzchen, sondern knüpft ihre eigenen Netzwerke, deren Zugänglichkeit sie streng kontrolliert.Neben den Angehörigen der Creative Industries entsteht daher im Internet eine Art digitales Lumpenproletariat, dessen Angehörige ihre Erzeugnisse größtenteils gratis anbieten müssen, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Die viel gepriesene Geschenkökonomie im Internet entpuppt sich also bei näherem Hinsehen als ein Mechanismus zur Umwandlung von individueller Kreativität in Privateigentum. Statt zu einer Umverteilung kommt es zu einer noch stärkeren Konzentration von Kapital in den Händen einiger großer Unternehmen.Alter Wein in neuen Schläuchen also? Ja und nein. Einerseits werden die Mechanismen der Kapitalakkumulation auch durch neue partizipatorische Medien nicht ausgehebelt. Andererseits sollte auch nicht übersehen werden, dass die Selbstausbeutung im Internet gerade bei Bloggern häufig durchaus reflexiv vollzogen wird und dass so ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, in welche ökonomischen Zusammenhänge die Aktivitäten der User eingebunden sind. Produktion und Kritik an den Produktionsverhältnissen fallen so immer häufiger in eins. Noch ungeklärt ist allerdings die Frage, wie sich darüber hinaus Formen des Widerstand gegen diese Produktionsverhältnisse entwickeln lassen. Auch im Web 2.0 stellt sich also nach wie vor die Frage: Was tun?
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