Es gibt diesen Thriller-Effekt: Man kommt aus dem Kino, ist voller Eindrücke und kann trotzdem die Handlung des Films nicht mehr nacherzählen. Nicht deshalb, weil man eingeschlafen wäre oder sich bei den entscheidenden Szenen die Hand vors Gesicht gehalten hätte, nein, es ist, als hätte das Staunen über so manche Kehrtwende der Handlung und die Anspannung beim Verfolgen derselben einem weder Kraft noch Zeit gelassen, sich etwas zu merken. Da hilft manchmal nur noch der Blick zurück auf die "Tagline", jenem entscheidenden Satz zum Film, der alles auf den Punkt bringen (und die Zuschauer ins Kino locken) soll: "Stellen Sie sich vor, Sie sind eines Mordes angeklagt, den Sie noch gar nicht begangen haben!"
Die Erinnerung kommt zurück: In Minority Report s
rity Report spielt Tom Cruise den Spezialagenten eines Polizeidienstes, der Menschen verhaftet, bevor sie ein "Kapitalverbrechen" verübt haben. Das klingt zunächst äußerst fortschrittlich (der Film spielt in naher Zukunft) und human - Mordaufklärung ohne Opfer! Eingefleischten Gerichtsfilm-Anhängern wird natürlich sofort die juristische Problematik eines solchen Gedankenexperiments auffallen: Wie soll zwischen Totschlag, Mord und Körperverletzung mit Todesfolge unterschieden werden, und wie wird folglich die Strafe bemessen? Beziehungsweise: wann verjährt ein verbrecherisches Vorhaben? Für diese Fragen interessiert sich Regisseur Steven Spielberg in seiner auf Philip K. Dicks Kurzgeschichte basierenden Verfilmung allerdings eher weniger. Nicht die Absurdität einer "Präventivschlag"-Gerechtigkeit steht im Vordergrund, sondern das Leid einiger weniger Helden. Da ist zum einen Tom Cruise als Detective Anderton, der seinen Sohn verloren hat und daraufhin den Lebensmut, was zur Scheidung von der Frau führte, die er liebt (man ahnt, wie es ausgeht!). Und zum anderen die Frau, die er rettet, die aber im Grunde ihn rettet, wie es sich gehört; sie ist eines der "Medien", Ergebnis eines humanen Genexperiments, die die zukünftigen Verbrechen der Umgebung visualisieren und deshalb verfolgbar machen können. Aber damit wäre man schon wieder bei jenen Handlungsdetails, über die man so schnell die Übersicht verliert.Was von Minority Report im Gedächtnis haften bleibt, sind "Schauwert-Details". Tom Cruise vor einer Glaswand, auf die er mit der großen Geste eines Orchester-Dirigenten die verschiedenen Visionen, die Tatversionen sind, anordnet und abspielt. Wie überhaupt die imaginierte Technik dieser nahen Zukunft mit ihren dreidimensionalen Filmchen, den Plexiglas-Computern und der Schwerkraft enthobenen Fahrzeuge den Zuschauer in Bann schlägt. Darin liegt Spielbergs wahre Stärke: Er macht uns für den Moment an Dinge glauben, die es gar nicht gibt. Techno-Spinnen, die im Auftrag der Polizei ein ganzes Haus durchkämmen, durch jede Türritze dringen und allen Warmblütlern erbarmungslos ins Auge blicken. Das "Eye-Scanning", der Traum so manchen Innenministers, wird hier gnadenlos in Verruf gebracht. Wer sich von solchen Details faszinieren lässt, bekommt nicht nur hinterher die Handlung nicht mehr zusammen, er verliert auch die ideologische Großrauminterpretation, die diesen Film begleitet, ganz aus dem Blick: Was sagt uns Spielbergs Film im Zusammenhang mit Bushs "Präventionskrieg"-Vorhaben? Ganz bestimmt so viel: Die Verbrechensvorhersage ist technisch noch nicht ganz ausgereift.Ein weiterer Film, der die ideologische Interpretation im aktuellen Zeitkontext geradezu herausfordert, kommt nun diese Woche in die Kinos: Black Hawk Down; Ridley Scotts filmepische Version des amerikanischen Einsatzes in Mogadischu, mit dem 1993 versucht wurde, Milizenführer Aidid unschädlich zu machen. Die militärische Operation missglückte gründlich; am Ende waren 18 tote US-Soldaten zu beklagen (die somalischen Opfer wurden nicht so genau gezählt). Scott gibt in seinem Film eine minutiöse, dramatische und mitreißende Schilderung der amerikanischen Seite, auf der bald jeder Soldat nur noch für seinen Kameraden kämpft. Denn: "Sobald dir die erste Kugel am Kopf vorbeipfeift, vergisst du die Politik und den ganzen Scheiß," wie in dieser Zeitung (Freitag 30, 2002) schon einmal aus diesem Film zitiert wurde. Dieses Vergessen des politischen Kontextes - der in Black Hawk Down im Vor- und im Abspann erörtert wird - erinnert stark an den eingangs geschilderten Thrillereffekt. Was von Black Hawk Down bleibt, wenn man den historischen Kontext ausblendet, sind wiederum die Schauwerte: Für jede Altersgruppe und jedes Geschlecht ist in der Ansammlung von männlichen Darstellern etwas dabei, von Josh Hartnett über Ewan McGregor, Tom Sizemore bis zu Sam Shepard, und alle sind sie in diesem Ensemblefilm auch noch gleich wichtig. Wo Spielberg den Zuschauer an das Funktionieren einer noch gar nicht erfundenen Technik glauben macht, führt Scott eine ungebrochen einträchtige Kameradschaft vor, wie man sie lange nicht gesehen hat. Aber auch hier gilt, dass man nicht vergessen sollte: Es ist Kino.