Schöner wohnen

Ein Wohnungswechsel kann manchmal so befreiend sein wie ein geglückter Gefängnisausbruch. Mitunter ist ein gesunder Fluchtinstinkt sogar ...

Ein Wohnungswechsel kann manchmal so befreiend sein wie ein geglückter Gefängnisausbruch. Mitunter ist ein gesunder Fluchtinstinkt sogar unerlässlich, will man nicht im Souterrain einer Vorstadtvilla frühzeitig erblinden, in einem der behutsam sanierten Leichtbaukästen Gehör und Verstand verlieren oder in der netten, gemütlichen Apartheidwohnung an Atemnot verröcheln. Also heißt es irgendwann: Adé altes Haus, ich zieh aus.

Vorher muss natürlich etwas Neues her, etwas Schönes, Helles mit Balkon.

Und dann - der große Tag! Kisten und Koffer sind gepackt, alles fest verzurrt, die Helfer eingespannt. Erst bei einem Umzug zeigt sich, ob man wahre Freunde hat. Oder ob man wenigstens ein paar Leute kennt, die für jeden Quatsch zu haben sind.

Auf jeden Fall scheint darauf Verlass zu sein, dass Umzüge immer mit Schwindel erregenden Höhen zu tun haben. Entweder kommt der Umzügler von unten und zieht nach ganz oben, oder er zieht tatsächlich nach unten, wohnte dafür aber vorher oben, oder aber er wohnte vorher oben und will deshalb wieder ganz oben wohnen. Andere Leute ziehen nicht um. Vermutlich, weil es ihnen zu einfach wäre.

Außerdem verfügen Häuser, in denen umgezogen wird, auf wundersame Weise über keinerlei Aufzüge. Und natürlich geht immer etwas zu Bruch. Aber das ist eben der Preis, den man für die Freiheit zu zahlen hat. "Was soll´s", denkt man beim Anblick der zerdepperten Erbstücke, "hat man später weniger einzuräumen". Und man tröstet sich mit der schönen Aussicht, die man bald genießen wird und freut sich, für alle Zeiten dem schwerhörigen Nachtrocknachbarn entronnen zu sein. Ein paar Scherze finden ihren Weg durch zusammengepresste Zahnreihen, während man den wuchtigen Doppelsitzer schultert, den man nur deshalb noch nicht weggehauen hat, weil es einem bis dato zu anstrengend schien, ihn zum Sperrmüll auf die Straße zu stellen. Also schleppt man und prustet und schwitzt, und die Beine werden schwerer, die Scherze seltener und die Wege und Gesichter länger. Nach jedem Treppenabsatz sagt man sich: "Gleich ist es geschafft."

Und dann kommt der nächste Treppenabsatz. Aber man pfeift drauf. Erstens, weil man sowieso schon pfeift und zweitens, weil man weiß, wofür man das alles tut. Nämlich für ... ja wofür eigentlich? Ach ja der Balkon, und der Nachbar und überhaupt.

Unten wartet schon das Grauen. Die Waschmaschine! Angeblich erfunden, um den Alltag zu erleichtern, hat dieses Gerät, wie kein anderes, aus fröhlich herumstreunenden Nomaden griesgrämige Haussklaven gemacht. Spätestens, wenn man keuchend, diesen zynischen Treppenwitz der technischen Revolution seiner neuen Wirkungsstätte entgegenjuckelt, sieht man sich vor die Frage gestellt: Wohnhaft haben oder sein?

Schließlich erreicht man den Nullpunkt, jene Phase, wo man sich fragt, ob es das alles wert ist, ob man das Richtige tut, ob es die alte Wohnung nicht auch noch eine Weile getan hätte und ob man überhaupt irgendwo wohnen muss. Und dann denkt man gar nichts mehr. Man funktioniert nur noch wie ein Roboter, der sich gar nicht vorstellen kann, dass es noch mehr als Hin- und Herlaufen gibt.

Erst wenn man in einen leeren LKW starrt, wacht man wieder auf. "Diebstahl", denkt man. Doch dann durchströmt einen, wie eine von geschmeidigen Frauenhänden sachkundig ausgeführte Ganzkörpermassage, die Wirbelkörper rejustierende Gewissheit: Es ist vollbracht! Nun wird geflachst und gejuxt und es ist an der Zeit, ein Bier zu feiern, wie es so in Deutschland noch nie gebraucht wurde. Dankesreden werden gehalten, gute Wünsche ausgetauscht und nach dem allgemeinen Aufbruch lässt man den Blick zufrieden über die wilde Hausrathalde schweifen. "Hier zieh ich nie wieder aus", sagt man sich. Und während man in der Dämmerung ins eilig aufgeschlagene Nachtlager wankt, hört man, wie die letzte Lerche ihr Liedchen trällert und der Mieter, eine Treppe tiefer, das Licht ausknipst.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden