Eine Idealstadt für Menschen und Tiere", schwärmte vor Kurzem ein Journalist in der Frankfurter Allgemeinen. Gemeint war das neue Tierheim in Berlin-Falkenberg. Nachdem das alte Haus in Lankwitz aus Platzgründen schließen musste, birgt Falkenberg Berlins neues Domizil für heimatlose Hunde, Katzen, Kaninchen und Stubenvögel. Architekt Dietrich Bangert hatte eine anspruchsvolle Aufgabe zu bewältigen. Nicht Verwahranstalt, sondern eine großzügige Anlage sollte das neue Tierheim werden - der äußere Rahmen für den "Erstkontakt" der Tierwaisen mit den künftigen Bezugspersonen solle sich so angenehm wie möglich gestalten. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: In der Presse wird die Architektur der Tierresidenz allenthalben mit d
Schöner Wohnen
Alltag Tina Veihelmann
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lben mit dem Bundeskanzleramt verglichen - wobei letzteres meist schlechter abschneidet. Damit der Traum Wirklichkeit werde, haben die Berlinerinnen und Berliner zusammengelegt. Allein aus Mitgliederbeiträgen und Spenden investierte der Berliner Tierschutzverein 71 Millionen Mark. Die Vereinszeitung Berliner Tierfreund ruft seine Leser sogar dazu auf, ihr Erbe den Tieren zu vermachen - und hebt lobend positive Beispiele hervor. Entsprechend bedankt sich Vorstand Volker Wenk nun im aktuellen Tierfreund bei der Bevölkerung. "Gerade jetzt, wo Krankenhäuser, Kindertagesstätten und vieles mehr ... verwahrlosen oder gar geschlossen werden müssen", ist er stolz auf die Gemeinschaftsleistung, die es möglich macht, "alljährlich Abertausenden von Not leidenden Tieren zu helfen."Als am 31. August die Umzugskarawane von Hauskatzen, Dackeln, Hamstern und Meerschweinchen in wasserdichten Transportboxen, Synanonarbeitern und freiwilligen Helfern den Hausvaterweg erreichte, erwartete sie ein Tross von Fotografen, Journalisten und Schaulustigen. Und wer heute einen Ausflug ins Tierheim unternimmt, wird mit aller Wahrscheinlichkeit auf einige Gäste treffen, die nur gekommen sind, um zu sehen, wie es den kleinen Lieblingen in ihrem neuen Zuhause ergeht.Noch ist das Heim nicht ganz fertig, ein Kleintierhaus steht im Rohbau, ein Hunde- und ein Katzenhaus sind in Planung, auch an den Grünanlagen wird noch gearbeitet. Doch bereits jetzt sind hier etwa 1000 Tierwaisen untergebracht, die meisten davon sind Hunde.Ein Besuch vor Ort überzeugt: Das Quartier der Haustiere ist mehr als irgendein Gebäude. Zwei sehr lang gestreckte, rechtwinklig zueinanderstehenden Betonriegel begrenzen die Anlage. In den rechten Winkel schmiegt sich ein weiterer, runder Betonbau. Grau, fensterlos und in Bungalowhöhe wirkt er wie eine Mauer. Zwischen geradem und geschwungenem Beton liegen flache Wasserbassins, in nackter Erde stehen frisch angepflanzte Bäumchen. Ein paar Menschen sind auf den neuangelegten Wegen unterwegs, alle mit schnellen Schritten um die weiten Entfernungen zu überwinden.Vor dem Katzenhaus kommt mir eine Frau im Anorak entgegen. "Is ja schrecklich hier, wa?" bemerkt sie. An ihren Stiefeln klebt Matsch in dicken Klumpen. Sie ist offenbar, wie ich, über den Modderweg durch die Felder gekommen und hat die Anlage von der falschen Seite betreten - durch einen Bauzaun, der einen Spalt weit offen steht. Nun ist sie einigermaßen orientierungslos und sucht so etwas wie das Hauptgebäude.Gemeinsam finden wir den Verwaltungstrakt. Die Büros sind hier durch Glas und weiße Fertigbauteile voneinander abgetrennt. Eines davon gehört der Pressesprecherin Carola Ruff. Zwei Hündchen tummeln sich unter ihrem Schreibtisch. Problemhunde, derer sich das Personal angenommen hat, wie die Pressesprecherin erläutert. Meist wurden sie von ihren Vorbesitzern falsch erzogen, wie Frau Ruffs kleiner schwarzer Pudel, der bei seinem früheren Herrchen nicht stubenrein wurde. Fast mit jedem Hund lässt sich umgehen, weiß Frau Ruff. Man müsse nur wissen, worauf man sich einlässt, nichts vom Tier erwarten, das Richtige tun - für das Tier. Gerade die Tiere, die ins Tierheim kommen, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, da sie schon eine Enttäuschung hinter sich haben. Frau Ruff spricht mit klarer, sicherer Stimme. Sie macht einen durch und durch vernünftigen Eindruck. Ihr Pudel, der inzwischen seine Grenzen kennt und sehr gepflegt wirkt, ist der lebende Beweis. Dankbar springt er an Frau Ruff hoch. Doch von den Adventsplätzchen aus der Schale auf dem Schreibtisch bekommt er keinen. In einer Mülltonne will derjenige, der eines schönen Tages mit dem Wuscheltier vor der Tür stand, den Rassehund gefunden haben. Frau Ruff hält die Geschichte für erfunden. Kaum einer gibt gerne zu, an der Tierpflege gescheitert zu sein - wahrscheinlich war der Überbringer der Besitzer selbst. Unwillkürlich habe ich einen liederlichen Menschen vor Augen, einen Egoisten, in dessen Obhut man das Pudelchen nicht gerne wissen möchte.Nicht weit vom Verwaltungstrakt entfernt liegt die Tiersammelstelle. Auch hier sitzt ein kleiner Dackel auf dem Boden, der wahrscheinlich zum Haus gehört. Auf einem langen Tisch klingeln ständig Telefone, eine resolute Frau in Gummistiefeln berät sich gerade mit einer anderen. Aus dem Gespräch höre ich heraus: "Damit sich nicht wieder wer versucht, umzubringen." "Ein Tier?", frage ich. "Natürlich nicht." Der Hund einer depressiven Dame war auf irgendeine Weise ins Tierheim gelangt. Vielleicht auf Anzeige eines der ehrenamtlichen Tierinspektoren hin, vielleicht entlaufen und von Tierschützern aufgesammelt. Als sie den Hund wieder an sich nehmen wollte, wurde ihr nachdrücklich abgeraten. Die Dame erschien dem Personal als zu labil. Die Pfleger nämlich achten sehr darauf, dass die künftigen Tierhalter ihrer Aufgabe gewachsen sind - dass ihre Schützlinge ein gutes Zuhause bekommen. "Dann ist sie ab in den Teich", schließt die Frau mit den Gummistiefeln scheinbar ungerührt und weist mit dem Daumen hinter sich. Hat sich die Ärmste nun wirklich das Leben genommen? Und welchen Teich meint die Pflegerin? Sollte sie das flache Wasserbecken im Hof des Tierheims meinen, dürfte es die Selbstmörderin nicht leicht gehabt haben.Über die Wasserbassins im Hof führen mehrere Stege ohne Geländer. Dahinter liegen die Hundehäuser: Das "Rexhaus", das "Benjihaus" und das "Lassiehaus". Der Architekt hat sie rund angelegt. Statt langer Käfigreihen, in denen die Hunde verunsichert die Aufmerksamkeit der Besucher herbeibellen würden und sich psychisch völlig verausgabten, sind die Hundezwinger hier wie Tortenstücke angeordnet. Die Gitter der Hundeboxen umgeben mich wie ein Rondell und die zwölf Hunde, die in einem Haus untergebracht sind, kläffen alle zugleich auf mich ein. Egal wie herum ich mich wende, immer habe ich das Gefühl, dass mir einer von hinten gleich ins Genick springen wird. So schwanke ich zwischen Sympathie für "Zitrönchen" oder "Peppermint Patty", denen ich in ihre treuen Augen schauen kann, und Angst vor "Rex", der hinter mir bellt, ohne dass ich ihn im Blick behalten kann. Nach kurzer Zeit steht mir der Schweiß auf der Stirn und ich muss die Hundehäuser verlassen. Bald soll es entspannende Musik in den Hundehäusern geben, erfahre ich noch, bevor ich gehe. Dann werden die Tiere noch ausgeglichener sein.Wesentlich ruhiger ist es in den Katzenhäusern "Garfield" und "Samtpfötchen". Hier logieren "Smokie" und "Molli" in gläsernen lichtdurchfluteten Separées. Die meisten Katzen sind träge, liegen in ihren Körbchen und interessieren sich nicht für die Menschen, die gegen die Glasscheiben tapsen und den Tieren Zärtlichkeiten zuflüstern. Hinter einer Scheibe spielen zwei winzige Kätzchen. Gleich mehrere Gäste knien vor ihnen. Eine Tierpflegerin bringt eine Konserve mit Futter. Die Kätzchen haben den braunen Klumpen schon halb aufgefressen, noch bevor die Pflegerin dazu kommt, ihn mit der Gabel zu zerkleinern. Die Gesichter der Besucher leuchten vor Entzücken. "Die Kätzchen sind gestern erst gekommen", klärt die Pflegerin auf. Sie sind schon stubenrein, sind guter Dinge, haben prächtig gefressen. Gute Kätzchen. Ein Bauarbeiter hat sie gebracht, der sie, als es kalt wurde von draußen in seinen Bauwagen genommen hat. Dass die Kätzchen so wohl auf sind, ist dem Bauarbeiter zu verdanken. Draußen wären sie verreckt. Ein guter Bauarbeiter.Im Angesicht der Tiere scheidet sich die Schar der künftigen Tierhalter. Wer wird zu den schwarzen Schafen gehören, die das ihnen anvertraute Geschöpf ins Heim zurückbringen? "Kann ich die beiden Kätzchen denn mal auf Probe mitnehmen?", frage ich. Die Pflegerin schaut mich streng an, die anderen Laien werfen mir regelrecht vernichtende Blicke zu. Es rettet mich nicht, dass ich sofort einlenke, zugebe, dass die Belastung eines nochmaligen Ortswechsels den Kätzchen natürlich nicht zuzumuten sei, das liege auf der Hand. Ich habe ja nur sicherstellen wollen, dass die Umgebung, die ich ihnen bieten würde, den Katzen wirklich gerecht sei. Was, wenn die beiden nun nach draußen wollen? Mein Haus liegt an einer Hauptstraße. Die Kätzchen seien noch so jung, die könne man problemlos ans Stubenkatzendasein gewöhnen, pariert die Pflegerin. Was, wenn sie an meine Tapeten gehen? Aha, da haben wir´s. Es geht um die eigenen Belange. Niemand spricht das aus, doch von den weiteren Gesprächen darüber, was die Katzen im Katzenhaus bei ihren Vorbesitzern wahrscheinlich erleiden mussten, was man mit Katzen anstellen darf und was nicht, bleibe ich von nun an ausgeschlossen.Doch die Ereignisse nehmen eine unerwartete Wendung. An jedem Glaszwinger gibt ein Schild Auskunft über die persönlichen Daten der Katze: Alter, Gewohnheiten, Anlass der Einlieferung ins Tierheim. Bei auffällig vielen Katzen ist "Wohnungsauflösung" als Grund genannt. "Was mag das heißen?", rätselt laut eine ältere Dame. Glücklicherweise ist eine Angestellte des Hauses in der Nähe, die sich bitten lässt, die Geschichte aufzuklären. Umringt vom gespannten Publikum berichtet sie nach einer Kunstpause: "Vier-und-sechzig Katzen! - In einer Zweizimmerwohnung." Ein Nachbar meldete den Fall, die Katzen wurden befreit. "Das darf doch nicht wahr sein! Wer macht so was??" Der Herr neben mir schüttelt sich. Nun sitzen wir wieder in einem Boot, und der schlechte Mensch ist ein Unbekannter. Vierundsechzig Kätzchen, alle nicht kastriert, vermehrten sich unkontrolliert, Inzucht und Krankheiten waren die Folge. Die ärmsten sind ganz apathisch. Wir würden so etwas niemals tun.
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