Schotten

Linksbündig Mügeln, Guntersblum und die deutsche Seelenzeit

Alles Böse kommt von Osten. Wer die Diskussionen nach der deutschen Einheit verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, in den neuen Bundesländern sei der rechtsradikale Bodensatz der neuen Republik versammelt. Dass man aber keineswegs nur nach Osten schauen darf, wenn man Ausbrüche wie die in Mügeln verstehen will, haben die Vorgänge im rheinland-pfälzischen Guntersblum gezeigt. Zeitgleich wurden dort Afrikaner bei einem Weinfest mit ähnlichen Parolen zusammengeschlagen. Soziologen sehen inzwischen bei einem Viertel der Jugendlichen in Ost und West Sympathien für Rechtsradikale. Zumindest beim braunen Bodensatz ist Deutschland jetzt geeint. Trotzdem sollte man die spezifischen Bedingungen solcher Exzesse in den neuen Bundesländern nicht unter den Tisch einer allgemeinen Betroffenheit kehren. Denn Fremdenfeindlichkeit ist ein Gefühlsproblem, das im Osten seit geraumer Zeit die Dramatisierung über Ausdrucksformen einer Protestkultur sucht.

Abgrenzungstendenzen sind ein normales Verhalten, das alle Gesellschaften, alle nach Stabilität suchenden Systeme kennzeichnet. Das kann man weder ablehnen, noch gut finden. Es ist einfach so. Seit der durch Anwerbung forcierten Zuwanderung der sechziger Jahre in die Bundesrepublik entwickelte sich im Westen Deutschlands Stück für Stück eine multikulturelle Gesellschaft. Trotzdem verstand sich die Bundesrepublik dezidiert nicht als Einwanderungsland, ja sperrte sich vehement gegen den Terminus. Noch die jüngste Einwanderungspolitik funktioniert unter dem kulturellen Modus der Abwehr statt der Öffnung.

Im Osten dagegen wurden "Völkerfreundschaft" und "internationale Solidarität" verordnet. Die DDR war auf stalinistisch gerontokratische Art werteorientiert, lebte aber aus staatlich begrenztem Erfahrungshorizont, war bewusst nicht kosmopolitisch. Ein paar wenige Studenten aus den "jungen Nationalstaaten" und Lehrlinge aus Vietnam lebten in Wohnheimen. Tendenziell entwickelte sich die DDR ethnozentristisch. Kontakte mit den sowjetischen Soldaten wurden landesweit über die Schulen forciert, die Begegnung mit Fremden, mit Andersdenkenden, Anderssprechenden, Andersargumentierenden wurden beargwöhnt. Die DDR war eine geschlossene Gesellschaft und blieb bis auf eine eingeschränkte Visafreiheit, die die Tür zu den sozialistischen Nachbarländern kurzfristig einen Spalt breit öffnete, abgeschottet.

Wenn sich nun im Osten zunehmend Rechtsaußen-Parteien in ostdeutschen Parlamenten durchsetzen und Sündenböcke gesucht werden, auf die dann Militante Jagd machen, dann nicht zuletzt deshalb, weil eine Rückkehr zu deutsch-nationalen Positionen, die neu entfachten Debatten über Volk und Nation, auch vor dem Hintergrund unduldsamer nationaler Emanzipationsbewegungen in Osteuropa, eine Antwort auf den verordneten Antifaschismus in der DDR darstellen sowie eine Reaktion auf den Zwang zur DDR-Identität als Teil eines kommunistischen Internationalismus. 18 Jahre nach der deutschen Einheit wirkt diese Getto-Mentalität immer noch nach. Denn der ökonomisch-politische Fortschritt und die individuelle Seele bewegen sich nicht im selben Zeittakt. Wer heute in die kleinen Orte im Osten fährt, wird feststellen, dass dort die Zeit wie stehen geblieben scheint. Die Mangelerfahrungen der DDR können zwar heute im Konsum kompensiert werden. Doch von denen, die im Osten geblieben sind und über die Runden kamen, öffnen sich die wenigsten in eine verantwortungsbewusste Zivilgesellschaft, sondern schotten sich im privaten Terrain ab; wer dagegen sozial abgehängt wurde, verfolgt selbst den bescheidenen Erfolg des portugiesischen oder indischen Pizzabäckers mit Neid.

Fremdenfeindlichkeit existiert freilich nicht nur in Mügeln, nicht nur bei sozial depravierten Jugendlichen, sondern in der ganzen deutschen Gesellschaft. In Mügeln zeigte sich Rassismus als aus dem städtischen Umfeld unterstützte aggressive Ausdrucksform für "Wir"-Identität, die ihren Nährboden in der Mitte der Gesellschaft hat. Dort wird die wachsende ungerechte Verteilung beklagt und nach einer restriktiven Begrenzungspolitik gerufen, die das herrschende System aber nicht anzubieten vermag und diesen Zustand lediglich mit hilfloser Pädagogik à la "Rock gegen Rechts" deckelt. Wer auf lange Sicht etwas an dieser gefährlichen Lagermentalität ändern will, der wird die Sucht nach dem geschlossenen nationalen Ganzen aufbrechen müssen. Vielleicht sollte Ursula von der Leyen mal zu diesem Problem ein paar Projekte auflegen.


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