Die Literaturwissenschaftler mal wieder. So gut wie alle klagen über einen verbreiteten Typus von Qualifikationsarbeiten, in dem zwischen animal und zealotism irgendneuste studies ausgiebigst referiert werden, wobei Ambitioniertere sich in einer Kombinatorik von möglichst allem üben, wozu es grad Graduiertenkollegs gibt. Günstigstenfalls wird anschließend ein Fall durchexerziert, wie der Sicherheitsdienst beim Kontrollgang die Stechuhren bedient. Mit den Versuchen theorieexekutierender Exaktifizierung wird meist das letzte Fünkchen Sprachgefühl ausgelöscht. Das zu geißeln hilft wenig. Nutzbringender scheint, das Nutzbringende zu loben, das sich um die Heiligtümer szientifischer Stammtische nicht schert, sondern profan erleuchtet. Etwa ein B
t schert, sondern profan erleuchtet. Etwa ein Buch über Kultbücher. Von dem könnte man einen kommentierten Katalog kultiger Bücher von Goethes Werther bis Herrndorfs Tschick befürchten. Christian Klein tut genau das nicht. Zwar geht er Fallbeispielen, bei Werther, Nietzsches Zarathustra, Remarques Im Westen nichts Neues, Salingers Fänger im Roggen oder Couplands Generation X nach, aber Klein zeichnet aus, dass er sich um eine systematische Aufklärung ihres Zustandekommens zwischen Strategien der Autoren und sozialen Konstellationen bemüht. Dabei scheut er zwar kleinteilige Begriffsabgrenzungen nicht, da er jedoch ein Faible für die Sache hat, nicht nur klar argumentieren, sondern ebenso schreiben kann, ist das Ergebnis ein Paradestück.Christian Kracht ist seit Faserland zweifellos ein „Kultautor“. Wo Kult ist, ist auch Negaten- und Renegatentum. Das belebt. Selbst wenn der Anlass abstrus ist, wie diese Art Faschismusvorwurf an ihn und sein letztes Buch, Imperium. Angesichts all der jubilatorischen oder verdammenden Bekenntnisse und Deutungen von Adepten, Initianten, Mit- und Nachläufern, Sektenbeauftragten und Sittenwächtern hat man längst den Überblick verloren, zumal der Mann ja schreibt, seitdem er Schüler war. Und so sind das voluminöse Werkverzeichnis und die ausladende Forschungsbibliografie höchst willkommen, zumal sie mit fast durchweg sehr nützlichen Zusammenfassungen und einordnenden Kommentaren versehen sind. Da kann jetzt frisch drauflosgeforscht werden.Placeholder authorbio-1Geduld und Findigkeit des Liebhabers und Kenners tragen zum Humus bei, auf dem wahre Begeisterung für Literatur wachsen kann. Liebe zur Literatur wiederum ist Voraussetzung für solch Kenner- und Finderschaft. Hier zeigt ein Bändchen mit im genauen Sinne kleinen Stücklein, was wahre Liebe ist. Es geht scheinbar nur um Wörter und Motive, um Biografisches, Historisches, auch um „Witziges und Aberwitziges“, wenn Hartwig Suhrbier doppelt Marginalisiertem sich widmet – dem Niederdeutschen und der sozialen Empörung. Kleine Gedanken- und Gedenkstücke. Spottzeilen über den Ossenkopp im Mecklenburger Wappen, klandestin Übernommenes („Schriftstehlerei“), Zensur, Hinterlist gegen Obrigkeit, soziale Aufrechtheit und vaterländische Verbiegungen. Namentlich geht es unter anderem um Fritz Reuter, Thomas Mann, Heinrich Seidel, Wilhelm Raabe oder Ferdinand Freiligrath. Man findet sein Leservergnügen, selbst wenn man mit den Herren und mit Platt wenig am Hut hat. Liebe zur Literatur ist immer auch Liebe zum Detail. Nicht zuletzt die bildet sich zu gutem Stil.Nicht zufällig, dass Fritz Reuter im Zentrum steht, der das Niederdeutsche so belebte, dass Hochdeutschsprachige sich früher die Mühe machten, Niederdeutsch zu lernen, um seine Bücher lesen zu können. Humor, Komik, Sprachspiel kommen auch hier aus dem Blick von außen. Daher, zeigt Ha Jin, emigrierter Chinese, der in den USA auf Englisch schreibt, kommt ein Gutteil von Nabokovs Witz aus ebendem Spiel mit der zweiten Sprache aus dem Blickwinkel der ersten. Ausgewanderte Autoren, zeigt er kritisch an Alexander Solschenizyn und seinem Landsmann Lin Yutang, sollten sich weder als kulturelle Vermittler, als Sprecher der verlassenen Landsleute gerieren noch sich als Verräter an der Heimatsprache beklagen. Vielmehr sollten sie Heimat unterm Gesichtspunkt von Ankunft, nicht von Rückkehr sehen, eine „Sprache der Synthese“ suchen, Kultur schaffen, in Sprache und Werk die Heimat umgestalten. Was sich hier notgedrungen recht abstrakt liest, vermittelt er plastisch an V. S. Naipaul, Salman Rushdie, Joseph Conrad – und vor allem Vladimir Nabokov. So einfach und bezwingend zugleich, dass man sich fragt, was Literaturwissenschaftler in noch so dicken Wälzern mehr herausbekommen könnten als dieses schmale Bändchen.Als Alfred Andersch am 7. Juni 1944 in der Nähe von Rom von der Wehrmacht in die Hände der US-Armee überging, gab er an, Buchautor und verheiratet zu sein. Ersteres war er noch nicht, Letzteres nicht mehr – und das hat ihn, den späteren Vertreter einer auch international vorzeigbaren Nachkriegsliteratur, lange nach seinem Tod in moralischen Misskredit gebracht, weil er sich als Ehemann einer Jüdin hinstellte, von der er sich längst hatte scheiden lassen.Diejenigen, die wie W. G. Sebald quellenforschend die von Andersch selbst moralisch hoch angesetzte Autorität seiner Werke in Zweifel zogen, mussten sich als Literaturpfaffen schmähen lassen. Nun haben sie neuerlich nachgegraben, in deutschen und US-amerikanischen Aktenbergen – der Faktizität seiner von ihm breit ausgemalten Desertion am Tag vor jenem 7. Juni nachspürend. Das mutet seltsam an, denn als Andersch 1952 seinen „Bericht“ darüber, Die Kirschen der Freiheit, veröffentlichte, galten Deserteure landläufig und bis tief hinein in die Presse als Feiglinge und Verräter. Was also wäre damit gewonnen, ihm nachzuweisen, dass er gar nicht desertiert war? Nun, das sei hier ebenso offengelassen wie das Ergebnis der Recherchen. Beides sind nämlich zusammenhängende Fragen eines Literaturkrimis, der sich unter der Hand von einem vorbildlichen philologischen, karten- und fotogestützten Rechercheunternehmen zu einer veritablen, spannenden Kriegs(end)- und Mentalitätsgeschichte von damals und danach entwickelt. Besonders unglaublich: sprachlich besser lesbar als die allermeisten Krimis. (Eins sei doch schon verraten: Andersch ist darin kein so böser Bösewicht.)„An diesem Tage lasen wir nicht weiter“ – sagten Paolo und Francesca, sondern schrieben: Fifty Shades of Gay. Ein Erfolgsbuch, das selbst Dantes Komödie in den Schatten stellte. So hätte es gewesen sein können, wenn die beiden, statt zu schnäbeln, zum Griffel gegriffen hätten. Was aber nun auch wieder an- oder auszüglich wäre. Denn glaubt man Ines Witka, entkommt man dem ohnehin nicht: Die Kreativität des Dirty Writing fördert die Kreativität des fröhlichen Treibens, und die wiederum … Also sollen wir kunterbunt schmutzig schreiben lernen, dann werden wir selbstbewusster, freier und lernen Wünsche kennen, die wir noch gar nicht hatten. Zwar lautet Witkas Imperativ „Entspann dich, und schreib los“, aber dann sollen wir folgsam den Parcours von A wie Aphrodisiaka bis Z wie Zunge, nein: Zeit fürs Schreiben, absolvieren. Immerhin, wer dazu zu faul ist, kann hier lesen, was alles … von Blümchensex bis Jungfrau, Fetisch, Quickie, SM, den Orgasmus nicht zu vergessen. Und immer wieder aufgefordert: „Sei genau!“ Gern! Also: ein strenges Stimulantium! (Wenn bloß die Ergebnisse nicht zu eigenverlegten E-Books führen.)Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.