Willkommen zur letzten winterlichen Wanderung in die Gebirgsausläufer der diesjährigen Buchproduktion. Los geht’s mit Peter Handke, über dessen je neues Buch, heuer Die Obstdiebin, ich mich immer freue, weil sie seit André Müllers tollem Zeit-Interview von 1989 (Überschrift „Wer einmal versagt im Schreiben, hat für immer versagt“) immer schon Anlass für tolle Begleit-Presse sind (Lieblingsgenre: FAZ-Redakteur erzählt die „Handlung“ nach). Die Bücher selbst braucht es dann fast gar nicht mehr, solange ihn die SZ in seiner Niemandsbucht besucht, um mit ihm über Uschi Obermaier, französischen Viertliga-Fußball (von Handke leidenschaftlich in den Lokalzeitungen verfolgt) oder den täglich im Jeep
n Lokalzeitungen verfolgt) oder den täglich im Jeep vorbeibretternden Nachbarn zu reden.Neulich kam nachts im Fernsehen die schöne Doku Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte, wo er über „Schreiben als Tabu“ spricht. Weil es sich sofort komisch und falsch anfühlt, wenn man es macht. Autor spielen möchte er aber trotzdem weiter, und malt sich schöne Nicht-Geschichten mit Bleistift ins Notizheft, in denen man draußen im Garten von einer Biene „in den altbekannten Bienenfarben“ gestochen wird, als Zeichen zum Aufbruch in die Welt.Dort lungert gerade immer schon der weltberühmte Handke-Bewunderer, -Verteidiger und -Verleger Karl Ove Knausgård rum, der das mit dem Tabubruch sofort unterschreiben würde und sich masochistisch darin gefällt, dass Handke seine „Mein Kampf“-Literatur ablehnt („kann ich nicht lesen“).Seinen großen literarischen Selbstmord setzt der Norweger im neuen Jahreszeiten-Zyklus mit dem ersten Band Im Herbst leider zu kleinteilig fort. Das sind pseudoessayistische Miniaturen über Zahnbürsten, den Mond oder Samenstiefeletten mit dem notdürftigen Schreibansatz als „Briefe“ an seine ungeborene Tochter. Wenn schon alles veröffentlichen, was einem so einfällt, dann besser die New-York-Times-Reportagen über Gehirnchirurgen in Albanien oder den im Frühjahr erscheinenden Fußball-E-Mail-Roman mit Fredrik Ekelund.Noch schlimmer als Briefe an ungeborene Sippschaft liest sich eigentlich nur Knausgårds bestsellende Luchterhand-Kollegin Juli Zeh. Ihr neuer Roman Leere Herzen spielt 2025 in Braunschweig (einziger Bonuspunkt!) und will mit einer Dystopie über Selbstmord-Attentäter-Firmen und rechte Bürgerbewegungen ein schwer gesellschaftlicher Weckruf sein für alle, die sich längst mit „allem“ abgefunden haben, „was schiefläuft“. „Da. So seid ihr“, heißt es vorneweg. Was ich hingegen gern mal erzählt bekäme: Juli, wie bist du?Vom Konzept, anderen zu sagen, was mit ihnen nicht stimmt, hat sich Aime Barrodale dagegen so weit wie möglich entfernt. Die Amerikanerin ist Buddhistin und Literaturredakteurin beim VICE-Magazin. Der Titel ihrer Stories You Are Having a Good Time erklärt sich aus dem Motto: Es gibt keine gelungene Kommunikation – es gibt nur successful miscommunication oder unsuccessful miscommunication, und wenn du unsuccessful miscommunication hast, dann hast du eine gute Zeit. Darin geht es um männliche Einsamkeit, Psychotherapie, dicke Frauen oder Schauspielerinnen, die beim Blowjob rauchen sollen. Kranke Leute denken oft, sie hätten ein besonderes Anrecht auf Wahrheit, heißt es einmal. Aber diese Frau ist nicht irgendeine zarte Blume, sondern erfolglos groß.Seines Materials zum Glück überhaupt nicht sicher ist Geoff Dyer. Ein Brite mit den besten Buchideen, die er dann mit beeindruckenderer Konsequenz in den Sand setzt: „Aus schierer Wut“ niemals die geplante D.-H.-Lawrence-Biografie schreiben; als personaler Erzähler für Sex in Venedig losreisen, um dann als Ich-Erzählung desselben Romans den Tod in Varanasi zu finden. Seine Bereitschaft, sich enttäuschen zu lassen, macht ihn auch in White Sands weniger zu einem guten Reisereporter als zum wunderbar unsteten Wanderkameraden. Die Storys handeln nur scheinbar von Sich-Verlieben in Peking, Gauguin in Polynesien oder dem Mitnehmen gefährlicher Anhalter in der Wüste von El Paso. Tatsächlich eher vom Überwinden der Grenze zwischen Fiktion und Autobiografie, damit lesetechnisch endlich mal was abgeht.Damit unsere Buch-Wanderung nicht als Spaziergangendet, zum Schluss noch ein Knaller: Ulli Lusts Graphic Novel Wie ich versuchte, ein guter Mensch zu sein. Die gnadenlos naive, aber grandios lebensmutige Ulli rennt hier ihrer „Scheiß-Libido“ hinterher oder davon. Im impotenten Georg hat sie den perfekten Frauenversteher als Lebensgefährten, im Afrikaner Kimata den perfekten Liebhaber (dessen Leidenschaft allerdings immer wieder zu eifersüchtigen Gewalt-Exzessen führt). Super, was sich Ulli Lust da zusammengelebt, -gezeichnet und -erzählt hat. Und jetzt raus hier: There’s a whole world out there!Placeholder infobox-1