Mit den härtesten Strafen, die bisher von einer deutschen Wirtschaftsstrafkammer ausgesprochen worden sind, ist im Dezember vergangenen Jahres der Prozess gegen den ehemaligen FlowTex-Boss Manfred Schmider zu Ende gegangen. Das Erfolgsrezept, das dem einmaligen Betrugsfall zu Grunde lag, war im Prinzip einfach: Nicht existente Bohrsysteme wurden den Ermittlungen zufolge von der zur FlowTex-Gruppe gehörenden Firma KSK an Leasingfirmen verkauft. Anschließend traten sofort andere FlowTex-Unternehmen als Kunden der Leasingfirmen auf und übernahmen die fiktiven Maschinen.
Jetzt steht Schmiders Bruder Matthias in der gleichen Sache in Mannheim vor Gericht. Als von seinem Bruder verführtes und getäuschtes Opfer versucht die Verteidigung ihren Mandanten zu entlasten. U
tlasten. Und sie verweist ausdrücklich auf die offensichtliche Duldung oder gar Förderung der seltsamen Geschäftsgebaren der FlowTex-Firma durch die zuständigen Behörden. Im Landtag wird sich ein Untersuchungsausschuss mit dem Fall befassen, die Sozialdemokraten haben einen entsprechenden Antrag angekündigt. Der bisher größte Fall von Wirtschaftskriminalität, die erschwindelten Milliarden der Firma FlowTex (von über vier Milliarden DM war die Rede), haben bisher die Republik nicht wirklich erschüttert, nicht einmal das "Ländle", das Land Baden-Württemberg, das Schauplatz des gigantischen Betruges war. Der mit Spannung erwartete Prozess ging völlig unspektakulär über die Bühne und erschien schließlich fast wie ein provinzieller Fall von Justizfolklore. Nichts wurde durch ihn enthüllt, was nicht schon vorher bekannt gewesen wäre, wenn auch für viele die Banalität des Verbrechens, im besonderen des Wirtschaftsverbrechens eine Überraschung gewesen sein könnte - vielleicht auch das Urteil des Mannheimer Landgerichts, das auf die Dimension des Betrugsschadens mit entsprechender Härte reagierte. Mit dem Urteil ist aber das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen. Nicht abfinden kann die Öffentlichkeit sich offensichtlich mit dem nach wie vor unerklärlichen Ablauf der Affäre, als müsse doch noch irgendwo ein Geheimnis stecken, das aufzuklären wäre, und wenn es nur eine konkretere Erfassung der Korruption wäreManfred Schmider, der ehemalige Boss von FlowTex, ist zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Alle Kommentare heben die Strenge ebenso wie die Gerechtigkeit des Urteils hervor und lassen noch einmal den Erfolg des ganzen Unternehmens Revue passieren. Zwei Rätsel haben das Publikum in Atem gehalten, von denen das eine sich als nichtexistent erwies, das andere immer noch Stoff für Spannung bietet, aber eigentlich nur ablenkt von dem dritten Rätsel, von dem niemand spricht, obwohl dessen Aufklärung die wichtigste Lehre wäre, die man aus dem ganzen Fall ziehen könnte.Das erste Rätsel war eine Fiktion des Publikums. Wie, so fragten sich alle, hatten die Betrügereien überhaupt funktioniert? Immer wieder setzten die Berichterstatter an, das Netzwerk der Firmen und die Abläufe der Transaktionen zu erklären. Immer wieder waren die verschiedensten Schaubilder in den Zeitungen abgedruckt worden, die in immer ausführlicher komplettierten Kästen und Pfeilen das Geflecht der Schmiderschen Firmen und das Hin- und Hergeschiebe von Aufträgen, Rechnungen und Geld erläutern sollten. Auch der Staatsanwalt hantierte in der Verhandlung umständlich mit Overhead-Projektor und Folien. Undurchschaubar kompliziert musste die ganze Aktion erscheinen, die fast schon Respekt vor dem Genie des Betrügers abverlangte. Aber das Bild des Täters, das in der Öffentlichkeit vermittelt wurde, passte mit dem Befund nicht zusammen. Den genialen Verbrecher und Betrüger Schmider gab es nicht. Die vor dem Prozess aufgebaute Spannung, ob denn nun endlich enthüllt würde, was geschehen war, entlud sich nicht. Es gab kein Rätsel, und es gibt keines. Was so undurchschaubar erschien, war es nur, weil man das Einfachste nicht annahm, nicht annehmen konnte - dass nämlich die Betrügereien auf das Gröbste gestrickt waren, das kein Geheimnis zu entdecken, kein Trick zu verstehen war. Bei gerade 270 vorhandenen Maschinen waren über 3.400 Kaufverträge abgeschlossen worden. Den Verkauf von nicht vorhandenen Maschinen damit zu kaschieren, dass man sie gleich wieder zurück least und die Leasingraten aus den angesammelten Verkaufspreisen bezahlt und dann zu glauben, dass man damit auf längere oder auch nur kürzere Sicht durchkommen kann - dazu gehört mehr Dummdreistigkeit als Genie. Und ein Umfeld, das übertölpelt werden will.Damit sind wir beim zweiten Rätsel. Wie war es möglich, dass so lange Zeit der Betrug nicht entdeckt wurde? Musste der Betrüger sich nicht bedeutender, wenn nicht allerhöchster Protektion erfreuen? Bisher war selbstverständlich von den engen und allzu engen Begegnungen des "Vorzeigeunternehmers" mit Politikern des Landes berichtet worden. Man erinnert sich an das Bild, das den Ministerpräsidenten Teufel neben dem vor Stolz geschwellten Schmider bei der Präsentation des Modells eines geplanten FlowTex-Verwaltungsgebäudes zeigt, das auf dem Geländes des Flugplatzes Söllingen gebaut werden sollte und dessen verschwenderische Stahl- und Glaskonstruktion die ganze Region - und nicht nur die - blendete. Jetzt dringt das öffentliche Interesse bis zu den einzelnen Mittels- und Vertrauensmännern unter den Beamten vor. Hier kann der Krimi weitergeschrieben werden. Und alle Spannung kann sich daran entzünden. Nicht ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich erscheint, dass es doch noch gelingen könnte, den einen oder anderen Beamten als bestechlich zu entlarven. So sind ja schon 1996 Finanzbeamte bei einer Betriebsprüfung auf merkwürdige Buchungen und kaum erklärliche Geldströme gestoßen, ohne allerdings etwas zu unternehmen. Keiner der jetzt wieder erhobenen Vorwürfe nimmt auf Vorgänge Bezug, die nicht schon seit einiger Zeit bekannt gewesen sind. Es wird wohl so gewesen sein, dass baden-württembergische Behörden thüringische Steuerfahnder mit dem Hinweis auf die bedeutende Rolle des Unternehmens in der Region von weitergehenden Ermittlungen abzuhalten versuchten. Aber justiziabel wird das kaum sein. Und ob man Jürgen Morlok, dem ehemaligen FDP-Vorsitzenden von Baden-Württemberg, wird nachweisen können, dass er von den Vorgängen bei FlowTex gewusst hat und dass Spenden an die FDP damit zusammenhängen könnten, ist eher unwahrscheinlich. Jürgen Morlok war Geschäftsführer der Gesellschaft, die den "Baden-Airpark" betreiben sollte, den ersten privat betriebenen Flughafen Deutschlands. Als Investor sollte Manfred Schmider fungieren. Morlok war gewissermaßen der Türöffner für Schmider, manche sagen, so etwas wie seine "Rechte Hand". Als der Deal fast noch zu platzen drohte, weil gegen Schmider ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war, war es Morlok, der sich heftig für den Zuschlag an Schmider ohne Rücksicht auf das drohende Verfahren einsetzte. In einem bis heute nicht völlig aufgeklärten Fall hatte Schmider angegeben, Opfer eines Raubüberfalls geworden zu sein, der nach anderen Zeugenaussagen aber fingiert gewesen sein soll. Schmider jedenfalls hatte knapp zwei Millionen Mark Versicherungsgelder kassiert.Nachdem endlich die Blase geplatzt war und Schmider samt Kollegen in Haft saßen, wollten viele Beteiligte und manche Beobachter es schon immer gewusst haben. Bereits im Jahre 1992 habe die Volksbank Baden-Baden Erkenntnisse über die Luftgeschäfte bei FlowTex gehabt und die Kreditvergabe gestoppt. Immer wieder sei vor den Praktiken des Geschäftsmannes Schmider gewarnt worden. Aber seltsam, was im Nachhinein als Hinweis auf mögliche Betrügereien oder zumindest auf unseriöses Geschäftsgebaren gedeutet wird, insbesondere Schmiders aufwendiger und protziger Lebensstil, wird andererseits immer wieder als angeblich plausibler Grund dafür angeführt, wie überzeugend und unwiderstehlich der so erfolgreiche Unternehmer agieren konnte. Hatte nicht auch die renommierte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG dem Unternehmen hervorragende Noten ausgestellt? Und war es nicht so, dass die Wirtschaftsprüfer sich im wesentlichen auf die vom FlowTex-Vorstand vorgelegten Angaben verließen. Jetzt weiß man, dass eine Prüfung durch die KPMG im Zweifelsfall nicht mehr Verlässliches erbringt als die Unterscheidung zwischen einem schlecht und einem täuschend gut durchgeführten Betrug, aber auch dafür wird man die Wirtschaftsprüfer nicht haftbar machen können.Wie man es auch wendet, die Suche nach dem konkreten Delikt der Korruption wird nicht weit führen, sie wird eher ablenken von dem dritten, dem eigentlichen Rätsel der ganzen Geschichte, dessen kaum zu erhoffende Auflösung sehr viel weiter reichende Folgen haben müsste, als dies bei den beiden ersten der Fall sein kann.Über 320 Millionen Mark soll Manfred Schmider neben seinem jährlichen Honorar von 1,5 Millionen der Firma entnommen haben. Den Wohlstand, den dieser Reichtum ihm ermöglichte, hat er nun keineswegs verheimlicht, sondern öffentlich in Saus und Braus vorgeführt. Nun das Rätsel: Wie hat man glauben können, dass soviel plötzlicher Reichtum eines durchschnittlich vermögenden ehemaligen Schrotthändlers allein mit den normalen legalen Geschäften einer mittelständischen Produktionsfirma hatte geschaffen werden können? Was soll man davon halten, wenn es als naheliegend gilt, dass eine eher kleine Firma mit einer - zugegeben fortgeschrittenen - Technik, die aber - wie man leicht wissen konnte und jetzt weiß - keineswegs so reibungslos wie versprochen funktioniert, ihrem Inhaber einen Reichtum verschafft, der eben nur mit gigantischem Betrug zu erreichen war? Dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bislang ungeschoren davonkommt, ist schon Skandal genug. Dass aber der plötzliche und protzige Reichtum Schmiders als normal gelten konnte, mehr noch, dass er als Ausweis und Schmuck unserer sogenannten Leistungsgesellschaft diente, betrifft nicht nur die professionellen Kontrolleure der Firma, sondern alle, die das Lied von Lohn und Leistung singen. Dieser unwahrscheinliche Betrug war wohl auch deshalb so leicht, weil es allzu viele Zeitgenossen nicht mehr gewohnt sind, nach den Quellen des Reichtums zu fragen.Dietrich Hildebrandt war von 1996 bis 2001 Mitglied des Landtages von Baden-Württemberg und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.
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