Schuften für die Army

Irak Ein Heer von Billignomaden aus Asien ist in den US-Militärcamps beschäftigt - das größte Kontingent ziviler Arbeiter, das je als Hilfskorps für einen US-Krieg rekrutiert wurde

Es schien eine sichere Sache. Jing Soliman verließ seine Familie auf den Philippinen für einen Job als Lagerarbeiter im US-Camp Anaconda im Irak. Die Firma, für die er dort arbeiten sollte, war die Prime Projects International (PPI), eines der großen, wenn auch kaum bekannten Subunternehmen des US-Konzerns Halliburton, der mit Verteidigungsminister Rumsfeld einen Milliarden-Deal für die Versorgung der US-Truppen im Irak abgeschlossen hat.

Sicher war auch, Soliman würde nicht annähernd so viel verdienen wie die amerikanischen Kraftfahrer, Bauarbeiter oder Büroangestellten bei Kellogg, Brown Root (KBR) - Halliburtons Bau- und Ingenieurabteilung - erhalten. Also nicht mindestens 80.000 US-Dollar jährlich, sondern 615 Dollar monatlich, Überstunden inklusive. Bei einer 40-Stunden-Woche ergab das für den 35-Jährigen gut drei Dollar pro Stunde. Aber Soliman wollte den Job und den größten Teil seines Jahreseinkommens von 7.380 Dollar nach Hause schicken. "Es war gutes Geld", sagt er, wieder zu Hause im philippinischen Quezon City. "Ich wollte sparen, um ein Haus kaufen und für meine Familie vorsorgen zu können."

Seit zwei Jahren hat es Zehntausende von Niedriglohnarbeitern in den Irak verschlagen, um dort bei etwa drei Dutzend Firmen anzuheuern, die in den Diensten der Amerikaner stehen. Von denen werden sie "Third Country Nationals" (Drittstaatenangehörige), kurz TCN, genannt. Sie kommen von den Philippinen, aus Indien, Pakistan, Sri Lanka und Nepal, aber auch aus der Türkei und anderen Gegenden im Nahen Osten. Sie arbeiten als Lastwagenfahrer, Bauarbeiter, Zimmerleute, Magaziner, Wäscherinnen, Köche oder Buchhalter, verdienen zwischen 200 und 1.000 Dollar monatlich und sorgen für einen neuen Rekord: sie bilden das größte Heer ziviler Arbeiter, das je als Hilfskorps für einen US-Krieg rekrutiert wurde.

Die Strafe Gottes vollstreckt

Sie spielen ihren Part in einer komplexen Hierarchie: Zuoberst steht die US-Regierung, die seit 2003 Verträge für über 24 Milliarden Dollar abgeschlossen hat. Direkt darunter kommen die Vertragspartner: Firmen wie Halliburton und Bechtel, eine Stufe tiefer Dutzende zumeist nahöstliche Auftragnehmer wie First Kuwaiti Trading oder Gulf Catering aus Saudi-Arabien - Firmen, die seit der US-Präsenz im Irak einen ungeheuren Boom erleben. Allein das Logistics Civilian Augmentation Program - Auftragsvolumen 15 Milliarden Dollar - dürfte 100.000 zivile Mitarbeiter im Irak vereinnahmen.

Im April stellte ein Kongressausschuss in Washington fest, es sei unmöglich, die Zahl der in US-Diensten stehenden Zivilangestellten im Irak genau zu bestimmen. Im Kongress hatte das Thema Versicherungsbeiträge für Unruhe gesorgt, zu denen alle Firmen, die im Auftrag der USA arbeiten, verpflichtet sind - und für die unter Umständen die US-Regierung einspringen müsste.

Die Niedriglöhne für die ausländischen Angestellten der Subvertragsnehmer sind wohl der entscheidende Grund dafür, dass es dieses Outsourcing an militärischen und zivilen Dienstleistungen gibt. Kostengünstiger lassen sich Militärcamps und Versorgungsdepots kaum unterhalten, doch hat diese Ökonomie ihren Preis. Viele in die Heimat zurückkehrende US-Soldaten berichten schockiert von den Lebensumständen der schlecht entlohnten Ausländer. Oft müssen sie in überfüllten Baracken schlafen. Vielfach fehlt eine adäquate medizinische Versorgung, der Arbeitsschutz ist prekär. Geraten die Lager unter den Beschuss der Aufständischen, ziehen die amerikanischen Angestellten Helme und schusssichere Westen an - die Leute aus den "Drittstaaten" fliehen hinter die dünnen Wände ihrer Baracken.

Weder gibt es genaue Angaben über ausländische Arbeiter, die bisher bei Raketen- und Mörserangriffen ums Leben kamen, noch über die als Geiseln Entführten. Besonders grausam war der Mord an zwölf verschleppten Nepalesen im August 2004. Sie waren als Köche und Reinigungspersonal bei einer jordanischen Firma angestellt. Ihre Mörder köpften einen Arbeiter und stellten die gefilmte Hinrichtung ins Internet, Kommentar: "Wir haben die Strafe Gottes gegen zwölf Nepalesen vollstreckt, die aus ihrem Land gekommen sind, um gegen Muslime zu kämpfen und den Juden und Christen zu dienen." Dieses Massaker führte dazu, dass Nepal seinen Bürgern verbot, im Irak zu arbeiten.

Der Iraq Coalition Casualty Count - eine amerikanische Nichtregierungsorganisation - geht von über 270 getöteten Zivilangestellten aus, möglicherweise seien es mehr, viele Todesfälle würden nicht gemeldet.

Jing Soliman aus Quezon City auf den Philippinen kam nur knapp mit dem Leben davon. Am 11. Mai 2004 wurde sein Wohnwagen in Camp Anaconda - es liegt 70 Kilometer nördlich von Bagdad und beherbergt etwa 17.000 US-Soldaten sowie Tausende von Zivilangestellten - von einer Bombe in die Luft gejagt. Drei seiner Kollegen wurden bei diesem Angriff verletzt, einer getötet. Soliman flog Tage später zurück auf die Philippinen - und musste vorübergehend im Rollstuhl sitzen. Auch nach einer Operation sowie Hauttransplantationen spürt er bis heute bohrende Schmerzen und wird wohl für immer mit einem Granatsplitter im linken Bein leben müssen.

Der Angriff schockierte die 1.300 philippinischen Arbeiter in Camp Anaconda. "Unsere Leute wollen nicht mehr in den Speisesälen, in der Wäscherei und im Treibstoffdepot arbeiten", teilte die philippinische Botschaft in Bagdad daraufhin den Amerikanern mit. Die Arbeitsverweigerung von Anaconda war ein Vorspiel für das, was folgen sollte: Mitte Juli 2004 beendeten die Philippinen ihr Gastspiel in der "Koalition der Willigen" und zogen ihre 43 Soldaten und acht Polizisten einen Monat früher als geplant zurück. Auslöser war die Drohung einer irakischen Miliz, die philippinische Geisel Angelo de la Cruz zu köpfen. Einen Tag nach dem Rückzug ließen die Entführer den 46-jährigen Lastwagenfahrer frei, der für eine saudische Firma gearbeitet hatte. Als er in Manila eintraf, feierten die Medien seine Heimkehr.

Solimans Ankunft kurz zuvor hatte außer seiner Familie niemand zur Kenntnis genommen.

Curryeintopf mit Fischköpfen

Angestellte von Kellogg, Brown Root (KBR) im Irak können nicht verstehen, weshalb die Arbeitsnomaden aus Südasien noch immer im Land bleiben. "Man strich ihnen häufig das Geld für die Überstunden", erzählt Sharon Reynolds aus Texas. "Einmal erhielten sie vier Monate lang keinen Lohn." Die ehemalige Sachbearbeiterin, die bis April 2005 im Irak war, führte die Stundenblätter der 665 ausländischen Arbeiter in Camp Victory bei Bagdad. Den 14.000 Soldaten der US-Armee in diesem ehemaligen Palast von Saddam Hussein würde ein Swimmingpool und ein künstlich angelegter See zur Verfügung stehen. Die Arbeiter aus den "Drittstaaten" müssten mit weniger auskommen. "Wenn sie krank sind" - so Sharon Reynolds - "erhalten sie keinen Lohn. Ich musste schon kämpfen, um überhaupt Schuhe und richtige Kleidung für sie zu bekommen. Die Amerikaner konnten in klimatisierten Räumen speisen und erhielten Grillfleisch, Salat, Pizza, Sandwichs und Eis. Die Ausländer mussten sich bei der Hitze mit ihren Tellern im Freien anstellen und hatten sich mit Curryeintopf und Fischköpfen abzufinden."

Laut Halliburton-Sprecherin Melissa Norcross verlange ihr Unternehmen von allen Auftragnehmern, dass sie ihren Angestellten akzeptable Lebens- und Arbeitsbedingungen bieten. Wer gegen diese Norm verstoße, müsse damit rechnen, dass Halliburton die Behörden davon in Kenntnis setze, zum Beispiel "die US-Armee als unseren Kunden."

Einige ausländische Arbeiter erzählen, sie wurden für Jobs in Kuwait angeworben, dann tauchte in ihrem Vertrag plötzlich der Einsatzort Irak auf. "Ich hatte keine Ahnung, dass ich im Irak enden würde", sagte Ramil Autencio, der bei MGM Worldwide Manpower and General Services auf den Philippinen unterschrieb. Der 37-jährige Techniker glaubte, er werde im Crown Plaza Hotel von Kuwait für 450 Dollar pro Monat arbeiten. Doch als er Ende 2003 in Kuwait ankam, musste er feststellen, dass First Kuwaiti seinen Vertrag gekauft hatte. Die Firma drohte, er werde von der kuwaitischen Polizei als illegaler Einwanderer verhaftet, falls er nicht in den Irak gehe. "Ich hatte keine Wahl. Schließlich war ich in ihrem Land." Im Irak gab es keine Klimaanlagen zu warten, Ramil Autencio musste stattdessen elf Stunden täglich Steinblöcke transportieren, um die Lager zu sichern, zuerst in Camp Anaconda, dann in Tikrit. "Zu essen bekamen wir, was die Amerikaner übrig ließen. Manchmal gar nichts."

Im Februar 2004 entschließt sich Autencio zur Flucht. Ein auf den Philippinen geborener US-Soldat hilft ihm, das Camp zu verlassen. Als die Grenze zu Kuwait erreicht ist, haben sich Autencio so viele "Gastarbeiter" angeschlossen, dass die Zöllner die Gruppe auch ohne korrekte Papiere passieren lassen.

Für Wahid al-Absi, Manager bei First Kuwaiti, ist der Fall Ramil Autencio der Fall eines Lügners. Als Beweis zeigt er einen Arbeitsvertrag, der auf den Philippinen unterzeichnet wurde und als vorgesehene Arbeitsorte Kuwait und "hauptsächlich Irak" anführt. Festgehalten ist auch der Lohn: 346 Dollar pro Monat, bei einem Achtstundentag und sieben Tagen Arbeit pro Woche. Dazu 104 Dollar für die vorgeschriebenen zwei Überstunden pro Tag. Al-Absi versichert, Autencio habe stets seinen Lohn erhalten. First Kuwaiti habe Verträge von über 600 Millionen Dollar mit der US-Armee und sei ein potenzieller Anwärter für einen 500-Millionen-Vertrag, bei dem es um den Bau der US-Botschaft in Bagdad gehe.

Die Washington Post dokumentierte am 1. Juli 2004 ein komplexes Rekrutierungsschema für indische Arbeitsnomaden im Irak. Wieder ist es das gleiche Spiel wie bei Ramil Autencio - die Inder wurden für Kuwait angeworben und landeten im Irak. Angestellt wurden sie in Indien, um für die Gulf Catering Company im saudischen Riad zu arbeiten. Aber Gulf Catering hatte wiederum einen Vertrag mit der Alagan Group aus Kuwait, die Auftragnehmer bei Event Source in Salt Lake City (USA) war - die ihrerseits einen Subvertrag mit KBR in Houston hatte. Und bei KBR handelt es sich bekanntlich um eine Filiale von Halliburton.

Auch der nepalesische Arbeiter Krishna Bahadur Khadka erzählt eine ähnliche Geschichte. Er sei für eine Stelle in Kuwait angeworben worden. Doch in Kuwait wurden ihm und 121 anderen Arbeitern von First Kuwaiti Trading mitgeteilt, sie müssten im Irak arbeiten oder würden nach Nepal zurückgeschickt. Krishna Bahadur: "Sie boten mir 175.000 Rupien (etwa 2.450 Dollar - die Red.) als Lohn und sagten, in Kuwait würde man nicht einmal die Hälfte verdienen. Deshalb unterschrieb ich." Khadka hatte bereits 1.680 Dollar Vermittlungsgebühr an eine Agentur in Nepal bezahlt.

Der Manager von First Kuwaiti bezeichnet auch Khadkas Aussagen als Lüge. Khadka habe seine Fähigkeiten falsch dargestellt, deshalb habe man ihn anders einsetzen müssen. Und wieder wird als Beweis ein Arbeitsvertrag mit dem Vermerk "hauptsächlich Irak" vorgezeigt. Er trägt Khadkas Unterschrift und Fingerabdruck.

Und der rekonvaleszente Jing Soliman? Wieder auf den Philippinen ist er arbeitslos. Das neue Haus für die Familie bleibt ein Traum. Er bezweifelt, dass PPI, sein Arbeitgeber im Irak, die Arztkosten bezahlen wird. Nicht einmal mit dem für mehrere Monate ausstehenden Lohn rechnet er noch. Das Einzige, was für Jing Soliman im Augenblick zählt, er möchte wieder Arbeit finden. Am Ende unseres Gesprächs sagt er: "Ich würde auch wieder in den Irak gehen."

David Phinney arbeitet als Journalist/ Rundfunksprecher in Washington DC für die Los Angeles Times, die New York Times sowie die TV-Kanäle ABC und PBS.


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