Schuldvermutung

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Es ist höchste Zeit, den Rechtsstaat umzudrehen. So, wie man bislang nur mit V-Leuten verfuhr. Alle unbescholtenen Bürger sollten in die Haftanstalten einziehen dürfen. Zu ihrer eigenen Sicherheit. Dort hätten sie alles, was sie sich wünschen: soziale Sicherheit, eine Bibliothek, eine Sporthalle, Fernsehen und - wenn sie partout wollen - sogar eine kleine Nebenbeschäftigung. Im Knast käme niemand in Versuchung, Steuern zu hinterziehen oder Parteispenden anzunehmen.
Alle verurteilten Verbrecher und aktuellen Tatverdächtigen hingegen kämen in den offenen Vollzug der freien Gesellschaft. Oberstes Ziel der Resozialisierung ist es ja, den Täter wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Nichts spricht dagegen, dies sofort nach erfolgter Straftat zu tun und die Täter - gewissermaßen zu Buße - augenblicklich in die kriminelle Gesellschaft zurückzuverfrachten. Dort können sie sich dann mit korrupten Politikern, bestochenen Beamten und Wirtschaftskriminellen herumschlagen. Das wäre eine echte Bewährungsstrafe. Und wer sich, wie Bundestagspräsident Thierse so einfühlsam formulierte, "mindestens zwölf Jahre in der Demokratie bewährt hat", der dürfte dann einen ersten Antrag auf Freiheitserleichterung und gelegentliche Gefängnisbesuche stellen, um irgendwann vielleicht ganz im Knast zu landen. Solange aber würde selbstredend die Schuldvermutung gelten.
Für die täglichen Kosten eines Gefangenen müssen derzeit etwa zwei durchschnittliche Steuerzahler aufkommen. Das Projekt wäre im Grunde also aufkommensneutral. Zwei Drittel würden für das unbescholtene Drittel sorgen. Wobei in den Gefängnissen natürlich noch diese und jene kleine Gerechtigkeitslücke geschlossen werden sollte. Überhaupt müssten die Haftbedingungen in den älteren Gefängnissen stark verbessert und auf den Standard neu erbauter Anstalten angehoben werden. Etwa auf das Niveau des neuen Gefängnisses bei Cottbus, das die Einheimischen an einem Tag der offenen Gefängnistür besuchen durften. Einstimmiges Urteil der Besucher: So eine Sporthalle müssten auch die Cottbusser Schulen haben! Das müssten sich die unschuldigen Cottbusser Bürger nicht mehr wünschen, wenn sie erst mit den Häftlingen die Plätze getauscht hätten.
Was soll beispielsweise ein Roccigiani in einem Berliner Gefängnis? Der Mann gehört zur allerletzten Bewährung in den Ring. Minister auf Bewährung wie Scharping sind sogar heute schon die Regel.
Oder der Berliner Finanzsenator. Soll er doch seine Anwälte gegen die Deutsche Bahn AG in Marsch setzen, um das ihm laut Arbeitsvertrag bis 2005 zustehende Gehalt zu erstreiten. Jedes Urteil da draußen träfe die Richtigen. Denn in Freiheit wäre ohnehin jeder vorverurteilt. Zum Erfolg. Und wenn Sarrazin verlöre, um so besser. Dann müsste er sich mit dem halben Gehalt als Senator abfinden.
Auch die nordrhein-westfälische Müllmafia könnte einfach so weitermachen wie bisher. Die neue gültige Landeswährung wären künftig Spendenquittungen. Die beiden großen Skandal-Parteien würden sich im Wahlkampf eine Schlammschlacht liefern, die sich gewaschen hätte. Doch vor der Qual dieser Wahl stünden nur noch Verbrecher, Ganoven, Steuerhinterzieher, Geldwäscher, Laden- und Tagediebe sowie sonstige Verdächtige.
Denn eine klitzekleine prinzipielle Neuerung müsste man natürlich schon einführen. Alle unbescholtenen Insassen der Justizanstalten hätten künftig kein Wahlrecht mehr. Sie dürften nie wieder ihre Stimme abgeben. Geschweige denn gewählt werden.
Nach allem, was wir wissen, fängt das organisiere Verbrechen genau damit an.

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