Schuss vor den Bug

Kommentar Opferverbände verlassen sächsische Stiftung

Der Zentralrat der Juden kündigt die Zusammenarbeit mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten auf. Diesem Schritt schließen sich die Vereinigung der Opfer der Militärjustiz und das Dokumentationszentrum der Deutschen Sinti und Roma an. Begründung: Es sei zur befürchteten Gleichsetzung der NS-Verbrechen mit dem Unrecht des Stalinismus gekommen. Auch Hans Lauter von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Sachsen kündigt den Austritt aus der Stiftung an. Schließlich erklärt Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Mitglied der Sächsischen Gedenkstättenstiftung seit 1994, er habe die Entwicklung zuletzt schon mit einer gewissen Sorge beobachtet. Jetzt aber habe die CDU/CSU im Bundestag eine "Initiative zur Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte" eingebracht, der das Sächsische Stiftungsgesetz zugrunde liegt. Danach seien am Ende alle Opfer der "beiden deutschen Diktaturen" - alle hätten gleichermaßen gelitten.

Ob die sächsische Landesregierung eine solche Lawine des Widerstandes auslösen wollte, erscheint zweifelhaft. Aber es ist nur zu verständlich, dass sich Korn und andere dagegen wehren, dass bei der Geschichte der Konzentrationslager von "doppelter Vergangenheit" gesprochen wird, wie es mit dem CDU/CSU-Antrag geschieht. Dieser Begriff setzt die Identität von scheinbar Gleichem voraus. Deshalb wohl hat der Zentralrat im Falle Sachsens klar zu verstehen gegeben: "Bis hierher und nicht weiter". Ein Votum gegen die allmähliche Einebnung fundamentaler Unterschiede zwischen nationalsozialistischem Völkermord und SED-Diktatur. Die Signalwirkung auf Bundesebene sollte nicht unterschätzt werden, auch wenn Sachsens Wissenschaftsminister Matthias Rößler (CDU), der für das sächsische Gedenkstätten-Desaster verantwortliche Politiker, auf den Schritt des Zentralrates wenig sensibel reagiert hat. Er sah dafür "keinerlei Anlass". Man muss schon viel Ignoranz aufbringen, um zu bestreiten, wie gezielt wieder einmal historische Relationen verwischt werden sollen.

CDU-Politiker könnten sich noch mehr diskreditieren, wenn sie den jetzigen Schuss vor den Bug nicht wahrhaben wollen. Schon 1997 hatte der US-Historiker Eric D. Weitz in der FAZ davor gewarnt, den Unterschied zwischen der DDR und dem NS-Regime zu verwischen. Für ihn stellte das Dritte Reich die radikalste Verwerfung der Aufklärung dar, was am deutlichsten in seiner Vernichtungspolitik erkennbar geworden sei. Im Gegensatz dazu sei die Spannung zwischen der historisch auf der Aufklärung basierenden Emanzipationsideologie und der Realität ihrer diktatorischen Praktiken einer der zentralen Widersprüche der DDR gewesen: "Nach wie vor bin ich der Meinung, dass die beiden deutschen Diktaturen in der öffentlichen Diskussion viel zu leichtfertig parallelisiert werden", schreibt Weitz.

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