Schüsse aus der Hüfte

Frankreich/Libyen Nicolas Sarkozy möchte als Feldherr in die Geschichte eingehen - und die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr gewinnen. Das jedoch ist bisher eher zweifelhaft

Bei diesem Staatspräsidenten läuft manches anders. Seit Hegel und Marx dachte man, die Geschichte wiederhole sich – „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“. Nicolas Sarkozy hat die Reihenfolge umgekehrt. Seine Karriere als Kriegsherr begann er als Operettengeneral und Innenminister, der seit 2002 nicht weniger als acht Mal innenpolitische „Kriege“ ankündigte: gegen „Kriminelle“ (Juni 2002), „die Unsicherheit“ (Juli 2002), „jugendliche Delinquenten“ (Oktober 2002), „Drogenhändler“ (Februar 2003 sowie Februar 2008), „gewalttätige Banden“ (März 2009), „Schulschwänzer“ (September 2009) und „das Verbrechen überhaupt“ (Mai 2010).

Zunächst langweilte Sarkozy das Publikum mit seinen Warlord-Allüren, dann wandte es sich von ihm ab, und die Umfragewerte fielen in den Keller, während die Präsidentschaftswahl von 2012 näher rückte. Auf dem Nullpunkt seiner Beliebtheit angekommen, bewog Sarkozy eine methodisch umstrittene Umfrage, wonach er beim ersten Wahlgang nur auf Rang drei landen könne und damit aus dem Rennen ausscheide, die farbenprächtige Galauniform aus- und den Kampfanzug anzuziehen. Im Alleingang befahl er seiner Luftwaffe, gegen Gaddafi aufzusteigen, als Einzelkämpfer dachte er partout nicht daran, beim Luftkrieg gegen Libyen das Kommando an die Nato abzutreten, was die Allianz in eine Zerreißprobe getrieben hat wie selten zuvor.

Am zurückliegenden Wochenende nach Paris gebetene Politiker erfuhren auf dem Rückflug, dass „Frankreich“ – das heißt Sarkozy – mit jenen Militäroperationen bereits begonnen habe, über die zu beraten sie eigens nach Paris gereist waren. Nicolas Sarkozy lobte sich selbst für sein „starkes, konzentriertes und entschiedenes Handeln“ mit dem obligatorischen Hinweis auf die „Rolle Frankreichs in der Geschichte“.

Prügel für Merkel

Der hehre Anspruch kontrastiert mit den merkwürdigen Umständen, unter denen die Intervention angeblich zustande gekommen sein soll. Bernard-Henri Lévy, der flexible Medienintellektuelle, behauptet auf seiner Website, er habe Sarkozy aus Benghazi angerufen und gefragt, ob er bereit sei, eine Abordnung der libyschen Aufständischen zu empfangen. Der Präsident stimmte zu und anerkannte obendrein die Rebellen als legitime Vertreter des Staates Libyen. Dieser Schuss aus der Hüfte wird jene Teile der französischen Diplomatie, die Lévy für einen eitlen Windmacher oder gar für ein „prätentiöses Arschloch“ – so der Sarkozy-Berater Henri Guaino – halten, noch ziemlich viel Arbeit zur Schadensbegrenzung abverlangen. In Anerkennungsfragen ist die „Staatengemeinschaft“ so pingelig wie früher der Adel in Abstammungsfragen.

Erstaunlich wirkt allerdings nicht nur das Zusammenspiel des Staatskriegers Sarkozy mit dem Privatkrieger Lévy, sondern die gelassene Reaktion der französischen Medien und Politiker auf das teils peinliche Schmierentheater. Während Zeitungen wie der britische Guardian Sarkozys derzeitigen Auftritt als „Kür auf der weltpolitischen Bühne mit Seitenblick auf die französischen Wähler“ verspotten, halten sich die großen Pariser Zeitungen mit Kritik zurück und prügeln lieber auf Bundeskanzlerin Angela Merkel herum. „Deutschland entzieht sich der internationalen Verantwortung“, schrieb Le Monde. Man müsse der Berliner Regierung die Zurückhaltung als Mangel an Solidarität und Reife ankreiden. Das Kriegsziel, wie es in der UN-Resolution 1973 formuliert werde – Schutz der Bevölkerung ohne Bodentruppen – sei nur erreichbar, wenn man die Resolution gerade nicht einhalte.

Die sozialistische Opposition in Frankreich schweigt oder reiht sich ein in die Phalanx der willfährigen Krieger wie der Außenpolitik-Experte Jean-Christophe Cambadélis, der erklärt: „Die Franzosen sind ungeachtet ihrer politischen Vorlieben dagegen, dass ein Volk umgebracht wird.“ Es fehlt bei all dieser Rhetorik nicht an schiefen historischen Analogien und flott herbeizitierten Vergleichen.

Französische Intellektuelle erinnert die Lage des Anti-Gaddafi-Lagers im Osten Libyens an jene der republikanischen Regierung im spanischen Bürgerkrieg, so als ob die Konstellation von 1936/37 der heutigen Lage in Nordafrika und im Nahen Osten überhaupt auch nur entfernt gleichen würde. Damals sprangen Hitler und Mussolini dem Putschisten General Franco bei, während Frankreich und Großbritannien (im Gegensatz zur Sowjetunion) der spanischen Republik nicht halfen.

Rudolf Walther ist Frankreich-Autor des Freitag

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