Schutzengel im Auftrag der Nazis

Entartung Bernhard Böhmer war Hitlers bedeutendster Kunsthändler – und blieb ein völlig Unbekannter. Jetzt ist eine erste Biografie erschienen

Mit zehn Jahren galt er als Wunderkind der Malerei. Klar, dass Bernhard A. Böhmer später Kunst studierte. Für eine eigene Karriere reichte es dann doch nicht – und so wurde Böhmer Assistent von Ernst Barlach, der ihn an seinen großen Holzfiguren mitarbeiten ließ. Böhmer war so begeistert von Barlach, dass er seine erste Ehefrau an ihn abtrat und sich selbst eine neue suchte. Er wurde sein Schutzengel, sein Kunsthändler (nachdem die jüdischen Kollegen Paul Cassirer und Alfred Flechtheim nicht mehr arbeiten durften) und nach Barlachs Tod 1938 einer seiner Nachlassverwalter. Das hätte schon für eine Fußnote in der Biografie und im Werkverzeichnis Barlachs gereicht.

Doch Bernhard Aloysius Böhmer, 1892 in Ahlen geboren und seit den Zwanzigern in Güstrow lebend, hatte auch die „Verdienewut“, wie Barlachs Sohn Nikolaus Böhmers Mischung aus Geschäftstüchtigkeit und Geldgier nannte. Er war als Agent der Kunst begabt und als Geschäftemacher ohne Skrupel, sodass durch ihn viele unautorisierte Nachgüsse von Barlach-Plastiken in den Handel gelangten. Zugleich versuchte er, Barlachs als „entartet“ beschlagnahmte Kunst zu retten und kämpfte gegen dessen Diskriminierung durch die Nazis. Was ihn nicht davon abhielt, ab 1939 – neben Hildebrand Gurlitt, Ferdinand Möller und Karl Buchholz – der vierte offizielle Kunsthändler Hitlers zu werden. Nach verkauften Werken war er gar der bedeutendste, denn er nahm ein Drittel aller beschlagnahmten Museumswerke in Kommission, verkaufte vieles gegen Devisen ins Ausland. Parteimitglied und in der Reichskammer der Bildenden Künste war er nie, gut befreundet mit Rolf Hetsch, der im Propagandaministerium für die „Verwertung“ beschlagnahmter Kunst zuständig war, aber schon. Hermann Reemtsma, ein Förderer Barlachs, beschrieb Böhmer als „eine originale, in seiner Zeit einmalige, vielleicht ein wenig barocke Erscheinung.“

In den Pilzen

Um so erstaunlicher, dass erst jetzt eine wissenschaftliche Arbeit zu Böhmer erschienen ist. Die fast 600-seitige Monografie gibt umfassend Auskunft über diesen wichtigen Händler, der ein großer Kunstretter wurde. Für die Werke von Kurt Schwitters etwa interessierte er sich als Einziger aus Hitlers Gefolge. „Er entzog diese Werke ... der Vernichtung durch die Nationalsozialisten“, heißt es im Buch, das akribisch und mit vielen Abbildungen versucht, den Nachlass zu rekonstruieren und die rechtliche Situation nach dem Krieg erläutert.

Denn 1945 war Schluss. Vor den herannahenden Russen hatte Böhmer so große Angst, dass er gemeinsam mit seiner zweiten Frau Hella am 2. Mai Selbstmord beging. Zurück blieben der Sohn Peter, 1.795 beschlagnahmte Kunstwerke und Ernst Barlachs Atelier, das von den Russen zur Autowerkstatt umfunktioniert wurde. Manche Leinwand bekam einen roten Anstrich, kyrillische Buchstaben und diente als Verkehrsschild. Sperrige Werke landeten im Hof, Waldspaziergänger fanden Barlach-Grafiken in den Pilzen. Böhmers Nachlass, der an verschiedenen Orten um Güstrow lagerte, wurde geteilt. Vieles sicherte sich Schwägerin Wilma Zelck, die an westdeutsche Auktionshäuser verkaufte. Manches bekamen die Eigentümer zurück. Etwa 600 Werke blieben in Rostock und wurden 2008 wieder gezeigt.

Dass den Künstler, Assistenten, Händler, Autoliebhaber und Nazifreund Böhmer bis heute niemand porträtieren wollte, hat nicht nur mit der deutschen Teilung zu tun. Erst 1997 fand der Historiker Andreas Hüneke die so genannte Harry-Fischer-Liste in London – ein vollständiges Beschlagnahme-Inventar der „entarteten“ Kunst aus deutschem Museumsbesitz. Und 1998 wurde in Washington eine neuer, bewussterer und gerechterer Umgang mit Nazi-Raubkunst auch von Deutschland beschlossen. Dass es noch einmal 13 Jahre dauerte, bis dieses Buch über Hitlers Kunsthändler erscheinen konnte – dafür hat Böhmer auch selbst gesorgt, denn es fanden sich in seinem Nachlass weder Rechnungen, noch Vertragspapiere oder Übergabelisten.

Ein Händler entarteter Kunst Bernhard A. Böhmer und sein Nachlass Meike Hoffmann (Hg.), Akademie Verlag 2011, 562 S., 59,80

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