Schwache Hoheit

linksbündig Solange die WTO sich nur um Wirtschaft kümmert, hat die Kultur noch einmal Glück gehabt

Seltsam unbeteiligt geben sich Deutschlands Theaterintendanten, Galeristen oder Museumsdirektoren. Für die meisten von ihnen ist GATS kein Thema. Beim "General Agreement on Trade in Services" - sprich Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen - denken sie ausschließlich an wirtschaftliche Machenschaften, die sich im Idealfall trendy und irgendwie ästhetisch in Spielplan oder Ausstellung künstlerisch anprangern lassen. Das aber dürfte sich, trotz der Tatsache, dass bei der gescheiterten GATS-Runde vergangener Woche ausschließlich über den Agrarsektor verhandelt wurde, als zu kurzsichtig erweisen Denn bei der 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancún hätten auch kulturelle Dienstleistungen als Verhandlungsmasse auf den Tisch kommen können. Und ein im GATS-Sinne liberalisierter Kulturmarkt wäre das Aus für die meisten öffentlich subventionierten Theater, Opern oder Museen in Deutschland. Ideale stehen Kopf. Weltweite Chancengleichheit für alle wäre im Kulturbereich der größte anzunehmende Unfall: die Kulturförderung würde implodieren.

So könnte nach der von GATS geforderten "Inländerbehandlung ausländischer Dienstleister" folgendes passieren: Ein ausländischer Musicalbetreiber möchte in einer deutschen Stadt eine Spielstätte eröffnen und sieht, dass in dieser Stadt ein Opernhaus subventioniert wird. Theoretisch hätte er nach GATS den gleichen Anspruch auf Förderung wie das bereits bestehende Haus. Das aber könnten die derzeit maroden öffentlichen Kassen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bezahlen und würden - schlimmstenfalls - eher der Oper die Förderung streichen. Motto der öffentlichen Hand: Wir würden gerne weiter fördern, dürfen aber nicht, weil es dem Wettbewerbsrecht widerspricht. So oder so ähnlich könnte die Welthandelsgleichheit bei kultureller Dienstleistung aussehen. Je nach Vorstellungsvermögen kann man das Szenario erweitern auf Schauspiel, Ballett, Orchester, städtische Galerien und Bibliotheken. Auch der komplette öffentlich-rechtliche Rundfunk stünde vor der GATS-Frage Sein oder Nichtsein.

Nun weiß allerdings auch die WTO, dass es bei aller Liebe zur Liberalisierung sensible Bereiche gibt, deren Marktzugang der jeweilige Nationalstaat selbst regeln soll. Diese Bereiche wie das Gesundheits- oder Bildungswesen bezeichnen Globalisierungsskeptiker häufig als "öffentliche Daseinsvorsorge", die WTO spricht von "hoheitlichen Aufgaben". Es wäre also lediglich Definitionssache, ob die Kultur zu solchen hoheitlichen Aufgaben gehört. In Deutschland und in der Europäischen Union sehen das die meisten so, aber in anderen Ländern, beispielsweise den USA oder Australien- so warnt der Deutsche Kulturrat - ist das anders. Deshalb gehen die Europäer erst mal stur auf Nummer Sicher, Staatsministerin Christina Weiss verkündtete, die Bundesregierung werde sich in Cancún dafür einsetzen, die kultur- und medienpolitische Handlungsfreiheit der EU zu erhalten. Schön und gut. Schade nur, dass diese Botschaft noch nicht überall als selbstverständlich angekommen ist.

Die GATS-Verhandler vor Ort kommen aus der Wirtschaftspolitik. Für Deutschland waren das in Cancún der Minister Wolfgang Clement und für die EU der Handelskommissar Pascal Lamy. Beide sind wirklich keine Kulturfreaks und sie hatten anderes zu verhandeln als die Frage, ob ein Schauspielhaus als Staatstheater oder als GmbH kulturell vielfältiger ist oder ob ARD-Tagesschau und ZDF-Wetten dass... als öffentliche Daseinsvorsorge kategorisiert werden sollen. Das Problem jedoch bleibt und die nächste GATS-Verhandlung kommt bestimmt. Was in dieser Runde nicht liberalisiert wurde, kann bei der nächsten aufs Tapet kommen. Zwar hatte in Seattle 1999 die Ministerkonferenz eine Klausel eingeführt, derzufolge die WTO dafür Sorge tragen soll, dass in den Mitgliedsstaaten kulturelle Vielfalt erhalten bleibt. Was aber bedeutet konkret "Sorge tragen" und wie viel Vielfalt gilt als "Vielfalt" ? GATS bleibt für Kulturbelange unberechenbar.

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