Die Trümmer der sozialen Sicherungssysteme sind noch nicht beiseite geräumt und schon wird vom Abbruchunternehmen Neoliberalismus der nächste Bauzaun aufgestellt. "Modernisierung der Mitbestimmung" steht darauf. Unter diesem Titel wollen die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft demnächst der Öffentlichkeit ihre "Reformvorschläge" präsentieren. Doch das Unternehmerlager ist sich in der Gesamteinschätzung der Materie nicht einig. Während der scheidende Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Industrie (BDI), Michael Rogowski, die Mitbestimmung als "Irrtum der Geschichte" bezeichnet, und sein Nachfolger Jürgen Thumann findet, das deutsche Gesetz "versteht im Ausland niemand", berichtet DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schre
hrempp über "insgesamt sehr gute Erfahrungen".Die Debatte um Managergehälter und Unternehmensführung, die vor einigen Monaten im Zusammenhang mit dem Mannesmann-Prozess und der Sanierung von DaimlerChrysler geführt wurde und aktuell bei Karstadt-Quelle und Opel geführt wird, fungiert zunehmend als Vehikel, um das Mitbestimmungsgesetz von 1976 zu schleifen. Derzeit sind von diesem Gesetz - das die paritätische Besetzung der Aufsichtsräte durch Anteilseigner und Arbeitnehmervertreter in Kapitalgesellschaften regelt - 767 Betriebe betroffen. Die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten stehen bei den Hardlinern im Unternehmerlager im Generalverdacht, wichtige Unternehmensentscheidungen zu blockieren. Fast schon zwanghaft stimmen Unions- und FDP-Politiker, Journalisten und Professoren in den Chor ein und werfen den Abgesandten der Belegschaften vor, sie würden lediglich die Fehlentscheidungen der Vorstände abnicken.Diese schnelle öffentliche Verurteilung resultiere aus mangelnder Kenntnis der Abläufe und der gesetzlichen Vorgaben, meint Margret Mönig-Raane, Vize-Chefin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Sie muss es wissen, denn sie sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bank und berichtet im Gespräch mit dieser Zeitung über ihre Erfahrungen: "Geht es um die strategische Ausrichtung eines Unternehmens, werden in der Regel gar keine Beschlüsse gefasst. Wir beraten den Vorstand, und da kann es mitunter sehr kontrovers zugehen." Und wenn doch über etwas abgestimmt wird, werden solche Beschlüsse und Angaben über das Abstimmungsverhalten nicht veröffentlicht.Die gegenwärtige Debatte bezeichnet Mönig-Raane als "sehr dramatisch", weil sie zu allem anderen passe "was wir an reaktionären Aktionen sonst noch erleben". Gegenwärtig sieht sie nicht nur die Mitbestimmungsrechte in Aufsichtsräten in Gefahr, sondern auch die Mitbestimmung der Betriebsräte nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Zwar befasst sich das Unternehmerpapier im wesentlichen mit der Unternehmensmitbestimmung. Auf ein "akzeptables Maß" sollen die Arbeitnehmerrechte zurechtgestutzt werden. Diskutiert wird, ob die Arbeitnehmerseite nicht gleich in ein Konsultationsgremium abgeschoben werden oder ob sie sich mit einem Drittel der Aufsichtsratsmandate begnügen sollte. Doch auch Rechte des Betriebsverfassungsgesetzes sind den "Reformern" ein Dorn im Auge. Etwa das Mitspracherecht im Sanierungsfall, in Fragen des Gesundheitsschutzes oder bei der Berufsausbildung. Das alles kostet Geld und gefährdet nach dieser Argumentation den Standort Deutschland.Besonders Professoren aus den wirtschaftswissenschaftlichen Disziplinen nehmen eifrig an der Debatte teil. Die Idee des Konsultationsgremiums beispielsweise stammt vom Berliner Ökonom Axel von Werder, dem die Aufsichtsräte zu groß sind. Qualifikationsdefizite bei den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten sieht Michael Adams von der Universität Hamburg: "Die Management-Ebene ist exzellent ausgebildet. Exzellent ausgebildete Menschen können Sie nur mit vergleichbar gut ausgebildeten Menschen kontrollieren. Und daran scheitert es auf der Arbeitnehmerseite."Noch drastischer formuliert es der Tübinger Aktienrechtler Wolfgang Zöllner: Den Arbeitnehmervertretern fehle zur Begleitung eines Aufsichtsratsmandats "die wirkliche intellektuelle Dignität", gab er auf einem Symposium zur Modernisierung der Mitbestimmung zum besten. Dass ein Professor Gewerkschaftsfunktionären die "hohe Weihe" in Sachen Entscheidungskompetenz abspricht, sagt wohl mehr über seine Gesinnung als über die Qualität der Mitbestimmung aus. Mönig-Raane ist über so viel Polemik aus dem Hochschulbereich verärgert: "Hier wird nicht geguckt, was die Mitbestimmung für die Beschäftigten an Teilhabe bedeutet. Sie sind doch wesentlicher Bestandteil des Unternehmens! Das wird von den Professoren völlig ausgeblendet und ist ein interessenbezogener Standpunkt der Anteilseigner, der wenig mit Wissenschaft zu tun hat."Was die selbsternannten Experten gern außer Acht lassen, ist die gelebte Praxis der Mitbestimmung. "Vieles wird erst gar nicht in den Aufsichtsrat gebracht", so Lothar Kamp, Mitbestimmungsexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die "richtigen" Zahlenwerke kämen, wenn überhaupt, nur häppchenweise auf den Tisch. Im Grunde habe das Land "gar keine tatsächlich gleichberechtigte Mitbestimmung". Im Streitfall hätten die Anteilseigner immer die Mehrheit, betont Mönig-Raane.Doch DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel feiert das Gesetz: "Die Mitbestimmung ist ein etabliertes Mittel zur Machtkontrolle in einer sozialen Demokratie geworden und zu einem tragenden Bestandteil einer gewachsenen Sozialpartnerschaft gereift." Vor 30 Jahren klang das noch so: "Für die Mitbestimmung gibt es leider auch viele falsche Begründungen. Da ist die Ideologie von der Sozialpartnerschaft. Als ob sich die Widersprüche und Interessengegensätze der kapitalistischen Wirtschaft in friedliche Partnerschaft auflösen ließen", hieß es in einem "Musterreferat" des DGB zur damaligen Mitbestimmungskampagne. Genau hier liegt das Dilemma: Das Gesetz ist ein Kompromiss, und der zwingt die Gewerkschaften zur Sozialpartnerschaft.